Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Fragwürdige Transporte auf Europas Strassen

Aus Holland in die Schweiz gekarrt: Die Aufbackbrötchen der Firma Délifrance SA. (Foto: Alpen-Initiative) Foto: Alpen-Initiative

Der französische Backkonzern Délifrance wurde kürzlich wegen seiner "unsinnigen Transporte" von der Alpeninitiative mit dem "Roten Teufelsstein" ausgezeichnet.

Mit “unsinnigen Transporten” lässt sich viel Geld verdienen. Die Liste der schlechten Beispiele lässt sich fast beliebig verlängern.

Mit der Verleihung des “Roten Teufelssteins” macht die Alpeninitiative im Jahrestakt auf unsinnige Transporte auf der Strasse aufmerksam. Der nicht unbedingt begehrte Preis geht heuer an den weltweit tätigen Brothersteller Délifrance SA.

Délifrance liefert Aufbackbrote aus den Niederlanden in die Schweiz. Damit ist die Firma mitverantwortlich für den in den vergangenen 20 Jahren auf das Doppelte gestiegene Transportaufwand für Lebensmittel. Als Folge resultiert ein massiver Anstieg des Güterverkehrs und die daraus entstehenden Probleme: Lärm, Abgase, Staus und mehr Unfälle.

Schuld sind nicht nur die Kiwis, die ihren Weg von Neuseeland in die Schweiz finden oder Tomaten und Erdbeeren aus Südspanien und Marokko oder Spargeln aus Kalifornien.

Schweizer Bäckereien und Grossverteiler bieten Brot in einer schier unüberschaubaren Vielfalt und guter Qualität an. Da der Schweizer Getreide-Anbau für die Produktion von Brot nicht ausreicht, wird dieses in grossen Mengen importiert.

Geknetet und gebacken wird aber meist in der Schweiz. Importiert werden jährlich über 5000 Tonnen Brot oder Backwaren. Dies sind nur rund 1 bis 2% der konsumierten Menge. Von 1993 bis 2003 hat sich die Menge des verkaufsbereit abgepackten Brots und Backwaren verfünffacht.

Délifrance stellt verpackte Brote her, die ohne Kühlung gelagert werden können. Vertrieben werden sie im Detailhandel aber auch etwa in Tankstellen oder Kiosken.

Regionale Produktion mit Vorteilen

Lebensmittel aus regionaler Produktion geraten mehr und mehr unter Druck. Dabei verbrauchen Lebensmittel aus hiesiger Produktion weniger Energie und dank kargerer Verpackung auch weniger Rohstoffe. Sie generieren weniger Schadstoffe und damit weniger Folgekosten.

Leider wird der regionalen Produktion immer weniger Gewicht beigemessen, denn die Transportkosten sind so tief angesetzt, dass billiger produziert werden kann, wenn einzelne Elemente einer Produktion auf verschiedene Regionen und Länder aufgeteilt werden.

Liste fast beliebig erweiterbar

Die Liste der “unsinnigen Transporte” ist lang, hier nur ein paar besonders eindrückliche Beispiele:

Die neue “Absolute Ice Bar” in Mailand ist ein Parade-Beispiel für zumindest “fragwürdige Transporte”. 350 Tonnen Eisblöcke liessen die Barbetreiber aus dem schwedischen Lappland transportieren. Theke, Wände, Decke und Mobiliar sind tiefgefroren. Nach einem halben Jahr muss das Eis wieder ersetzt werden – mit einer weiteren Karawane von Tiefkühlfahrzeugen.

Unnötigen Verkehr und Umweltbelastungen verursachen auch skandinavische Crevetten, die in Marokko geschält werden, weil dort die Handarbeit bedeutend billiger ist, als im hohen Norden. Danach werden die Schalentiere wieder gekühlt zurückverfrachtet und verkauft.

In dieselbe Kategorie gehört auch der Transport von Gotthardschnee in den Schwarzwald im Dezember 2002. Der Schnee-Export erzeugte 100 zusätzliche Fahrten durch das ohnehin schon schwer belastete Reusstal.

Schweiz – Europa – Schweiz

Es gibt aber auch Produkte, die von der Schweiz aus nach Europa zur Endfertigung geschickt und dann wieder zurück in die Schweiz importiert werden. So wird Schweizer Rahm per Lastwagen nach Belgien oder Italien transportiert. In Einweg-Spraydosen wird er zurück in die Einkaufregale helvetischer Lebensmittel-Läden transportiert.

Die Migros lässt ihren Rahm in Belgien abfüllen, die Aargauer Zentralmolkerei (AZM) in Italien. Zählt man die Anlieferung der Milch und die Auslieferung des Produkts zu den Auslandfahrten hinzu, hat der Rahm bis zu 2000 Kilometer zurückgelegt. In dieser Rechnung sind die Transportwege der Verpackung aus Stahlblech sowie die Leerfahrten der Tanklastwagen nicht berücksichtigt.

AZM-Direktor Gregor Emmenegger ist überzeugt: “Es würde auch keinen Sinn machen, wenn die Migros und wir in der Schweiz gemeinsam produzieren würden. Dort, wo wir unseren Rahm abfüllen lassen, wird für insgesamt 50 Länder abgefüllt.”

Was sind sinnvolle Transporte?

Die Alpeninitiative definiert sinnvolle Transporte als wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig.

Transporte sollten nur durchgeführt werden, wenn sie die Bedürfnisse der Bevölkerungen abdecken, die Lebens- und Arbeitsqualität absichern, die Umwelt möglichst wenig belasten und die Grenzwerte akzeptieren.

Ursachen für unsinnige Transporte finden sich auch im heutigen Wirtschaftssystem. Im Zeitalter der Globalisierung werden Produktionsschritte ausgelagert und in spezialisierten Grossbetrieben zentralisiert. Auch Währungs- und Lohndifferenzen sollen durch die Zentralisierung zu den eigenen Gunsten ausgenützt werden.

Zudem setzen schwierig durchschaubare Subventionsvorschriften und andere Reglemente falsche Anreize und machen es attraktiv, Produkte über längere Strecken zu transportieren.

Subventionierte Tiertransporte

1986 wurden 3000 lebende Rinder aus der EU transportiert. Für diese Fahrten gab es damals noch keine Subventionen. 1999, dreizehn Jahre später, wurden 330’000 Rinder auf Europas Strasse herumgekarrt.

Dafür wurden 117 Mio. Euro Subventionen ausbezahlt. – gemäss einer Hochrechnung etwa 30 Mio Euro zu viel. Nach Schätzungen der Industrie werden in der EU täglich fast eine Millionen Tiere (ohne Geflügel!) transportiert. So verursachen Subventionen Verkehr.

Der Alpenraum erträgt das stetig steigende Verkehrsvolumen nur noch mit Mühe. Deshalb möchte die Alpenschutz-Initiative, dass der “unsinnige Verkehr” durch Zuschläge so teuer wird, dass es sich nicht mehr lohnt, Kartoffeln über die Alpen in den Süden zum Waschen zu bringen oder Hausmüll durch halb Europa zu transportieren.

swissinfo, Etienne Strebel

30% der Lastwagen in Europa fahren heutzutage leer umher.
Jährlich überrollen rund 100 Mio. Tonnen Güter und 10 Mio. Lastwagen die Alpen.
Gemäss Schätzungen werden in der EU täglich 1 Mio. Tiere (ohne Geflügel) transportiert.
Hohe Subventionen verlocken zu unsinnigen Fahrten.

Umweltbewegte und Linke aus den Bergkantonen gründeten 1989 den Verein “Alpen-Initiative” zur Lancierung der Volksinitiative “zum Schutz des Alpengebietes vor dem Transitverkehr”.

Für so genannte “Unsinns-Transporte” verlieh die Alpen-Initiative 2002 erstmals den “Roten Teufelsstein”.

Preisträger waren Migros und Coop, die Schlagrahm bis 2000 km weit fahren lassen, um ihn in Dosen abzufüllen.

2003 war Nestlé Waters Preisträger, wegen ihrer weltweiten Wasser-Vermarktung.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft