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Sicherheit durch Velohelm ist relativ

Bei schweren Fahrrad-Unfällen, etwa Kollisionen mit Autos, hilft auch der beste Velohelm nichts mehr. swissinfo.ch

Wenn bis 2012 nicht mehr als 50% der Velofahrer einen Helm tragen, kommt das Helm-Obligatorium, sagt das Bundesamt für Strassen (Astra). Ein solches ist kontraproduktiv, findet die IG Velo Schweiz.

Entscheidender sind laut Velo-Lobby Sicherheitsmassnahmen wie Tempo-30-Zonen und Kurse.

Er ist aus Styropor, wiegt um die 300 Gramm, ist in allen Farben und Preislagen zu haben und sieht manchmal schnell und manchmal ziemlich uncool aus. Vor allem aber ist er ein Politikum: Der Velohelm.

2002 schlugen die Verkehrs-Experten vom Bundesamt für Strassen (Astra) ein Velohelm-Obligatorium für Radfahrer vor. Der Helmzwang war Teil eines umfangreichen Massnahmen-Pakets zur Umsetzung der so genannten «Vision Zero». Damit wollte der Bund die Zahl der Toten und Schwerverletzten im Schweizer Strassenverkehr bis im Jahr 2020 auf Null senken.

Darauf trat die IG Velo Schweiz in die Pedale: Helmtragen für Velofahrer ist wünschenswert, Helm-Obligatorium aber nicht: Dies die Haltung des nationalen Dachverbandes der lokalen und regionalen Interessengemeinschaften Velo.

Bund gewährt Schonfrist

Vorerst setzt auch das Astra in seinem Projekt Verkehrssicherheits-Politik (Vesipo) auf das Prinzip Freiwilligkeit. Zumindest bis 2012. Ein Anreizsystem soll bis dann mehr als die Hälfte der Velofahrer dazu bringen, immer den Helm aufzusetzen. «Wird diese Schwelle nicht erreicht, schlagen wir wieder das Obligatorium vor», so Astra-Sprecher Thomas Rohrbach.

Ziel der IG Velo Schweiz ist es unter anderem, sich für mehr Sicherheit für Velofahrer im Strassenverkehr einzusetzen. Daher mag es auf den ersten Blick paradox erscheinen, dass sich ausgerechnet die Velo-Lobby vehement gegen ein Helm-Obligatorium stemmt.

Velo bleibt im Keller

Eine ganze Reihe von Gründen bestärkt die Velo-Lobby in ihrer Haltung. Auf einen Nenner gebracht: Die Helmtragpflicht ist kontraproduktiv und unzweckmässig. So steht es im Positionspapier, das die Delegierten der IG Velo Schweiz Ende März einstimmig verabschiedeten.

«Velofahren würde an Attraktivität verlieren, und die Zahl der Velofahrenden würde sinken», erklärt Christoph Merkli, Geschäftsführer der IG Velo Schweiz.

Er stützt sich auf das Beispiel Australien, wo nach Einführung der Helmpflicht 1992 der Veloverkehr schlagartig um 30% zurückging. In den 19 US-Staaten mit gesetzlichem Helmzwang schrumpfte die Velofraktion um 21%.

Je mehr, desto sicherer

«Die Sicherheit des einzelnen Velofahrers hängt von der Gesamtzahl aller Velofahrer ab», sagt Käthi Diethelm, Vorstandsmitglied der IG Velo Schweiz und Vizepräsidentin des Europäischen Radfahrer-Verbandes (ECF).

Anders formuliert: Je mehr die Autos, Lastwagen und Motorrädern auf den Strassen unter sich sind, desto gefährlicher wird es für Velofahrer. Und wenn weniger Leute Velo fahren, habe dies negative Auswirkungen auf die Volksgesundheit, so Diethelm.

Subjektives Sicherheitsgefühl

Ein weiteres Argument: Der Velohelm vermittle dem Träger oder der Trägerin ein falsches Sicherheitsgefühl. «Für Fachleute ist aber klar, dass das Rettungspotential von Velohelmen bei tödlichen Velounfällen sehr gering ist», begründet Diethelm.

Besonders stört sie, wenn in Diskussionen und Kampagnen der Eindruck erweckt wird, der Helm sei die einzig mögliche oder wichtigste Sicherheitsmassnahme für Velofahrer.

«So haben viele, die ohne Helm Velo fahren, ein schlechtes Gewissen und gar Angst.» Und das führe laut Polizeistatistiken zu mehr Konflikten.

Ganzheitlicher Ansatz

«Der Helm allein macht nichts aus. Verkehrssinn, Angst und Risikoverhalten sind andere wichtige Sicherheitsfaktoren», ist Diethelm überzeugt. Sie fordert deshalb differenzierte Untersuchungen zur Wirksamkeit von Helmen und anderen Sicherheitsmassnahmen.

Solche sind beispielsweise Tempo-30-Zonen, wo sich Radfahrer subjektiv sicherer fühlten, was auch die Unfallstatistiken bestätigten.

Partnerschaftliches und umsichtiges Verhalten im Verkehr, lautet eine wichtige Zielsetzung der IG Velo Schweiz. Das zu erreichen, propagiert sie Aus- und Weiterbildungen für Auto- und Velofahrer.

Basel als positives Beispiel

Dass Autofahrer durchaus lernfähig sind, weiss die Baslerin aus eigener Erfahrung: «In Basel fühlt man sich im Allgemeinen wohl auf dem Velo, weil vermehrt Rücksicht genommen wird.»

Schwieriger aber wird’s punkto Grundlagen-Material, welches eine differenzierte Analyse der Velounfälle erlauben würde. Da ist einmal der Umstand, dass Unfälle mit Radfahrern nicht wie bei den Autos in Simulationen empirisch erforscht werden können. Denn radelnde Dummies existieren erst in der Kinowerbung der Suva.

Datenmaterial muss also anderswo beschafft werden. So hat die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) das Tragverhalten und die Traggründe für Velohelme in einer Studie untersucht.

Resultat: Die Helmtragquote hängt stark mit Zweck der Fahrt und dem benützten Velo zusammen: Wer das Velo als Freizeit- und Sportgerät nutzt, trägt meist einen Helm, so ein Fazit.

Wer soll wann den Helm aufsetzen?

Diethelm plädiert dafür, die Unfallstatistik genauer aufzuschlüsseln, als dies heute geschieht. «Man müsste beispielsweise die Kilometerleistung oder die Zeit der verunfallten Velofahrer im Verkehr berücksichtigen.»

Und vor allem zwischen Alltags- und Freizeitverkehr trennen, «denn das sind zwei völlig verschiedene paar Schuhe». So liessen sich die Helm- und Sensibilisierungs-Kampagnen, welche die IG Velo im Prinzip befürwortet, auf die wichtigsten Zielgruppen quasi massschneidern.

Palette

Daneben gibts eine ganze Reihe von Fragen, welche bei einem Helmzwang im Raum stehen: Wie wird das Gesetz vollzogen? Wer instruiert die Velofahrer über das genaue Handling des Helms? Führt die Helmtragpflicht zu riskanterem Velofahren?

Zu bemerken gibts auch noch das: Der Helm ist nur in absolut unversehrtem Zustand funktionstüchtig. Schon ein kleiner Stoss genügt, dass das Styropor die Energie eines Schlages nicht mehr aufnehmen kann.

Spass muss bleiben

«Tragen Sie den Helm, wenn Sie sich damit sicherer fühlen, aber lassen Sie sich auf keinen Fall den Spass am Velofahren verderben», rät Diethelm.

Und wie hält sie es selber mit dem Helm? «Ich fahre sehr selbstbewusst, aber sehr vorsichtig Velo. Ich hatte schon Stürze, aber ich trage keinen Helm.»

swissinfo, Renat Künzi

In der Schweiz trägt rund ein Drittel aller Velofahrer einen Helm.
2003 starben 30 Velofahrer, 1500 erlitten teils schwere Hirn- und Schädelverletzungen.
Der Bund will die Zahl der Verkehrsopfer drastisch senken. Ziel: Bis 2010 unter 300 Tote und weniger als 3000 Schwerverletzte.
Zahlen 2003: 546 Tote, 5862 Schwerverletzte.

In seiner Verkehrssicherheits-Politik (Vesipo) schlägt das Astra 58 Massnahmen vor.

Darunter die Förderung des Helmtragens auf dem Velo.

Das Vesipo-Paket wird diesen Herbst von Experten und Politikern geprüft und Mitte 2005 dem Bundesrat vorgelegt.

Die IG Velo Schweiz befürwortet freiwilliges Helmtragen.

Velofahren wird sicherer, wenn Autofahrer mehr Rücksicht nehmen.

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