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Schwarzarbeit: nicht nur eine Betrugsgeschichte

Die Schattenwirtschaft macht fast 10% des Bruttoinlandprodukts der Schweiz aus. Keystone

Schwarzarbeit erlaubt vertragslosen Arbeitern nicht nur, Steuern und Sozialbeiträge zu umgehen, sondern auch ihre Anstellungsfähigkeit und Würde zu erhalten. Zu diesem Schluss kommt eine breite Studie von Soziologen der Universität Neuenburg.

“Die finanzielle Unsicherheit ermutigt Dich, schwarz zu arbeiten. Wenn Du unter konstantem Druck lebst, wie Du den Monat finanziell über die Runde bringen sollst, ist es meiner Meinung nach absolut gerechtfertigt, eine nicht deklarierte Arbeit anzunehmen.”

Fabio*, 30 Jahre als, ist als Freischaffender im Kulturbereich tätig. Wie rund 60 weitere Personen hat er sich einem Trio von Soziologen der Universität Neuenburg anvertraut.

Die breit angelegte Studie “Schwarzarbeit: wie es dazu kommt und wie man wieder herausfindet” wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.

Sie kommt vier Jahre, nachdem das Bundesgesetz über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit in Kraft getreten ist. Das Gesetz, das von einer gross angelegten Informationskampagne begleitet wurde, will die Schwarzarbeit eindämmen.

Auch wenn die Schweiz von diesem Phänomen im Vergleich mit süd- oder osteuropäischen Ländern relativ wenig betroffen ist, ist die Politik dennoch seit 20 Jahren wegen der Schwarzarbeit besorgt.

“Schwarzarbeit hat es schon immer gegeben”, sagt François Hainard, Direktor des Instituts für Soziologie der Universität Neuenburg und Ko-Autor der Studie. “Doch seit den 1990er-Jahren sorgt sich der Bund immer mehr um seine Einnahmen. Gleiches gilt für die Sozialversicherungen, die in Finanzierungsnöte geraten sind und deshalb daran sind, Beiträge aufzuspüren, die ihnen allenfalls entgangen sind.”

Schwierige Eingliederung

Parallel zu dieser Jagd auf Betrüger ist der Sozialstaat immer schwächer geworden. Dies kann man beispielsweise anhand der immer geringeren Leistungen der Arbeitslosen-Versicherung feststellen, während ein immer grösserer Anteil der Bevölkerung Mühe hat, sich in die Arbeitswelt einzugliedern.

Ein Cocktail, der laut den Autoren der Studie, grösstenteils die Hinwendung zur Schwarzarbeit auch von Personen erklärt, die über alle Rechte und Papiere in der Schweiz verfügen.

Das Phänomen betrifft nicht nur die traditionellen Sektoren wie Hotellerie, Gastronomie und Bauwirtschaft, auf die immer wieder mit dem Finger gezeigt wird. In der Studie erwähnt werden auch die Welt der Kunst und Kultur, das Handwerk, der Computer-Support und intellektuelle Tätigkeiten (namentlich Übersetzungen).

“Eine erhöhte Unsicherheit und die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation sind zentrale Elemente, welche die Leute in die Schwarzarbeit drängen”, sagt Hainard.

In Interviews mit Betroffenen stiessen die Soziologen oft auf schwierige Lebensläufe. Besonders ein Aspekt ist den Autoren aufgefallen: Die Würde, die viele Befragten zur Rechtfertigung ihrer Schwarzarbeit erwähnten.

Wie Anne*, 35 Jahre, die nach zahlreichen Perioden von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe-Abhängigkeit eine Arbeit als Serviceangestellte angenommen hat, um wieder in die Arbeitswelt einsteigen zu können: “Es ging mir mehr darum, den Fuss reinzuhalten, um bestimmte Dinge wieder zu lernen. Aber auch für mein Ego, denn die Abhängigkeit von den Sozialdiensten hatte mich verbittert.”

Aktiv und vermittelbar bleiben

“Viele Menschen gehen einer Schwarzarbeit nach, weil sie diese nur als kleineres Vergehen einschätzen und sich sogar schlau finden, weil sie so der starken Stigmatisierung entgehen können, die Personen anhaftet, die unterstützt werden”, sagt Hainard.

Zudem erlaube eine Arbeit, auch wenn sie illegal sei, Fachwissen und ein Netzwerk im Arbeitsmarkt zu erhalten. Kompetenzen, die für eine sofortige Vermittlungsfähigkeit von grossem Nutzen sind.

Manchmal wird die Annahme einer Schwarzarbeit auch mit zu tiefen Löhnen begründet. Dieses Argument hat eine gewisse Aktualität, weil sich das Schweizer Stimmvolk in nächster Zeit über die Einführung eines Mindestlohnes auf nationaler Ebene äussern soll.

“Es ist normal, dass Sie, wenn Sie einen Lohn erhalten, der Ihnen auch bei Vollbeschäftigung nicht zum Leben ausreicht, auf andere Weise versuchen, zu zusätzlichem Geld zu kommen”, so Hainard.

Und viele versuchen auf eigene Faust, eine Lösung zu finden, ohne dass sie sich an die offiziellen Stellen oder Hilfsorganisationen wenden. “Wie wollen Sie mit 2000 Franken im Monat leben? Klar nehme ich ein Risiko auf mich. Aber wie auch immer, ich brauche dieses Geld”, sagt der 30-jährige Pascal*, der in der Hotelbranche tätig ist.

“Zu repressives Gesetz”

Die Studie zeigt noch ein weiteres Problem auf, nämlich die Auswirkungen eines steigenden Einkommens auf die Steuerbelastung. “Einige Leute werden dazu verleitet, Teile ihres Einkommens zu verstecken, um in einer gewissen Einkommensklasse zu bleiben, die ihnen Zugang zu verbilligten Krankenkassenprämien ermöglicht”, erklärt François Hainard.

Auch wenn die Wissenschafter anerkennen, dass die Schwarzarbeit ein Geschwür sei, das sowohl der Wirtschaft wie auch den Arbeitnehmenden schade, zeigen sie sich kritisch gegenüber einem Bundesgesetz, das “zu repressiv ist und oft die Gründe verschleiert, warum jemand in die Schwarzarbeit gedrängt wird”.

Eine Feststellung, die bei dieser Sozialhilfe-Empfängerin auf Zustimmung stösst: “Ich bin damit einverstanden, dass man die Profiteure verfolgt, aber nicht die Babysitter, die Haushaltshilfen, die Putzfrauen. Die machen es nur, um zu überleben.”

Oft hegen schwarz Arbeitende ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Sozialdiensten; ein Argument, das man oft hört. Wie kann man dieses entkräften?

“Man müsste zuallererst die Arbeitnehmenden über die Risiken informieren, die sie eingehen, wenn sie keine Beiträge an die Sozialwerke entrichten. Beispielsweise, indem man ihnen die Verluste vorrechnet, die sie auf ihrer Altersrente zu gegenwärtigen haben”, sagt Ko-Autor Hainard.

* Namen geändert

Die Studie Le travail au noir – Pourquoi on y entre, comment on y sort (Schwarzarbeit: wie es dazu kommt und wie man wieder herausfindet) wurde im Verlag L’Harmattan veröffentlicht.

Verfasst wurde sie von Jérôme Heim, Patrick Ischer und François Hainard, drei Wissenschaftern des Soziologischen Instituts der Universität Neuenburg.

Das Werk basiert auf einer empirischen Studie, die in der französischsprachigen Schweiz durchgeführt wurde. Die Autoren befassen sich mit den Ursachen, welche Angestellte, Kleinunternehmer und Sozialhilfe-Empfänger dazu verleiteten, schwarz zu arbeiten, obwohl sie legal arbeiten könnten.

Das Ausmass der Schwarzarbeit zu quantifizieren, ist schwierig. Gemäss offiziellen Schätzungen aus dem Jahr 2007 dürfte sie in der Schweiz 9% des Bruttoinlandprodukts (BIP) ausmachen, das sind 39 Mrd. Fr. Diese Zahl beinhaltet allerdings auch illegale Aktivitäten wie Drogen- oder Waffenhandel.

Laut einer Studie aus Brüssel von 2004 gibt es innerhalb der Europäischen Union in Sachen Schwarzarbeit grosse Unterschiede.

In Holland und Schweden etwa liegt sie bei unter 5% des BIP, in Deutschland und Frankreich bei knapp 6%. In Italien hingegen dürfte sie über 16% liegen, in Griechenland bei 20% und in Bulgarien und Rumänien noch höher.

In einem Bericht der OECD aus dem Jahr 2008 heisst es, dass “informelle Arbeitsverhältnisse und nicht deklarierte Arbeit für den Arbeitsmarkt von Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen ein grosses Problem darstellen. Dies führt beim Schutz der Betroffenen zu Ängsten und behindert die Erhöhung von Produktivität und Wachstum”.

Das Bundesgesetz gegen Schwarzarbeit (BGSA) ist nach dreijähriger Debatte im Parlament am 1. Januar 2008 in Kraft getreten.   

Der Begriff Schwarzarbeit ist darin nicht klar definiert. Erwähnt sind vor allem die Pflichten der Arbeitgeber gegenüber ihren Angestellten, wie die Meldung bei der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), der Arbeitslosen-Versicherung (ALV) und den Steuerbehörden.

Kontrollen: Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wurden in den Kantonen 67 Inspektoren eingestellt, um gegen Schwarzarbeit vorzugehen.

Sie kontrollierten insgesamt 12’223 Unternehmen und 37’001 Personen. Die Zahl der Gesetzesverstösse verdoppelte sich gegenüber dem Jahr 2009.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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