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Gesundheitswesen: Schweiz könnte es besser machen

Empfehlungen zur Gesundheit: (v.l.n.r.) OECD-Direktor John Martin, BAG-Direktor Thomas Zeltner, WHO-Direktor Europa Marc Danzon. Keystone

"Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, aber vielleicht nicht so gut, wie wir immer zu sein meinen", kommentierte der Direktor des Bundesamts für Gesundheit einen Bericht von OECD und WHO.

Laut Thomas Zeltner sind die Empfehlungen der internationalen Experten zum grössten Teil bereits geprüft.

Nach Ansicht der beiden internationalen Organisationen weist die Schweiz Mängel in der Prävention auf. Weiter fehle es einer Vision auf nationaler Ebene.

Das Fazit der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bestellten unabhängigen Expertise war bereits am Dienstag publik geworden. Bei der offiziellen Präsentation trugen es nun am Donnerstag in Bern Vertreter der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) und der Weltgesundheits-Organisation (WHO) nochmals vor: Das Schweizer Gesundheitssystem ist teurer und trotzdem nicht effizienter als jenes anderer Länder.

“Wir zahlen für den guten Gesundheitszustand, die hohe Zufriedenheit und den guten Zugang zu medizinischen Leistungen einen sehr hohen Preis”, bestätigt BAG-Chef Zeltner. Es gehe darum, Kosten und Nutzen im Griff zu behalten und so ein von der Bevölkerung gewünschtes System in die Zukunft zu retten.

Vielfalt ist auch ein Reichtum

Laut Zeltner ist vieles im Gang, was der Bericht empfiehlt. In einem institutionalisierten Dialog bemühten sich Bund und Kantone um eine kohärentere Führung des Systems.

Offen sei, ob es dazu einen neuen Verfassungsartikel brauche. Man warte nun den Beschluss des Nationalrates zum Gegenvorschlag ab, mit dem der Ständerat die Prämiensenkungs-Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) konfrontieren will.

Die gesundheitspolitische Vielfalt mit 26 kantonalen Systemen sei aber “auch ein Reichtum”, sagte Zeltner. “Die bisherigen Schritte in der Drogenpolitik hätten wir mit einer nationalen Steuerung nie machen können.”

Kantonale “Pilotversuche” – auch beim Rauchen etwa – machten die Schweiz zum Labor für die internationale Wissenschaft.

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Krankenversicherung

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Seit 1996 das Krankenversicherungs-Gesetz (KVG) in Kraft ist, muss sich jede in der Schweiz wohnhafte Person obligatorisch bei einer Krankenkasse für die Krankenpflege versichern. Die Kassen werden privatwirtschaftlich geführt. Die Versicherten sind in der Wahl des Krankenversicherers frei. Dieser muss einen Versicherten annehmen, unabhängig von dessen Alter und Gesundheitszustand. Die Tarife sind je nach Kanton…

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Heisses Eisen Vertragsfreiheit

Die Verbesserung der Finanzierungsmechanismen sei das zentrale Thema der laufenden KVG-Revision, sagte Zeltner. Allem voran müsse nun die neue Spitalfinanzierung mit den Fallpauschalen unter Dach kommen. Sodann gelte es, zusammen mit dem Kantonen die Grundversorger – das heisst die Hausarztmedizin – zu stärken.

Auch der Forderung nach mehr Wettbewerb schloss sich Zeltner an. Mit dem “sehr heissen Eisen” Vertragsfreiheit der Kassen gegenüber Ärzten und Spitälern komme man im Parlament aber derzeit nicht voran. Der Risikoausgleich dürfe nicht so weit kompliziert werden, “dass das daraus eine weitere Tinguely-Maschine wird”.

Entwicklungsland in Sachen Prävention

Den Ruf nach verstärkter Gesundheitsförderung und Prävention hörte Zeltner gerne: “Hier sind wir ein Entwicklungsland.” Ein Gesetzesentwurf liege bei Bundesrat Pascal Couchepin.

Die von den Experten gerügte Verzettelung der Massnahmen müsse überwunden werden. Für Gesundheitsförderung und Prävention brauche es zudem “etwas mehr” als die heutigen 2,2%.

“Eines der grossen Zukunftsthemen” ist für den BAG-Direktor die Verbesserung der Qualität. Der erste Schritt dazu sei mehr Transparenz: Mit einer Gesetzesrevision müssten die Behörden endlich Zugang zu den Statistiken der Ärzte und der Versicherungen erhalten.

Als letzten Punkt nannte Zeltner in seinem Tour d’horizon die Chancengleichheit. Im kurativen Bereich sei diese dank dem Krankenversicherungs-Gesetz (KVG) gegeben.

Anders sehe es bei den Lebensumständen mit der Kluft zwischen Reichen und Armen, Gebildeten und Ungebildeten aus. “Wir müssen schauen, dass es nicht zu einer Zweidrittelsgesellschaft kommt.”

swissinfo und Agenturen

Die Schweiz verwendet 11,5% ihres Bruttoinland-Produktes (BIP) für das Gesundheitswesen.
2003 haben die Kosten 49-Mrd.-Franken-Grenze überschritten.
In den OECD-Ländern ist der BIP-Anteil am Gesundheitswesen 8,8%.
Zwischen 1990 und 2004 sind die Gesundheitskosten jährlich um durchschnittlich 2,4% angestiegen – in den anderen OECD-Ländern um 1,5%.

In der Schweiz kann man nicht von einem einheitlichen System sprechen, es gibt 26 kantonale Systeme mit verschiedenen Unkostenprofilen, Angeboten und Modellen, wie die öffentliche Gesundheit organisiert wird.

So kann zum Beispiel jeder Kanton für sich seine Gesundheitsdienste (Spitäler, Altersheime) planen – oder diese Kompetenzen an die Gemeinden delegieren. Dies führt zu einer grossen Bandbreite im Bereich der öffentlichen Gesundheitsausgaben.

Beim Versicherungssystem hat sich die Schweiz weder wie Italien oder Grossbritannien für ein nationales Gesundheitssystem entschieden, noch wie Frankreich oder Deutschland für ein allumfassendes Versicherungs-System.

Das Schweizer Modell basiert auf einer obligatorischen Versicherung im Basisbereich, die jedoch dem Wettbewerb unterworfen ist.

Die Krankenversicherung deckt einen identischen Katalog von Leistungen für alle, wird aber von zahlreichen (Kranken-)Versicherern in Konkurrenz untereinander angeboten.

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