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Kinderhandel: Tragödie im Dunkeln

Kinder und Jugendliche sind weltweit Opfer von skrupellosen Händlern. Keystone Archive

Das Geschäft mit der Ware Kind ist weltweit Realität. Auch vor der Schweiz macht der Kinderhandel nicht Halt. Zahlen und Fakten darüber sind kaum zu erheben.

Bei einer Razzia in der Berner Drogenszene wurden 37 Personen verhaftet, darunter waren auch 10 Kinder aus Afrika.

Kinderhandel in der Schweiz? Das gehört doch nach Westafrika und Mittelamerika, nach Osteuropa. Nein, auch hierzulande ist Kinderhandel eine traurige Realität.

Ein 12jähriger Albaner wird von seinem Onkel unter dem Vorwand, ihm in Italien eine Schule zu bezahlen, in Pflege genommen. In Tat und Wahrheit wird das Kind in den Kanton Waadt transportiert, wo es in der Folge für den Transport von grossen Mengen Heroin zwischen Yverdon-les-Bains und Lausanne missbraucht wird.

Ein 14jähriges Mädchen aus Kamerun wurde von ihrer Tante, die in der Schweiz wohnt, und ihrem Onkel an einen Schweizer verkauft. Einmal in der Schweiz wird sie von ihrem Ehemann missbraucht, vergewaltigt, ständig geschlagen, durch Arbeit ausgebeutet und eingesperrt.

Das Kinderhilfswerk “Terre des hommes” hat das Thema kürzlich erneut an die Öffentlichkeit gebracht und verlangt von der Schweiz stärkere Gesetze.

Schwierige Ermittlungen



Kinderhandel sei in der Schweiz selten direkt, meist aber versteckt sichtbar und verberge sich hinter Internet-Pornoseiten, Drogenhandel, arrangierten Hochzeiten, illegalen Adoptionen und Organhandel, sagt Heinrich von Grünigen, Stiftungs-Präsident von Terre des hommes Schweiz.

Sylvie Marguerat von Terre des hommes will jedoch nicht, dass der Eindruck erweckt wird, die Schweiz sei ein Eldorado für Kinderhandel. “Die Polizei bemüht sich wirklich, diesem üblen Geschäft Herr zu werden”, sagt Marguerat gegenüber swissinfo.

Doch bewege sich Kinderhandel auf kaum erkennbaren Wegen: Alles laufe verdeckt, und zum Teil begünstige auch das Gesetz die Täter. Vor allem über so genannte Adoptionen laufe viel.

Private Adoption erlaubt



Marguerat nennt ein Beispiel: Per Internet bietet eine Organisation aus Osteuropa Kinder zur Adoption an. Der Preis bewege sich um tausend Dollar. Reagiere man auf dieses Angebot, würden die “Handelsbedingungen” gemailt. Die Organisation bescheinigt, dass das Kind mit den notwendigen Papieren ausgestattet werde.

“Privatadoptionen sind in der Schweiz erlaubt”, sagt Marguerat. Die Schweizer Behörden würden sich nicht in die Angelegenheiten anderer Nationen einmischen, wenn die Adoption im Herkunftsland des Kindes legalisiert werde. “Dies, obwohl man weiss, dass damit oft Kinderhandel betrieben wird.”

Deshalb verlangt Terre des hommes, dass das Schweizerische Strafgesetzbuch an das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes angepasst wird und Verbrechen an Kindern in Friedens- wie in Kriegszeiten explizit als “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” qualifiziert werden.

Kinderhandel dient der Prostitution



Auch bei der UNICEF, dem Kinderhilfswerk der UNO, weiss man um den weltweiten Kinderhandel. Alexander Rödiger, Pressesprecher von UNICEF-Schweiz: “Zur Zeit wird bei uns eine europäische Studie erarbeitet, welche endlich Zahlen über den Kinderhandel liefern soll. Die gibt es nämlich auch in der Schweiz nicht.”

Die Studie, die massgebend von der Schweizer Sektion finanziert wird, soll 2004 veröffentlicht werden.

Laut Rödiger dient Kinderhandel in der Schweiz vor allem der Prostitution. Dass Kinder “gekauft” und zur Arbeit gezwungen würden, sei kaum denkbar. “Dafür haben wir hier keinen kulturellen Hintergrund, wie etwa asiatische oder afrikanische Länder.”

Angst vor Verfolgung



Auch Rödiger ist der Ansicht, dass die Schweizer Polizei viel versuche, um die Täter zu fassen. Aber die Verfolgung der Täter sei in der Schweiz auch wegen der föderalen Strukturen der Polizei schwierig.

Terre des hommes nennt trotz der Unzulänglichkeiten Zahlen: Die Organisation schätzt, dass von den rund 3000 Fällen (Frauen- und Kinderhandel) nur höchstens ein Prozent zur Anzeige gebracht werden (30 registrierte Anzeigen). Davon enden nur fünf Prozent mit einer Verurteilung.

Die geringe Zahl von Verurteilungen wegen Kinderhandel geht laut Terre des hommes direkt auf den Umstand zurück, dass keine Normen existieren, welche den Aufenthalt der Opfer von Kinderhandel für die Dauer des Prozesses oder nach Abschluss des Verfahrens regeln. Streng nach Gesetz seien die Kinder illegal in der Schweiz und könnten sofort ausgeschafft werden, was nicht selten auch geschehe.

Kinderhandel und Diplomaten



Eine ganz brisante Angelegenheit bringt Kathrin Hartmann, Leiterin der Kinderschutz-Vereinigung ECPAT-Switzerland, zur Sprache. So wurden Fälle von Kinderhandel bekannt, die hinter den Fassaden der Diplomatie in ausländischen Botschaften und Missionen abliefen.

“Botschaftspersonal ersteht in ihren Ländern Kinder, die sie dann hier quasi als Arbeitssklaven halten”, sagt Hartmann.

Auch Terre des hommes ist ein solcher Fall bekannt. Die Organisation betreut ein Kind, das, als das Botschaftspersonal abberufen wurde, mittellos in der Schweiz zurückgelassen wurde.

swissinfo, Urs Maurer

Kinderhandel ist die abscheulichste Form moderner Sklaverei. Man schätzt, dass pro Jahr rund etwa eine Million Kinder “verkauft” werden.
Die Gewinne sind ähnlich hoch, wie im Waffen- und Drogenhandel.

In der Schweiz gibt es keine konkreten Zahlen über Kinderhandel.

Oft wird die Adoption für Kinderhandel missbraucht.

In der Schweiz werden Kinder meist zu Prostitution und Drogenhandel missbraucht.

Terre des hommes appelliert an die Bundesbehörden, das Strafrecht zu verschärfen.

Die parlamentarische Initiative Glasson mit 50 Mitunterzeichnenden macht Druck auf Regierung und Parlament.

Eine UNICEF-Studie zum Kinderhandel in Europa läuft zur Zeit und soll auch Zahlen zur Situation in der Schweiz liefern.

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