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Flavia Rigamonti, der Star, der im Wasser gross wurde

Ti-Press

Die Tessinerin Flavia Rigamonti möchte im Water Cube, dem spektakulären Schwimmstadion in Peking, ihre erste Olympiamedaille gewinnen. An Welt- und Europameisterschaften hat sie mehrfach Edelmetall geholt.

Mitte Juli ist die beste Schweizer Schwimmerin ihren Europarekord über 1500 Meter Crawl losgeworden. Im [H2O]3, wie das futuristische olympische Schwimmstadion Water Cube auch heisst, figuriert Rigamontis Spezialdisziplin nicht im Programm. Aber die Langstreckenspezialistin gehört auch über 800 Meter Freistil zu den Medaillenkandidatinnen.

“Es sind meine dritten und letzten Olympischen Spiele, aber es wie beim ersten Mal”, sagt die 27-Jährige voller Emotionen. “Mein Ziel ist es, im Rennen über 800 Meter auf dem Podest zu landen. Ich werde alles geben, um es zu erreichen!”

Rigamonti, die aus Breganzona stammt, schwimmt im “Wasserwürfel” auch die 400 Meter Freistil, wo sie im Juni einen neuen Schweizer Rekord aufgestellt hat.

Im Wasser gross geworden

Eine Olympiamedaille fehlt noch in Rigamontis Sammlung. An der Europameisterschaft letztes Jahr hat sie Gold über 1500 Meter gewonnen. Von mehreren Weltmeisterschaften ist sie mit Silber heimgekehrt. Erfolge, die der Lohn jahrelanger harter Trainingsarbeit sind.

Die Karriere Rigamontis, die eher zufällig zum Schwimmen kam, begann mit zehn Jahren. Davor nahm sie auch Tanz- und Reitunterricht. Durch ihre Grösse und kräftige Statur war sie aber von Anfang an für das Wasser prädestiniert. Heute ist die Tessinerin 1,85 Meter gross. Das jahrelange Training lässt sich auch an ihrer Armmuskulatur ablesen.

Ehrgeizig und fleissig

Mit 16 Jahren trainierte sie jeden zweiten Morgen bereits um sechs Uhr, bevor sie ins Klassenzimmer im Gymnasium wechselte. Abends kehrte sie ins Schwimmbad zurück. Danach warteten noch die Hausaufgaben.

“Sie war immer sehr ehrgeizig und mit 200 Prozent bei der Sache, um ihre Ziele zu erreichen”, erzählt ihr ehemaliger Trainer Christophe Pellandini. “Sie wusste, dass sie im Vergleich mit ihren gleichaltrigen Kollegen einen Zacken mehr drauf hatte.”

“Manchmal musste sie mich anspornen statt umgekehrt”, erzählt Pellandini schmunzelnd. “Wenn ich nicht am Rand des Beckens stand, machte sie mir Vorwürfe. Und oft musste ich bis spät abends bleiben, weil sie noch das Trainingsprogramm besprechen wollte.”

Auf die Krise folgten die Medaillen

Seit einigen Jahren hat die Tessinerin die amerikanische Stadt Dallas zu ihrem zweiten Zuhause gemacht. In Texas machte sie zwei Studienabschlüsse in Public Relations und Finanzmanagement sowie einen Master in Buchhaltung. Daneben absolvierte Flavia Rigamonti das harte Trainingsprogramm ihres Trainers Steve Collins.

Die Anstrengungen wurden belohnt. Bei den Weltmeisterschaften in Melbourne 2007 schwamm die 1500 Meter Freistil in 15:55,38: Neuer Europarekord und damals fünfbeste je geschwommene Zeit. Als erste Europäerin durchbrach sie die magische Barriere von 16 Minuten.

Es war wie eine Neugeburt, denn Rigamonti war nach einem Fahrradunfall 2003 in eine negative Phase gerutscht. Nach einem Armbruch hatte sie mehrere Monate aussetzen müssen. Bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 schied sie über 800 Meter Freistil bereits in den Vorläufen aus.

“Es braucht Zeit, um wieder ganz nach oben zu kommen, aber ich weiss, dass ich es schaffen kann, weil ich aus meinen Fehlern gelernt habe”, sagte Rigamonti damals. Sie hat ihr Versprechen gehalten.

Alt gegen jung

In Peking muss Flavia Rigamonti, die im Becken bereits zur “alten Garde” gehört, gegen die junge Konkurrenz behaupten. “Aufstrebende Athletinnen sind wie Wölfe eines Rudels, die angreifen wollen”, sagt Christophe Pellandini. Mit 18 Jahren könne man unendlich viele Kilometer abspulen – mit 26 Jahren werde dies schwieriger.

“Auf diesem Niveau geben minimale Unterschiede den Ausschlag, denn es handelt sich ausnahmslos um Ausnahmeathleten”, sagt Pellandini. Der Vorteil Rigamontis sei aber ihre Erfahrung.

Flavia Rigamonti ist immer noch sehr ehrgeizig. Vor Wettkämpfen hat sie keine Angst. “Es gibt Athleten, die Wettkämpfen aus dem Weg gehen. Sie kann sich hingegen daran begeistern. An den Olympischen Spielen in Sydney schwamm sie vor 50’000 Zuschauern, doch sie liess sich dadurch nicht einschüchtern. Ganz im Gegenteil – das gab ihr Kraft”, schildert Pellandini.

Vor neuer Karriere

Wichtig ist für Flavia Rigamonti, dass Water Cube der Adrenalinstoss zum richtigen Zeitpunkt kommt. So könnte ihr Name ein weiteres Mal im Goldenen Buch des Schwimmsports landen.

Es wäre vielleicht zum letzten Mal. Im Herbst startet Rigamonti bei einem international tätigen Beratungsunternehmen ihre neue, berufliche Karriere. Es wird für sie kaum ein Sprung ins kalte Wasser. Ob sie aber im Wasser weiter hart trainiert, hat sie noch nicht verraten.

swissinfo, Stefania Summermatter
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Am 1.Juli 1981 in Lugano-Breganzona (Kanton Tessin) geboren.

Beginn des Schwimmsports mit zehn Jahren. 1997 gewinnt sie ihren ersten bedeutenden Titel: Europäische Juniorenmeisterin.

Auf ihren bevorzugten Distanzen 800 und 1500 Meter Freistil gehört sie seit Jahren zur Weltspitze; an Welt- und Europameisterschaften gewinnt sie zahlreiche Medaillen.

Ihre grössten Erfolge: Gold über 800 Meter Freistil an der EM in Helsinki (2000) sowie in Eindhoven (2008); Silber über 1500 Meter Freistil an der WM in Fukuoka 2001, Montreal 2005 und Melbourne 2007.

2007 stellt Flavia Rigamonti in Australien in 15:55,38 einen neuen Europarekord über 1500 Meter Freistil auf. Der Weltrekord der US-Amerikanerin Kate Ziegler steht bei 15:42. Mitte Juli wurde Rigamonti als Europarekordhalterin von der Italienerin Alessia Filippi mit 15:52,84 entthront.

In Peking startet Rigamonti über 400 und 800 Meter Freistil. Die 1500 Meter gehören nicht zu den olympischen Disziplinen.

Zu den Olympischen Spielen vom 8. bis 24. August 2008 in Peking bringt swissinfo News, Porträts der Schweizer Stars, Interviews und Hintergründe über und aus China.

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