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Gedenkfeier für die “Gerechten der Schweiz”

1944: Flüchtlinge aus dem Elass an der Schweizer Grenze. Keystone

An einer Feier in Genf gedachten rund 500 Personen den zahlreichen unbekannten und bekannten Rettern von Juden im Zweiten Weltkrieg.

Bundespräsident Pascal Couchepin sprach den damaligen Fluchthelfern tiefen Respekt “für soviel Mut und Selbstlosigkeit” aus.

“Es ist reichlich spät, aber es ist gut, dass man daran denkt”, sagte August Bohny an der Feier zu seinen Ehren und zu Ehren all der Andern, welche – teilweise unter Lebensgefahr- Tausenden von Juden das Leben gerettet haben.

“Es ist spät”, stellte auch die ehemalige Bundesrätin Ruth Dreifuss fest. “Es gibt ein Bedürfnis der Geretteten, ihren Dank auszusprechen, und es gibt genauso das Bedürfnis der Retter nach Anerkennung.”

Diese Leute hätten damals als Individuen gehandelt. “Sie sind ihrer Überzeugung gefolgt, haben Menschen gerettet und dabei zivilen Widerstand geleistet.”

Der pensionierte Baselbieter Lehrer August Bohny stellte an der Feier fest: “Am Ende des Krieges und in den 20 oder 30 Jahren danach wollte keiner mehr über diese Geschichte reden, nicht einmal mehr in der Familie.”

Dorfbewohner halfen mit

Als junger Mann hatte Bohny in Frankreich ein Heim der “Schweizerischen Rotkreuz Kinderhilfe” geleitet. Im August 1942 widersetzte er sich einer Razzia von französischen Gendarmen und versteckte jüdische Kinder vor den Behörden. Die Kinder wurden später in die Schweiz in Sicherheit gebracht.

Während des Krieges eröffnete Bohny insgesamt fünf Kinderheime, in denen 600 Kinder lebten. Davon waren mehr als 120 jüdischer Abstammung. Sie konnten vor den Nazis und dem französischen Vichy-Regime flüchten.

“Wenn jeweils die Polizei kam, halfen uns die Dorfbewohner, die jüdischen Kinder zu verstecken. Das war einzigartig”, erinnert sich der 88-jährige Bohny.

Der Barbarei widersetzt

Die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verleiht seit 1963 Nichtjuden, die unter Einsatz ihres Lebens Juden vor der Nazi-Verfolgung retteten, die “Medaille der Gerechten”. In der Schweiz tragen rund 60 Personen eine solche Auszeichnung.

Auch Bohny gehört zu den Ausgezeichneten. “Das war mein Schicksal”, begründet Bohny heute seinen Einsatz. “Meine Eltern waren bescheidene Leute, aber sie haben immer andern geholfen. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie mir diese Begabung mit auf den Lebensweg gegeben haben.”

Bundespräsident Pascal Couchepin bezeichnete in seiner Rede die “Gerechten der Schweiz” als “Modell für uns und die folgenden Generationen. Diese Leute haben sich schlicht der Barbarei widersetzt. Sie haben den Mut und die innere Kraft gehabt, Nein zu sagen”.

Zeichen der Menschlichkeit

Rund 500 Personen haben laut dem Veranstalter “Coordination
Intercommunautaire Contre l’Antisémitisme et la Diffamation” an der Gedenkfeier teilgenommen.

Es gehe darum, die Erinnerung an jene Menschen wachzurufen, die in Europa während des Zweiten Weltkrieges mit ihren Taten die Flamme der Hoffnung nährten, erklärten die Veranstalter. Diese Menschen hätten ein Zeichen der Menschlichkeit gesetzt.

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)

Die Feier in Genf fand im Rahmen des Internationalen Gedenktages für die Holocaust-Opfer statt. Die UNO hat den Tag im Jahr 2005 eingeführt.

Im Rahmen des Gedenktages wurde am Montag in Genf zudem ein Buch vorgestellt, das auf die “Gerechten der Schweiz” eingeht.

François Wisard, Leiter des historischen Dienstes im Schweizer Aussenministerium, hat den Band “Les Justes Suisses” verfasst.

Das Werk wird in den Schweizer Schulen der Romandie gratis verteilt.

Die Ehrung “Gerechte unter den Völkern” wird aufgrund präziser Kriterien vergeben. Die Person muss sich durch ihre Tat selbst in Gefahr gebracht haben und ohne Eigeninteresse gehandelt haben.

Zeugen müssen die Ereignisse bestätigen.

Die Ehrung wird durch die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem seit 1963 an Nichtjuden verliehen.

Rund 21’000 Personen tragen die Auszeichnung, darunter sind 60 Schweizerinnen und Schweizer.

Unter den “Gerechten der Schweiz” gibt es wenige Beamte, aber viele Personen aus Kirchenkreisen. Fast die Hälfte sind Frauen.

Seit dem 1. Januar 2004 ist das neue Bundesgesetz über die Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus in Kraft.

Demnach werden die Strafurteile gegen Personen, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Menschen zur Flucht verholfen haben, aufgehoben.

Zudem werden die Flüchtlingshelfer rehabilitiert.

Für den Vollzug des Gesetzes ist die Begnadigungskommission des Parlaments zuständig.

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