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Handicap International zur Grausamkeit von Streubomben

Auf einer Strasse in Tibnin, Südlibanon: Eine nicht explodierte Streubombe. Keystone

Im Parlament wird bald über eine Initiative für ein Streubomben-Verbot debattiert. Diese Bomblets mit hohem Blindgänger-Anteil explodieren oft lange nach Einstellung der Kriegshandlungen.

Laut einer von Handicap International erstellten Studie würde die humanitäre Politik der Schweiz mit einem Verbot an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Im Vorfeld der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf und der Behandlung einer parlamentarischen Initiative des freisinnigen Genfer Nationalrats John Dupraz hat die nichtstaatliche Organisation Handicap International die Resultate der Studie “Tödliche Spur – die weltweiten humanitären Auswirkungen der Streumunition” publiziert.

Die Studie wurde am Donnerstag in Bern präsentiert. Laut der Studie häufen sich die tödlichen Unfälle und Verstümmelungen erst nach Ende eines Konflikts, wenn die “Blindgänger” nachträglich explodieren.

Dies käme einer Art nachträglicher Kriegshandlung gegen die Zivil-Bevölkerung gleich.

98% zivile Opfer

98% der Opfer der explodierten Blindgänger waren laut der Studie keine Militärpersonen und nicht Zielscheibe des Konflikts. 27% davon waren Kinder.

Die meisten dieser Menschen wurden von den explodierten Streubomben verletzt oder getötet, als sie an den gewohnten Orten ihrer täglichen Arbeit nachgingen.

Der Gefahr am stärksten ausgesetzt sind die männlichen Bewohner der jeweiligen Region. 84% der Opfer in der Studie waren männlich, 40% davon jünger als 18 Jahre.

In Kosovo oder Kambodscha zum Beispiel bildeten die Jungen die grösste Gruppe. Die Verseuchung mit Streubomben wirkt sich auch direkt negativ auf die Wirtschaft aus.

Schweizer Munition, mit Israel entwickelt

Die Schweiz verfügt über rund 200’000 Streumunitions-Systeme für Panzerhaubitzen und schwere Minenwerfer – so genannte Kanistermunition. Diese Granaten verfügen über Doppelzünder, die bei der 1. Detonation 98% der Bomblets (Streumunition) zur Explosion bringen. Nach der 2. Detonation sollten nur einige Promille zurückbleiben.

Nach Angaben Paul Vermeulen, Direktor von Handicap International Schweiz, handelt es sich bei der Schweizer Munition um das mit Israel entwickelte Modell M85.

Die Zahlen der in diesem Sommer im Süd-Libanon gefundenen M85-Blindgänger bewiesen, dass dieser Mechanismus keine glaubwürdige Lösung für den Schutz der Zivilbevölkerung ist.

Verbot im Nationalrat umstritten

Mit der von 42 Nationalräten aus allen Regierungsparteien und den Grünen unterzeichneten Initiative will Dupraz ein Verbot von Streubomben im Kriegsmaterialgesetz (KMG) erwirken.

Doch die Sicherheitspolitische Kommission (SIK) des Nationalrats empfiehlt die Initiative mit 14 zu 9 Stimmen zur Ablehnung. Die Kommissionsmehrheit teile zwar die humanitären Bedenken des Initianten, sei aber der Meinung, der zweifache Selbstvernichtungs-Mechanismus der Schweizer Munition genüge.

Zudem hätte ein Vorprellen der Schweiz keinerlei multiplizierende Wirkung, wie dies bei den Antipersonenminen der Fall gewesen sei, hiess es.

Die Minderheit sei der Aufassung, ein Verbot der Streubomben würde die humanitäre Politik der Schweiz stärken. Als Depositärstaat der Genfer Abkommen komme der Schweiz eine besondere Rolle zu. Sie würde sich zu Belgien gesellen, das die Streumunition bereits verboten hat.

swissinfo und Agenturen

Die Streubomben-Studie der NGO basiert auf über 11’000 bestätigten und analysierten Opferfällen in 24 Ländern und Regionen der Welt.
98% der Opfer waren Zivile, davon 27% Kinder.
Die Schweizer Armee verfügt über rund 200’000 solcher Streubomben.
Die Internationale UNO-Abrüstungskonferenz findet vom 7. bis 17. November in Genf statt.

Bomben mit Streumunition sind Hightech-Munition und bestehen aus einem Behälter (Bombe, Rakete, Granate).

Dieser ist je nach Modell mit einem Dutzend bis mehreren Hundert Mini-Bomben, den so genannten Streumunitionen oder Bomblets, bestückt.

Streubomben werden von Kampfflugzeugen, Kanonen, Haubitzen, Raketenwerfern oder Minenwerfern abgeschossen.

Der Behälter öffnet sich in der Luft und stösst die Bomblets aus, die beim Kontakt mit dem Boden oder dem anvisierten Ziel explodieren.

Nach Schätzungen von Handicap International explodieren 15 bis 40% der Bomblets nicht sofort und bleiben oft als Blindgänger liegen.

Wie Antipersonenminen können sie noch nach Jahrzehnten beim geringsten Kontakt explodieren.

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