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Filmen in Ersatz-Kaschmir

Filmhero Tarakaratna N. und Heroine Rekha am Set in Gstaad. swissinfo.ch

Noch können die indischen Top-Filmstars in der Schweiz ungestört drehen. Doch der Tourismus beginnt, Bollywood zu entdecken. Den Filmteams gefällt dies nicht sonderlich.

Gstaad, der Nobelkurort im Berner Oberland: An Eingang der Fussgängerzone inmitten der malerischen Chalets steht eine Kamera. Sie filmt eine Tanzszene, bei der Darstellerin und Darsteller durch geschmeidige Bewegungen, Professionalität und Schönheit auffallen. Kaum jemand nimmt vom Treiben Kenntnis. Etliche Leute bleiben kurz stehen und schlendern dann weiter.

Es sind Chiranteevi, Sonali Bindre oder Tarakaratna und Rekha. In Indien Topstars. Es ist als würden Tom Hanks und Sharon Stone unbemerkt in einer Ecke von Gstaad einen Film drehen.

Genau das ist es, was die indischen Filmteams schätzen, die vermehrt in der Schweiz Teile ihrer Filme drehen. Ruhe und nochmals Ruhe am Set. Der Filmproduzent Sai Baba K. gegenüber swissinfo: “In Indien könnten wir das nie so drehen, da wäre ein riesiger Auflauf. Die Menschen kennen die Hauptdarsteller.”

Es werden “songs and dances” gedreht

Die indische Filmproduktion ist die grösste der Welt. Jährlich werden rund 800 Filme produziert. Keiner davon wird ganz, wie fälschlicherweise immer angenommen, in der Schweiz gedreht. Gefilmt werden hier vor allem die sogenannten “Songs”.

Ein Filmstreifen aus Bombay, hier “Bollywood” genannt, dauert üblicherweise rund drei Stunden. Er wird durch ungefähr sechs etwa fünf- bis zehnminütige “Songs” unterbrochen. Das sind romantische Szenen, in welchem die Hauptdarsteller (Held und Heldin) tanzen und singen. Sai Baba K.: “Ein Muss in unseren Filmen. Die Kinogänger in Indien wollen das. Sie singen und tanzen mit während der Vorstellung.”

Auf den Bergen sitzen die Gefühle

Gabrielle De Gara ist die Assistentin für die Ausstellung “Bollywood, das indische Kino und die Schweiz”, die zur Zeit und noch bis zum 8. September in Zürich gezeigt wird. Für De Gara ist der Bollywood-Film eine Mischung aus Romantik, Liebegeschichten und Action. Wobei Gut und Böse extrem einseitig gezeigt werden. Böse Menschen würden struppig und ungepflegt dargestellt. Gute Menschen treten oft in traditionellen indischen Gewändern auf und sind immer sehr gepflegt.

“In dieser Mischung verschiedener Film-Genres haben die Berge eine mystische Funktion. Sie sind Sitz der Götter, der Himalaya, der Heilige Berg der Inder und die Songs in den Filmen müssen in den Bergen handeln. Hier sind – vereinfacht gesagt – die Gefühle zu Hause”, sagt De Gara. Deshalb würden in den Songs meist romantische Liebeszenen vorkommen.

“Es ist eher ein Zufall, dass die Szenen in der Schweiz gedreht werden.” Die Berge erinnern an den Kaschmir, wo früher gedreht wurde. Doch heute sei die Anreise mühsamer, oft sogar teurer als in die Schweiz zu reisen. Dazu komme die instabile politische Lage in Kaschmir. “Die Schweiz ist so gesehen der Ersatz für Kaschmir und den Himalaya”, sagt De Gara.

Tourismus entdeckt Bollywood

“Im Moment kommen rund 40 Filmteams pro Jahr in die Schweiz, vornehmlich ins Berner Oberland und sie filmen vor allem in der Gegend Zweisimmen und Gstaad”, sagt Markus Pfister, Geschäftsführer von Zweisimmen Tourismus. “Die Filmteams generieren rund 25’000 Logiernächte”, sagt Pfister.

Mehr und mehr aber reist die wohlhabende Mittelschicht aus Indien in die Schweiz. Man will die Drehorte sehen, an denen die Filmhelden und Filmheldinnen ihre romantischen Liebeszenen erleben. Für Pfister ein Zukunftsmarkt. Wobei er anmerkt, dass die Hoteliers sich der total andern Mentalität des indischen Gastes anpassen müssen. “Dafür bieten wir unserem Personal Kurse an”, sagt Pfister.

Eine Kehrseite der Medaille

Rubina und Zeeshan Pasha sind Pakistani und leben in Deutschland, in Wiesbaden. Sie sind 500 Kilometer weit nach Gstaad gereist, um ihre Filmidole zu sehen. “Wir schauen uns die gleichen Filme wie die Inder an und haben die selben Idole”, sagt Rubina Pasha. “Pakistani und Inder haben die selbe Kultur und stehen sich im Kaschmir als Kriegsgegner gegenüber”, seufzt die junge Frau aus Wiesbaden.

Die Tourismus-Verantwortlichen freuen sich über den neu entstandenen Markt aus Indien und der “Diaspora” in Europa. Jakob Tritten, der “gute Geist” und Organisator der Bollywood-Filmteams in der Schweiz warnt allerdings.

Er hat ständig Kontakt zu den für die Wahl des Drehortes verantwortlichen “Executive Producers”, und die wollen vor allem in Ruhe drehen können. Tritten: “Am liebsten sagen wir den Schaulustigen, wir drehen in Genf und fahren dann nach Grindelwald.”

Auch für Sai Baba K, der die Millionenbudgets spricht, ist Ruhe am Drehort Zeit und Geld. In Anbetracht der zunehmend herbeiströmenden Schaulustigen könnte die Schweiz aber für die Filmer an Attraktivität verlieren: “Die Schweiz ist wundervoll und wir können gut hier arbeiten. Aber auch Neuseeland oder Kanada haben schöne Berge.”

Urs Maurer

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