Heizen mit Weizen

Die Expo de Gascogne ist so etwas wie die BEA, das Comptoir oder die Olma in der Schweiz.
Man trifft sich, berät neue Entwicklungen und tätigt Geschäfte.
Alles was Rang und Namen hat, ist am letzten September-Wochenende an der Expo Gascogne in Auch vertreten. Die prächtigsten Kühe stehen da in Reih und Glied: Blonde d’Aquitaine, Charolais, Aubrac oder wie sie alle heissen.
Die schwarzen Mutterschweine, porcs de Gascogne, vergnügen sich mit ihrem zahlreichen Nachwuchs. Enten und Gänse jeglicher Provenienz dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Daneben stehen die gewaltigen Mähdrescher und Traktoren mit meterbreiten Pneus und erfreuen den bäuerlichen Nachwuchs. Landtechnik, Landleben, Tiere, Gerätschaften aller Art, daneben aber auch Möbel, Küchen, Cheminées, Sinnvolles und Sinnloses und sehr viele Verpflegungsstände mit allem was den Hunger stillt und natürlich Vin du pays, Armagnac jeden Alters und Floc de Gascogne, roten und weissen.
Getreideheizung
Bei den thematischen Ausstellungen stehen die Biocarburants im Mittelpunkt des Interesses: Pflanzenöl als Dieselersatz, Ethanol, alternative Heizsysteme mit Sonnenenergie und – Weizen! Heizen mit Weizen?
Findige Köpfe suchen seit Jahren nach Alternativen zum teuren Erdöl. Und sie haben einen Ausweg gefunden: Was liegt da im Landwirtschaftsgebiet näher als billiger Weizen? Statt teures Heizöl zu verbrennen, werden eben direkt Weizenkörner in den Ofen geschoben.
Die Rechnung ist relativ einfach: Um den gleichen Heizwert wie ein Kilogramm Heizöl zu erzeugen, braucht es 2,5 Kilogramm Weizenkörner. Für das Kilogramm Brotgetreide erhält der konventionelle Bauer gerade noch etwa 0,12 Euro. Um ein Kilogramm Heizöl zu ersetzen, ergibt das 0,30 Euro. Verglichen mit dem Heizölpreis von zurzeit 0,58 Euro spricht alles für die Weizenheizung!
Ein Teil der Getreideernte kommt vom Mähdrescher statt in die Mühle direkt in das Heizungssilo, von wo der Zentralheizungsofen automatisch und ohne weitere Transporte und Verarbeitungsschritte bedient wird. Bereits seien auch grössere Heizsysteme für Fernheizungen in Prüfung! Die Stände mit den Weizenkörnerheizungen sind jedenfalls eine Attraktion.
Wer will es den Bauern verübeln, wenn sie sich nach dem Markt richten? Sie sagen sich, wenn die Nahrungsmittelpreise immer weiter sinken und gleichzeitig Treibstoffe und Energiepreise laufend ansteigen, dann müssen wir halt die Nahrungsmittel verbrennen. Landwirte werden zu Energiewirten.
Zum Glück erhalten wir für unseren Bioweizen noch einen etwas besseren Preis.
Biocarburants
Die grüne Energie scheint auch die Regierung Frankreichs zu beflügeln: Es ist geplant, dass – verteilt über das ganze Hexagon – eine Reihe von Fabrikanlagen erstellt werden sollen: also Ethanol hergestellt aus Getreide, Mais oder Zuckerrüben, oder Biodiesel (hier Diester genannt) aus Raps-, Soja- oder Sonneblumenöl. Grosse „Céréaliers» sehen sich schon als die neuen Ölscheichs auf dem Lande. Ethanol soll in den nächsten Jahren in wachsenden Prozentsätzen dem Benzin beigemischt werden. Die gängigen Benzinmotoren vertragen das offenbar problemlos.
Nur der zu 85% aus Pflanzen gewonnene Naturtreibstoff E85 setzt einen etwas spezielleren Motor voraus. Der ehemalige Formel 1 Weltmeister Alain Prost will sich als Promotor der Regierung mit Vollgas für die Errichtung von vorläufig 500 entsprechenden Tankstellen einsetzen!
Diesen Sommer prangten entlang der Nationalstrassen in verschiedenen Sonnenblumen- und Rapsfeldern grosse Transparente mit der Aufschrift: Hier wächst ihr Treibstoff der Zukunft: Diester!
In der Schweiz hat der Ständerat eben beschlossen, auf pflanzlichen Treibstoffen Steuerermässigungen zu gewähren. Die Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft testet erfolgreich Motoren, die mit reinem Raps-Speiseöl arbeiten.
Alles scheint für die grünen Treibstoffe zu sprechen: Sie sind erneuerbar und klimaneutral, sie hinterlassen weniger Schadstoffe, sie liegen im Trend und sie sind günstig(er).
Nahrungsmittel
Bei all dieser Euphorie fragt man sich allerdings, wer schlussendlich noch unser täglich Brot erzeugen soll. Grob geschätzt würde es die ganze Ackerfläche Frankreichs beanspruchen, wenn alle Autos der Grande Nation nur noch mit Naturtreibstoffen fahren sollten. Schlussendlich würden also diese pflanzlichen Treibstoffe wohl auf den Riesenfeldern Brasiliens industriell erzeugt und den Amazonas-Regenwald weiter verdrängen.
Vielleicht sollten wir doch besser unsere grenzenlose Mobilität hinterfragen, unsere Häuser besser isolieren und ganz generell sparsamer mit Energie und Nahrungsmitteln umgehen.
Heizen mit Weizen? Transportieren mit Biodiesel? Fahren mit Zuckerrüben-Ethanol? Ernähren mit….. ja mit was denn? 800 Millionen Menschen auf diesem Planeten leiden Hunger. Geld kann man nicht essen.
Wir haben gelernt, ein Stück Brot nie fortzuwerfen! Was machen wir jetzt?
Stephanie und Ruedi Baumann
Die Meinung des Autorenpaars muss nicht mit jener von swissinfo übereinstimmen.
Stephanie Baumann, Jahrgang 1951, war Berner Kantonsrätin und Nationalrätin für die Sozialdemokraten. Zudem amtete sie als Verwaltungsrats-Präsidentin des Berner Inselspitals.
Ruedi Baumann, Jahrgang 1947, ist gelernter Bauer und Agronom. Er war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat und Präsident der Grünen Partei Schweiz.
Stefanie und Ruedi Baumann haben zwei Söhne. Die Familie bewirtschaftete 28 Jahre lang einen Bauernbetrieb in Suberg, im Berner Seeland, bevor sie im Jahr 2003 nach Frankreich auswanderte.
Heute leben die Baumanns in der Gascogne, 100 km westlich von Toulouse, und sind als Biobauern auf ihrem eigenen Hof tätig.

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