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Arabischer Film feiert das Reich der Sinne

Die Protagonistin im Film "Dunia" sucht ihre Sinnlichkeit im Tanz auszuleben. Affiche Dunia, de Jocelyne Saab, FIFF

Der Film "Dunia", der am Filmfestival Freiburg läuft, hat in der arabischen Welt heftige Proteste ausgelöst und der Regisseurin Todesdrohungen eingebracht.

Über Zensur, Sinnlichkeit und das Leben zwischen den Welten hat die Regisseurin Jocelyne Saab mit swissinfo gesprochen.

swissinfo: In Ihrem Film “Dunia” feiern sie in einer sinnlichen Bildsprache die Schönheit des Tanzes und des Körpers. Zugleich ist er eine scharfe Kritik an der sexuellen Beschneidung von Mädchen und an der Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Wohin zielen Sie?

Jocelyne Saab: Das dominante Thema des Films ist das Verlangen, die Lust. “Dunia” erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ihre eigene Lust nicht ausleben kann. Sie sucht mit allen Sinnen, in der Poesie, im Tanz, in der Musik, bei ihren Freundinnen und deren Erfahrungen. Der Film zeigt also eine Art Initiationsreise. Und zwar so weit, bis die Protagonistin sich ihren eigenen Tabus stellt. Bis sie sich bewusst wird, dass sie als Mädchen sexuell beschnitten wurde. Dieser Moment wird zum dramatischen Wendepunkt des Films.

swissinfo: Es gibt eine Szene im Film, in der Dunia zu ihrem Mann sagt: “Wenn du meinem Körper willst, nimm ihn, aber mein Kopf gehört mir allein.” Ist das nicht die Haltung einer Prostituierten?

Jocelyne Saab: In dem Moment fängt man an zu begreifen, dass sie ein körperliches Problem hat. Sie sagt, dass sie sich fühlt, als ob ihr Körper und ihr Geist getrennt wären. Denn ihren Körper hat man ihr durch die Beschneidung gleichsam genommen, so dass sie nichts empfindet. Deshalb besteht sie darauf, wenigstens das Vergnügen des Denkens, die Sinnlichkeit im Tanz, die Freude am Leben auszuleben.

swissinfo: Die Handlung ist in Kairo angesiedelt. Erzählen Sie eine typisch ägyptische Geschichte?

Jocelyne Saab: Die Geschichte ist von Ägypten inspiriert. Die sexuelle Beschneidung des weiblichen Körpers ist typisch für Ägypten, den Sudan und andere afrikanische Länder. Mit dem Islam hat das eigentlich nichts zu tun. Allerdings verwenden fundamentalistische Gruppen das Thema für ihre Zwecke, um den Frauen die Freiheit und Selbstbestimmung vorzuenthalten. Aber die Beschneidung ist illegal. In Ägypten ist sie gesetzlich verboten, und der Koran spricht nirgends davon.

swissinfo: Sie hatten allerdings grosse Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten in Ägypten. Warum?

Jocelyne Saab: Bereits auf der Ebene des Drehbuchs hat sich die Zensurbehörde eingeschaltet. Man hat mir Pornografie vorgeworfen, Antiislamismus, und die Verunglimpfung Ägyptens. Dann wollten plötzlich die Produzenten nicht mehr mitmachen, weil sie weitere Schwierigkeiten witterten und kein Risiko eingehen wollten. Schliesslich wurde den Schauspielern gedroht, sie würden durch diesen Film ihrem Ruf schaden.

swissinfo: Konnte der Film in Ägypten überhaupt gezeigt werden?

Jocelyne Saab: Ein einziges Mal wurde er vorgeführt, an einem Festival. Darauf gab es eine riesige Kontroverse. Die Verleiher bekamen es mit der Angst zu tun.

swissinfo: Wie erklären Sie sich das?

Jocelyne Saab: Das hat mit dem Thema der Frauenbefreiung zu tun. Die Selbstverwirklichung der Frau, die Sinnlichkeit, das Verlangen, das sind universelle Themen. Es geht im Film auch um die Beschneidung des Geistes, die in der ganzen arabischen Welt so provoziert hat.

swissinfo: Sie sind in Beirut geboren, leben aber seit langem in Paris. Wie hat Ihr Leben in Europa Ihre Haltung zur arabischen Welt beeinflusst?

Jocelyne Saab: Im Libanon treffen die Kulturen des Orients und des Okzidents aufeinander. Ich bin bereits in dieser weltoffenen Atmosphäre aufgewachsen. Der Libanon wird auch die Schweiz des Nahen Ostens genannt. In meinem Beruf als Künstlerin und Regisseurin schöpfe ich aus beiden Welten. Im Westen habe ich mir viele Fähigkeiten erworben, die Offenheit des Geistes, den Rationalismus, ich liebe die Vielfalt und die Erfahrungen, die mir hier geboten werden. Ebenso liebe ich den Orient. Aber ich leide auch im Nahen Osten, ich leide unter dieser Unterdrückung, dem Fundamentalismus, und ich kämpfe dagegen an.

swissinfo: Wie beurteilen Sie die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?

Jocelyne Saab: Die Schweiz ist einerseits mitten in Europa, andererseits wirkt sie manchmal etwas wie ausserhalb. Besonders hier in Freiburg spüre ich das Streben nach einer Offenheit des Geistes für alles, das bereichern kann, das Bedürfnis, gerade auch das Fremde zu begreifen.

swissinfo-Interview: Susanne Schanda, Freiburg

Jocelyne Saab wurde 1948 in Beirut geboren. Seit ihrem 18. Lebensjahr pendelt sie zwischen den Welten. 1985 hat sie sich in Frankreich niedergelassen, jedoch ohne den Nahen Osten je ganz zu verlassen. Früher arbeitete sie auch als Kriegsreporterin.

“Dunia” ist ihr dritter Spielfilm. In den Hauptrollen sind die ägyptischen Stars Hanan Turk und Mohammed Mounir zu sehen. Der Film, der die sexuelle Beschneidung der Mädchen anprangert und die Freiheit der Sinne feiert, hat in der arabischen Welt eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Regisseurin erhielt Todesdrohungen.

Die ägyptische Zensur versuchte den Film vorerst zu verhindern. Erst internationale Proteste riefen den Präsidenten Hosni Mubarak auf den Plan, der schliesslich grünes Licht gab.

“Dunia” von Jocelyne Saab läuft im Wettbewerb des Internationalen Filmfestivals Freiburg.
Der Film wurde von “Visions sud est” (DEZA, Trigon, Filmfestival Freiburg) subventioniert.
Trigon hat “Dunia” in den Verleih genommen und bringt den Film in die Schweizer Kinos.

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