Presseschau vom 30.10.2002
Wenn vom Staat kontrollierte Unternehmen tiefrote Zahlen schreiben und letztlich die Steuerzahler dafür gerade stehen müssen, sind die Medien interessiert.
Hilfe von «ganz oben» zu erflehen ist manchmal der letzte Ausweg, wenn die Natur das Zepter in die Hand nimmt.
«Der Staat in der Falle», lautet der Titel des TAGES ANZEIGER Kommentars. Mit dem Staat ist nicht die Schweiz gemeint, sondern der Kanton Waadt, der eine milliardenschwere Finanzspritze für seine marode Kantonalbank aufzieht. Der Tagi weiss:
«Wie andere Unternehmen ist auch die Waadtländer Kantonalbank ein Opfer von Fehlleistungen, Grössenwahn und Selbstüberschätzung des Managements sowie unzureichender Präsenz und Kompetenz der Kontrollorgane geworden.»
Da drängt sich ein Vergleich mit einem anderen wirtschaftlichen Desaster der letzten zwölf Monate auf, meint der Tagi und setzt einen fetten Titel: «Waadtländer ‹Swissair-Affäre'»
Der Genfer «LE TEMPS» schreibt: «Vaud rattrapé par la réalité bancaire». Die Waadt wurde vom Bankenalltag eingeholt.
Über der Sache steht die BASLER ZEITUNG. Sie warnt: «Vorsicht vor Pauschalurteilen. Die Kantonalbanken haben als Gruppe im ersten Semester wesentlich besser abgeschnitten als beide Grossbanken.»
Weiter analysiert die BAZ: «Letztlich lassen sich fast alle grösseren ‹Betriebsunfälle› auf Mängel in der Unternehmensführung und -kontrolle zurückführen. Was die Kontrolle betrifft, so frägt sich angesichts der Dimension des Desasters, warum die externe Revisionsstelle nicht bereits viel früher darauf aufmerksam wurde – und machte.»
Ganz emotional äussert sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: «Die Waadt erstaunt, verblüfft, geschockt».
Die NZZ schreibt: «Wenn auch die Ursachen des Debakels einstweilen im Dunkeln liegen, so lassen sich die Folgen jetzt schon absehen. Eine erste ist wohl die, dass die gesamte politische und wirtschaftliche Führungsschicht weiter an Kredit und Glaubwürdigkeit einbüsst.»
Der BUND vergleicht: «Das Debakel der Waadtländer Kantonalbank nimmt bernische Ausmasse an.» Das Berner Blatt spricht damit das Beinahe-Grounding der Berner Kantonalbank von 1992 an. Damals mussten rund drei Mrd. Franken eingeschossen werden.
Die NZZ zeigt Mitgefühl für die Steuerzahler: «Als ‹Zwangsaktionäre› können die sich, anders als Teilhaber privater Gesellschaften, nicht damit trösten, dass sie letztlich selbst schuld sind, wenn Grundprinzipien der Corporate Governance nicht greifen. Auch das letzte Mittel bleibt ihnen versagt: der Verkauf der Aktien.»
Ein noch heisseres Thema
Der aktivste Vulkan Europas, der Aetna, zeigt wieder einmal, was in ihm steckt. Was will man gegen die Unberechenbarkeit der Natur machen?
Der BLICK weiss vielleicht ein probates Mittel: «Stoppt der Stab des hl. Aegidius die Lavamassen?»
Da die Lavamassen immer weiter vorankommen, ist das einzige was noch bleibt, zu beten. Der Blick berichtet: «Jetzt setzen die Menschen all ihre Hoffnungen auf den silbernen Stab des heiligen Aegidius. Schon im Jahre 1923 soll er die Lava kurz vor den ersten Häusern von Linguaglossa aufgehalten haben. (…) Dass sich dieses Wunder wiederholt, hofft der heutige Bischof von Acireale.»
Hoffen wir alle mit!
swissinfo, Etienne Strebel

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch