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Hexen in der Schweiz – ein trübes Kapitel

Alte Darstellung einer Hexenverbrennung
Die Schweiz hat 6000 Hexen verbrannt. Keystone

Nach dem Kanton Glarus hat nun auch der Kanton Freiburg "seine" letzte Hexe rehabilitiert, die 1731 verbrannt wurde. Ein solches Ereignis ist ein willkommenes Thema für die Medien. Die Schweiz ist europäische Rekordhalterin in Sachen Hexenverfolgung.

Katastrophen und Epidemien bedurften im Mittelalter einer Erklärung. Schuldige mussten her, also suchte man Sündenböcke.

Dazu eigneten sich Menschen, die sich mit Magie beschäftigten.

Man warf ihnen vor, einen Pakt mit dem Teufel gegen das Christentum geschlossen zu haben.

Rebellinnen und Aussenseiterinnen galten schnell als Hexen. Sonderbares Verhalten nährte den Verdacht in der Bevölkerung, und schon schritt die Obrigkeit zur Tat – die Jagd war eröffnet.

Hexen und Terroristen

Wollte man eine Hexe bestrafen, so brauchte es ein Geständnis. Beine brechen, Nägel ausreissen, Wasserfolter – die Methoden waren fantasievoll und die Instrumente raffiniert, wie eine aktuelle Ausstellung in Murten (Kanton Freiburg) anschaulich zeigt. Man begreift, warum Geständnisse schnell zustande kamen.

Religiöser Fanatismus und die Folter “machten” Hexen erst zu Hexen, das ist unbestritten.

“Dieses überhöhte Hexentum, durch die Machthaber herbeifantasiert, gleicht stark der amerikanischen Ideologie im Kampf gegen den Terrorismus”, sagt Kathrin Utz Tremp, Privatdozentin an der Universität Lausanne. “Ich stelle die Attentate keinesfalls in Abrede, doch George W. Bush hatte sie zu einem Mythos idealisiert, um die Folter zu rechtfertigen.”

Die Wasserfolter kam in allen Jahrhunderten zur Anwendung, das Waterboarding in den Gefängnissen der CIA ist also beileibe nichts Neues.

Die ausgewiesene Spezialistin schätzt, dass in Europa zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert 30’000 bis 60’000 Hexen verbrannt wurden, darunter 6000 in der Schweiz und 300 in Freiburg.

Das ist ein Rekord, sogar ein zweifacher. “Freiburg hat seit 1429 am drittmeisten Hexen verbrannt und die Freiburger Behörde war die erste, die Hexenprozesse ohne religiöse Inquisitoren durchführte”, unterstreicht die Mediävistin.

Der Teufel ist westlich

Am Anfang war es die katholische Kirche, unterstützt von den weltlichen Behörden, die vorerst die Häretiker und dann die Magie verfolgten. Daraus entwickelte sich die ideologisierte, bizarre Hexenjagd.

Die Inquisition, so Utz Tremp weiter, “brauchte eine Art Gegenwelt, regiert vom Teufel, auch wenn diese Welt mit der Wirklichkeit nichts gemein hatte”. Im 16., aber vor allem im 17. Jahrhundert geht die Macht von den Inquisitoren an die politischen Behörden über.

Sie entschieden, dass die mehr oder weniger harmlose weisse Magie so wie die schwarze Magie auf einem bedingungslosen Pakt mit dem Teufel beruhe.

Kirche und Staat – gleicher Kampf

Die Prozesse der Kirche gegen die Häretiker führten später zu den Hexenprozessen, geführt von weltlichen Behörden. Sie benutzten das Hexentum, um besonders in ländlichen Gebieten ihr Territorium zu sichern und die Gerichtsbarkeit durchzusetzen.

Im 15. Jahrhundert richteten sich diese Prozesse mehrheitlich gegen Menschen, die sich weder der Kirche noch den politischen Machthabern unterwarfen. Ihr revoltierendes Verhalten hatte eindeutig politischen Charakter.

Als sich die Macht der politischen Behörden im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert gefestigt hatte, wurden die Hexenprozesse zunehmend als Mittel für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung eingesetzt. “Da ging die grosse Hexenjagd erst richtig los”, sinniert Kathrin Utz Tremp.

70 bis 80% der Opfer dieser Jagd waren arm, ledig und weiblich, so wie Catherine Repond alias “Catillon”, die letzte Hexe, die in Freiburg verbrannt wurde.

Eine Geschichte der Grenzen

Die Historikerin unterstreicht, dass die Repression in der Westschweiz viel ausgeprägter war. “Die Kirche geriet in Konflikte mit der Laienbewegung der Waldenser, die sie als Häretiker verfolgte. In der Deutschschweiz jedoch gab es keine Inquisition. Hier wurde vielmehr die Weisse Magie bekämpft.”

In den Kantonen Wallis und Freiburg spielte die Religion immer eine massgebliche Rolle. “Vor allem im Kanton Freiburg existierte eine Art Gegen-Geschichte, darum trägt die Geschichte dieses Kantons oft reaktionäre Züge. Dies zeigt sich besonders eindrücklich Ende des 16. Jahrhunderts, im Zuge der Gegenreformation. Die Verfolgungen waren extrem hart und basierten auf einer strenggläubigen Orthodoxie.”

Doch es gibt auch eine politische Erklärung, präzisiert die Mediävistin: Je zentraler der Staat, (wie Frankreich unter Ludwig XIV), desto weniger Mühe hatte er, seine Autorität durchzusetzen und neigte folglich auch weniger zu Verfolgungen. Die Schweiz ist und war immer schon (politisch und konfessionell) sehr zergliedert, ebenso wie das Deutsche Reich.

“Im Kanton Freiburg gab es die meisten Verfolgungen im Broyebezirk, der aus einem Gewirr von kleinen, katholischen und protestantischen, deutsch- und französischsprachigen Gemeinden bestand. Je mehr Grenzen, desto höher die Zahl der Hexenverbrennungen.”

Vom Scheiterhaufen zum Märchen

Die moralische Rehabilitation der Hexe “Catillon” durch das Freiburger Parlament rief in den Medien ein grosses Echo hervor und weckte in der Öffentlichkeit ein grosses Interesse am Schicksal dieser Frau.

Sie war bucklig, arm, alt, allein – eine Aussenseiterin, die exakt dem Bild der Hexen aus den Märchen der Gebrüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert entsprach.

Glücklicherweise können die heutigen Hexen ruhig schlafen, denn niemand interessiert sich mehr für sie, schliesst lachend Kathrin Utz Tremp.

“Heute wäre der Prozess der ‘Catillon’ nach fünf Minuten vertagt und es wäre eher der Henker, der Probleme hätte! Zudem gibt es heute kein Gesetz mehr, das den Ritt auf dem Besen verbietet… falls jemand das tun möchte!”

Isabelle Eichenberger, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Französischen Christine Fuhrer)

swissinfo.ch präsentiert ab nächstem Montag, 3. August, das Special “Die Schweiz der Rekorde” mit zahlreichen interessanten Artikeln und multimedialen Angeboten.

Als Häresie betrachtet, wird die Hexerei nach 1500 kriminalisiert. Die meisten Prozesse werden jedoch erst im 17. Jahrhundert durch die weltlichen Behörden durchgeführt.

In Freiburg wird Catherine Repond (alias Catillon) 1731 als letzte Hexe verbrannt. Der Kanton rehabilitierte sie zwar moralisch im Mai 2009, lehnte jedoch einen Kredit für die historische Forschung ab.

Die letzte Hexe, die in der Schweiz und Europa hingerichtet wurde, war 1782 Anna Göldi in Glarus. Sie wurde im Jahr 2008 rehabilitiert.

Zwischen 1429 und 1731 wurden in Freiburg 500 Hexer und Hexen, in der Schweiz 10’000 verurteilt, davon 6000 in der Westschweiz.

Zwischen 70 und 80% waren Frauen, in 60% der Fälle war das Urteil der Scheiterhaufen.

In Europa starben zwischen 30’000 und 60’000 Menschen auf dem Scheiterhaufen, darunter 25’000 in Deutschland.

Die Romandie nimmt mit 3500 Hinrichtungen im Vergleich zur Bevölkerungszahl aber den europäischen Spitzenplatz ein.

“Hexenvorstellungen und Hexenverfolgungen im Kanton Freiburg”, zu sehen im Museum Murten bis zum 16. August 2009.

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