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Gentechnik: Regeln, nicht verbieten

Weniger Schranken für die Forschung. swissinfo.ch

Seit Jahren ringt die Schweiz um Regeln für die Gentechnik in der Landwirtschaft. Nun kommt der Nationalrat Forschung und Industrie entgegen.

Das von Bauern und Konsumenten-Organisationen geforderte Moratorium für kommerzielle Freisetzung ist vom Tisch. Das letzte Wort wird wohl das Volk haben.

Wie in vielen Ländern Europas sorgt die Gentechnik in der Schweiz für rote Köpfe. Bereits im Sommer 1998, vor der Volksabstimmung über die restriktive Genschutz-Initiative, versprachen Politikerinnen und Politiker, rasch klare Leitplanken für die Gentechnik zu setzen.

Dann allerdings ging das Gezänk los: Auch nach dem Volks-Nein zur Initiative blieben die Fronten verhärtet, in Kommissionen wurde hart um Lösungen gefeilscht und entsprechende Vorschläge wieder zurückgewiesen.

In einer mehrtägigen Debatte hat sich nun die Grosse Kammer dem Thema angenommen – die altbekannten Gräben manifestierten sich erneut.

Kein Moratorium

Die Freisinnigen und die Liberalen warnten vor einem “Verhinderungsgesetz” und plädierten für wirtschaftsfreundliche Lösungen. Die Linke hingegen wies darauf hin, dass die Mehrheit der Schweizer “keinen Genfood will”.

In der Realität ist wegen dem Widerstand von Konsumenten-Organisationen und Bauern kaum anzunehmen, dass in der Schweiz in den nächsten Jahren kommerziell Gentech-Produkte angebaut werden.

Allerdings: Verbieten will das Parlament dies nicht grundsätzlich. Ein entsprechendes Moratorium, also einen Verzicht auf Zeit, haben die Abgeordneten mehrheitlich abgelehnt. “Ein Moratorium gibt ein falsches Signal an die umliegenden Länder und an die Forschung”, erklärte die Freisinnige Christine Egerszegi.

Fernand Cuche, Grüner und Bauernvertreter, appellierte vergeblich, die Bauern wollten nicht ein zusätzliches Risiko eingehen. Sekundiert wurde er von Hansjörg Walter von der Schweizerischen Volkspartei. “Wir wollen unsere ökologische Landwirtschaft nicht aufs Spiel setzen”, sagte der Präsident des Bauernverbandes.

Volksinitiative angekündigt

Es ist nicht anzunehmen, dass der Ständerat bei der Differenzbereinigung diesen Punkt noch ins Gesetz aufnehmen wird. Dennoch sei das Moratorium nicht vom Tisch, meldeten sich links-grüne Organisationen kurz vor Schluss der Debatte.

Die Gentech-Gegner kündigten eine Volksinitiative an. Die Volksvertreter hätten die Bedürfnisse von Konsumenten und Bauern in den Wind geschlagen, argumentierte Greenpeace.

Andere Exponenten sprachen davon, mit einem Referendum das ganze Paket bekämpfen zu wollen.

Haftung nicht in jedem Fall

Nicht nur wegen dem abgeschmetterten Moratorium sind die Kritiker erzürnt. Allgemein folgte die Ratsmehrheit den Argumenten der Wirtschaft mehr als Mahnungen zu Zurückhaltung.

So in der Frage der Haftung: Da bevorzugte der Nationalrat eine versicherungsfreundliche Produktehaftung.

Das bedeutet, dass die Hersteller von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht in jedem Fall für Schäden gerade stehen müssen. Verlängert wurde allerdings die Verjährungsfrist von 20 auf 30 Jahre.

Es waren jeweils knappe Mehrheiten, die zu den Entscheiden in diesem hochkomplexen Bereich führten. Hier ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen.

Ebenfalls noch nicht ganz geklärt ist die Frage des Verbands-Beschwerderechts bei Freisetzungen. Hier wird erst die Differenzbereinigung Klarheit schaffen. Die Hoffnungen von Umwelt-, Konsumenten- sowie Bauern-Organisationen auf das Rechtsmittel sind noch nicht definitiv begraben.

Zugunsten der Konsumenten sollen Bestimmungen über Deklaration und Warenfluss-Kontrolle erlassen werden. So soll ein Lieferant oder Produzent belegen müssen, dass Spuren von GVO in seinen Produkten unbeabsichtigt sind. Eine Regelung, die ihre Praxistauglichkeit noch beweisen muss.

Forschung ermöglichen

Das neue Gentechnik-Gesetz soll Forschung – beispielsweise auch Sicherheitsforschung – nicht verhindern. Da waren sich im Parlament grundsätzlich alle einig.

Um die Schweizer Forschung nicht ins “Offside” zu manövrieren, will der Nationalrat auch hier eine liberalere Linie fahren, als dies die Kleine Kammer vorgeschlagen hatte.

Die Forschung wird weniger strengen Regeln unterworfen als die Industrie. Für Forscher gelten strenge, aber erfüllbare Kriterien bei der Freisetzung von GVO für Forschungszwecke.

Definitive Entscheide noch nicht in Sicht

Beinahe in jedem Bereich – von Forschung über Haftung bis hin zu den Freisetzungs-Bedingungen – hat sich der Nationalrat in seiner mehrstündigen Debatte auf andere Lösungen geeinigt als es die Kleine Kammer vorgeschlagen hatte.

Deshalb geht das Geschäft nun zur Differenzbereinigung zurück an den Ständerat. Bereits ist absehbar, dass auch da die Quadratur des Zirkels nicht realisierbar sein wird.

Das hochemotionale Thema Gentechnik wird also wohl einmal mehr dem Volk vorgelegt werden.

swissinfo, Christian Raaflaub und Eva Herrmann

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