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Papst geht – Probleme der Kirche bleiben

Papst Benedict XVI. nach einer Rede im deutschen Bundestag. Keystone

Mit seinem auf den 28. Februar angekündigten Rücktritt habe das Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., einen "mutigen" und "modernen" Schritt getan, schreibt die Schweizer Presse. Von seinem Nachfolger werden jedoch keine Reformen erwartet.

“Entzauberung des Vatikans”, “Tabubruch für die nächsten Jahrhunderte”, “Papst-Rücktritt als Chance?”, “Coup eines missverstandenen Papstes”, “Respekt für den Entscheid des Papstes”, “Die Erneuerung wird ausbleiben” oder “Papst-Rücktritt hinterlässt eine Hypothek”: So und ähnlich titeln am Dienstag die Schweizer Zeitungen.

Die Ankündigung von Papst Benedikt XVI vom Montag, er trete von seinem Amt zurück, sei ein “Vorfall, den man beinahe schon ein Jahrtausendereignis nennen muss”, schreibt die Basler Zeitung: “719 Jahre ist es her, dass Coelestin V. als erster Papst sein Amt niederlegte. Seine Abdankung im Dezember 1294 stellte einen Präzedenzfall dar, der sich bis zum gestrigen Tag nicht wiederholen sollte.”

Für die katholische Christenheit sei Benedikts Entscheidung keine gute Nachricht: “Dass der römische Oberhirte einfach zurücktritt, so wie ein Bundesrat oder der CEO eines Grosskonzerns, macht die Weltkirche ein wenig gewöhnlicher.”

Den BAZ-Kommentator ergreift daher eine gewisse Wehmut. “Der unaufhaltsame Prozess, den der Soziologe Max Weber als ‘Entzauberung der Welt’ bezeichnet hat, macht auch vor dem Vatikan nicht halt. Man muss kein Katholik sein, um darüber melancholisch zu werden.”

Der Pontifex Joseph Ratzinger aus Deutschland sei ein Ästhet und Platoniker, schreibt Der Bund. “Als Stellvertreter Christi auf Erden verkörperte er die Kirche, die allein über die absolute Heilsfülle verfügt.” Darum habe er als Papst alles darangesetzt, “die Schönheit Christi mit prachtvollen Gewändern aus Damast und Hermelin zu repräsentieren”.

Die schwindenden Kräfte des fast 86-Jährigen hätten aber am Selbstbild des “makellosen Hierarchen in Weiss” genagt. “Wie könnte ein gebrechlicher und hinfälliger Pontifex die Schönheit Christi abbilden? Nie hätte sich Ästhet Benedikt wie sein Vorgänger Johannes Paul II. in seiner Schwäche und Gebrechlichkeit gezeigt.”

Es sei ihm hoch anzurechnen, “dass er nun selber zur Einsicht gelangt, mit zunehmendem Alter das anspruchsvolle Amt nicht mehr ausfüllen zu können”, auch wenn seine Anhänger diesen Schritt noch so sehr bedauern würden.

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Schweizergarde

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Betritt man den Vatikan, fallen einem die päpstlichen Garden sogleich auf. Die Gala-Uniformen sollen, so heisst es, von niemand anderem als Michelangelo selbst entworfen worden sein. Die kleinste Armee der Welt hat heute noch einen wichtigen Auftrag, nämlich die Sicherheit des Papstes zu gewährleisten. Fotos: Monika Flückiger, Keystone

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“Respekt”

Auch die Südostschweiz zollt dem Pontifex “höchsten Respekt” für seinen “sensationellen Schritt”, “zumal er seinen Rücktritt mit seinen schwindenden körperlichen und geistigen Kräften begründet”.

Und die Neue Zürcher Zeitung findet es bemerkenswert, “dass gerade dieser Papst, der während seines nur achtjährigen, doch von vielen Skandalen und Polemiken überschatteten Pontifikats immer wieder als stockkonservativ oder gar als reaktionär gegeisselt wurde, nun geradezu modern handelte, indem er persönlich zum Schluss gelangte, dass er der Aufgabe, die ihm Gott anvertraut hatte, physisch nicht mehr gewachsen sei”.

Benedikt XVI. habe damit ein anderes Amtsverständnis gezeigt als sein Vorgänger, was aber spätestens seit der Veröffentlichung des Interviewbuches “Licht der Welt” 2010 bekannt gewesen sei. Darin habe er erklärt, “dass ein Papst das Recht und unter Umständen gar die Pflicht habe, zurückzutreten, falls er zur Erkenntnis gelange, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen könne”.

“Benedikt XVI hat zumindest seinen Abgang geschafft”, kommentiert die Westschweizer Zeitung Le Matin. “Indem er sein Amt abgibt, wird Benedikt XVI ein Mensch unter Menschen, mit seinen Stärken aber auch seinen Schwächen. Zumindest erlaubt er der Kirche, einen Nachfolger zu wählen, ohne die Zeit einer langen Agonie abwarten zu müssen. Ein erstaunlich moderner Diskurs für eine Institution, der es eklatant an Modernität mangelt. Wird sie erhört, ist die letzte Botschaft des Papstes ein Hoffnungsträger.”

Römisch Katholisch: 46.2%

Protestantisch: 40.7%

Keine: 7.4%

Muslimisch: 2.2%

“Unverstanden”

Während die meisten Schweizer Zeitungen dem Papst ihren Respekt für den Rücktritt zollen, gehen sie in der Einschätzung seiner Amtszeit wesentlich härter mit ihm ins Gericht.

“Dass Joseph Ratzinger nie Papst werden wollte, ist hinlänglich bekannt. An den Hebeln der Macht zu sitzen, machte ihm sichtlich keinen Spass”, schreibt der Blick.

“Hinter vorgehaltener Hand beklagten sich hochrangige Würdenträger in Rom, dass sich Benedikt nicht wirklich für die Niederungen der Kirchenpolitik interessiere. Seltsam entrückt wirkte er manchmal.”

Für viele sei der Bayer mit der Fistelstimme und dem schlohweissen Haar ein “knochentrockener, unzugänglicher Theologe” geblieben. “Falls das Kardinalskollegium jetzt einen Charismatiker zum 266. Nachfolger Petri ernennt, dürfte sich der Wirbel um Benedikts Rücktritt schneller legen als vermutet.”

Benedikt sei mit seiner Art “ein unverstandener und missverstandener Papst” geblieben, “der an den Menschen vorbeiregierte”, so das St. Galler Tagblatt. “Er irritierte als Intellektueller, der zugleich die Moderne ablehnte und ihre ‘Diktatur des Relativismus’ kritisierte”.

Papst Benedikt habe die Katholische Kirche auf ein festes Fundament stellen und gestärkt ins neue Jahrtausend führen wollen, schreibt die Südostschweiz. Doch daraus sei nichts geworden. “Im Gegenteil. Zu den Skandalen wegen sexuellen Missbrauchs durch Priester und wegen Vatileaks, der Weitergabe streng vertraulicher Dokumente aus der engsten Umgebung des Papstes, bleibt ein Schatten über der achtjährigen Amtszeit von Benedikt XVI.”

“Weltkonzern sucht Führung”

Für die Nachfolge von Papst Benedikt sieht der Grossteil der Presse eine “Hypothek”. Der Papst hinterlasse keine geeinte Kurie, “vielmehr eine, die in rivalisierende Flügel und Seilschaften gespalten ist”, so Der Bund. Auf einen Neuerer zu hoffen, der heisse Eisen aufgreife und den Reformstau der Kirche löse, wäre vermessen: “Benedikt XVI. hat sein Haus bestellt und dafür gesorgt, dass die römisch-katholische Kirche eine konservative Institution nach eigenen Gesetzen bleibt, die sich an der säkularen Gesellschaft reibt.”

Sein Kurs werde “wie ein lebendiger Schatten” eine Verpflichtung für den neuen Papst bleiben. “Insofern ist der Papst-Rücktritt bei allem Respekt auch eine Hypothek, die die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch nicht gerade zu stärken vermag.”

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