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Kein Geld, kein Treibstoff: Die Swissair am Boden

swissinfo.ch

Einen Tag nach dem von den Grossbanken diktierten Radikalumbau der Swissair-Gruppe ist die Situation am Dienstag völlig ausser Kontrolle geraten. Die Swissair hat den Flugbetrieb eingestellt. Es fehlt das Geld für den Flug-Treibstoff. Das hat zur Folge, dass Tausende von Stellen gefährdet sind. Der Überbrückungskredit der Banken sei nicht für das Tagesgeschäft, sondern für die flugnahen Betriebe gedacht, hiess es bei der UBS. Die Regierung ist über diese Haltung enttäuscht. Die Swissair wird wahrscheinlich auch am Mittwoch am Boden bleiben. Dies gab Swissair-Präsident Mario Corti am Dienstagabend in der "Tagesschau" des Deutschschweizer Fernsehens bekannt.

Das von Swissair-Chef Mario Corti vorausgesagte Szenario des absoluten Chaos für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses wurde am Dienstag Tatsache. Die Swissair hat einen Tag nach Bekanntgabe des Quasi-Konkurses kein Geld mehr aufbringen können, um das Flugbenzin zu bezahlen. Das sei jedoch nur eines der Probleme, sagte ein Sprecher. Nun stehen weit mehr Stellen auf dem Spiel, als am Montag angenommen. Abertausende von Reisenden haben keine Flugmöglichkeit.

Es sei trotz intensivsten Bemühungen während des ganzen Tages nicht gelungen, die für das Tagesgeschäft und den sicheren operationellen Betrieb nötige Liquidität zu erhalten, teilte die Swissair am Dienstagnachmittag mit.

Bundesrat hätte für Lösung Hand bieten wollen…

Der Bundesrat hat am Dienstagabend an die Banken appelliert, ihre Verantwortung zu übernehmen. Eine sofortige Stilllegung der Swissair-Flotte sei für die ganze Schweiz schädlich und in dieser Form nicht zu akzeptieren, sagten Bundespräsident Moritz Leuenberger und Finanzminister Kaspar Villiger an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz.

Der Bundesrat sei enttäuscht von den Banken, dass sie die Swissair nicht mehr fliegen liessen. UBS und CS hätten die klare Aufforderung der Landesregierung missachtet.

Ein kontinuierlicher Betrieb der Swissair bis zur Übernahme durch die Crossair hätte im grössten Interesse der Wirtschaft und des Images der Schweiz gelegen, sagte Leuenberger. Der gute Markenname Swissair habe schweren Schaden genommen, doppelte Villiger nach.

Der Bundesrat wäre bereit gewesen, die Hälfte eines Überbrückungskredites von 250 Mio. Franken noch in dieser Session ins Parlament zu bringen, sagte Villiger. UBS-Chef Marcel Ospel sei auf dieses Angebot nicht eingegangen und sei für den Bundesrat nicht einmal erreichbar gewesen.

…und ist empört über die Haltung der Banken

Der Bundesrat appelliere an die Banken, ihre Position, die Swissair stillzulegen, zu überdenken, sagte Villiger. “Der Wirtschaftsführer fährt in der Luft, und der Bundesrat geht in die Luft”, sagte Bundespräsident Leuenberger.

Ein Gesuch der Crossair, zumindest das Europa-Netz der Swissair per sofort zu übernehmen, liege vor. Ein Entscheid von Seiten des Verkehrsministeriums (UVEK) sei aber noch nicht gefallen. Der Bund sei bereit, Hilfe zu gewähren. Ein entsprechendes Gesuch der Banken liege aber nicht vor, sagte Villiger. Der Start der neuen Schweizer Fluggesellschaft unter Federführung der Crossair sei mit den jüngsten Entwicklung arg beeinträchtigt.

Zum unabsehbaren Schaden für das Ansehen der Schweiz im Ausland kommt die konkrete Ankündigung einer Klage des belgischen Staats wegen der nicht geleisteten Zahlung an Sabena. Im Bundeshaus befürchteten Parlamentarier zudem Retorsionsmassnahmen bei der nach wie vor hängigen Ratifizierung der bilateralen Verträge.

UBS begründet Nein mit dem Restrukurierungs-Prozess

Der am Montag in Aussicht gestellte Überbrückungskredit von 250 Mio. Franken sei für die Aufrechterhaltung des flugnahen Dienstleistungsgeschäfts gedacht und nicht für das Tagesgeschäft im Flugbereich, sagte am Dienstag UBS-Sprecherin Eveline Müller.

Es sei “unschön”, dass die Flugzeuge am Boden bleiben, sagte Müller weiter. Es handle sich um einen tiefgreifenden Restrukturierungs-Prozess. Die von den Banken getroffene Lösung sei jeodoch zum Erhalt einer schweizerischen Fluggesellschaft ausgerichtet.

Die Credit Suisse Group (CSG) hat auf Anfrage keine Stellung genommen.

Tausende Stellen betroffen

Wann der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ist offen. Mehrere hundert Flüge sind gestrichen worden. Die Einstellung des Flugbetriebes treffe Abertausende von Passagieren, heisst es bei der Swissair.

Mit dieser dramatischen Entwicklung sind weit mehr Arbeitsplätze gefährdet, als am Montag kommuniziert wurde. Damals sprach die Swissair noch von einem Abbau von weltweit 2’650 Stellen.

Bei Einstellung des Flugbetriebes seien Tausende von Arbeitsplätzen betroffen, sagte ein Swissair-Sprecher. Die Swissair beschäftigt im Flugbereich 7’300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Einstellung komme im gewöhnlich ertragsstärksten Monat des Jahres.

Die Gewerkschaften befürchten, dass das Debakel der Swissair bis zu 7’000 Stellen in der Schweiz kosten könnte.

Swissair am Boden, Crossair fliegt normal

Die Swissair könne den Passagieren keine Kompensationen zahlen, hiess es am Flughafen Zürich. Die Gesellschaft forderte die Reisenden auf, sich selber um Ersatz-Reisemöglichkeiten zu kümmern. Die Flugzeuge aus dem Ausland werden schnellst möglich in die Schweiz zurück geführt.

Nachdem die zugesicherten Zahlungen bis am Mittag nicht eingetroffen waren, stellten die Kerosin-Lieferanten die Betankung ein. Treibstoff wollten die Mineralölgesellschaft der Swissair nur gegen Vorauszahlung liefern. Um 13.30 Uhr sind alle Flüge vorerst eingestellt worden.

Die Crossair ist vom Chaos nicht betroffen: Crossair-Flüge wurden den ganzen Dienstag über normal abgewickelt.

swissinfo und Agenturen

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