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Kohäsion: Brüssel löst endlich den Knoten

Die EU-Länder haben sich über das Schweizer Kohäsions-Geschenk geeinigt. swissinfo.ch

Die Botschafter der 25 EU-Staaten haben sich auf die Modalitäten zur Regelung des Schweizer Kohäsionsbeitrags von 1 Mrd. Franken geeinigt.

Mit dem einstimmigen Entscheid ist die monatelange Blockade der Ratifizierung der Bilateralen II zwischen der EU und der Schweiz gelöst.

Nach dem Ja des Schweizer Volkes zu Schengen und zur Personenfreizügigkeit im letzten Jahr wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass die Bilateralen II zügig ratifiziert, also völkerrechtlich genehmigt werden.

Doch die Ratifizierung geriet auf Seiten der Europäischen Union (EU) ins Stocken – und zwar ausgerechnet wegen eines Geschenks: Die Schweiz hatte den 10, zumeist osteuropäischen Ländern, die im Frühjahr 2004 neu zur EU stiessen, eine Finanzhilfe von einer Milliarde Franken während fünf Jahren zugesichert, in Tranchen von jährlich 200 Mio. Franken.

Dies einerseits, weil die Schweiz auch von der EU-Osterweiterung profitiert, andererseits aber auch als Fortführung der Schweizer Hilfe für die ehemals kommunistischen Länder bei der Einführung von Demokratie und Marktwirtschaft.

Nicht an “alte” EU-Länder

Der Verteilschlüssel, auf den sich Brüssel nun geeinigt hat, sieht vor, den 10 Empfängerstaaten 998 Mio. Franken zu überweisen. Rund die Hälfte (490 Mio.) soll an ausgewählte Projekte in Polen, 130 Mio. nach Ungarn und 110 Mio. nach Tschechien gehen.

Damit konnte sich die Schweiz duchsetzen, denn ihr “Milliarden-Geschenk” hatte auch Begehrlichkeiten bei “alten” EU-Staaten geweckt, namentlich in Spanien, Portugal und Griechenland.

Mit dem grünen Licht der EU-Botschafter konnte sich die Schweiz nun die Hohheit über die Verteilung der Summen bewahren. Die Milliarde ist ein einmaliger Kohäsionsbeitrag, der nicht in den Kohäsionsfonds der EU fliesst.

Angst vor Präjudiz

Die EU hat dazu den technischen Begriff der Kohäsionszahlungen geschaffen. Es sind dies Gelder, die genutzt werden, um die weniger entwickelten, neuen EU-Staaten auf das Niveau der alten EU-Staaten heranzuführen, also eine Art Entwicklungshilfe innerhalb der EU.

Monatelang feilschten die begünstigten Länder um die Verteilung des Schweizer Kohäsions-Milliarde, aus Angst, deren Verteilung präjudiziere wichtigere EU-interne Schlüssel zur Verteilung von Transferzahlungen. Besonders hartnäckig zeigte sich der winzige Inselstaat Malta.

Einmaliger Beitrag

Interessanterweise enthält die nun gewählte Lösung laut Brüsseler Kreisen keinen Hinweis mehr darauf, dass die EU nach fünf Jahren weitere Zahlungen von der Schweiz erwartet.

Die Zustimmung des EU-Ministerrats dürfte nach der sachlichen Einigung nur noch eine Formsache sein.

“Wir hoffen, dass diese Entwicklung einen Impuls für die Ratifizerung der hängigen bilateralen Abkommen geben wird”, sagte Hanspeter Mock, Sprecher der Schweizer Mission in Brüssel. Die Schweiz sei bereit für den Verhandlungsbeginn mit den einzelnen Ländern, die von der Milliarde profitierten.

Freude über den Brüsseler Schritt herrschte auch in Bern: “Die Lösung der EU-internen Differenzen ist positiv”, erklärte Adrian Sollberger, der Sprecher des Schweizer Integrationsbüros.

Die Schweiz werde das Ergebnis natürlich noch im Detail prüfen. “Wir gehen nun davon aus, dass die EU die weiteren anstehenden bilateralen Verträge in den kommenden Wochen ratifiziert”, sagte Sollberger weiter.

Wichtig für Filmbranche

Die Erwartung ist berechtigt: Möglicherweise ratifiziert die EU das Umwelt- und das Media-Abkommen noch im Februar, wahrscheinlich aber erst im März. Im letzteren Fall könnten diese Verträge auf den 1. Mai in Kraft treten.

Für das Abkommen über die Beteiligung der schweizerischen Filmbranche am Mediaprogramm der EU ist dies auch höchste Zeit: Es läuft bereits Ende 2006 aus. Die Beteiligung am Folgeprogramm von 2007 bis 2013 erfordert ein neues bilaterales Abkommen.

Komplexe Betrugsbekämpfung

Weniger Grund zur Eile besteht bei weiteren Verträgen der Bilateralen II: Das Statistikabkommen soll auf 1. Januar 2007 in Kraft treten. Noch länger wird es dauern, bis die Schweiz effektiv bei Schengen und Dublin mitmacht.

Dem Abkommen zur Betrugsbekämpfung muss jedes einzelne EU-Land zustimmen – was ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Bereits in Kraft sind die Abkommen über die Zinsbesteuerung, Agrarprodukte und die Besteuerung von pensionierten EU-Beamten in der Schweiz.

swissinfo und Simon Thönen in Brüssel

Im Mai 2003 erbat Brüssel von der Schweiz einen Beitrag zur Osterweiterung der EU, da auch die Schweizer Wirtschaft davon profitiere.

2004, nach Abschluss der Bilateralen II, sicherte die Schweiz einen so genannten Kohäsionsbeitrag von einer Mrd. Franken zu.

Bern und Brüssel einigten sich, dass der Schweizer Beitrag nicht in den EU-Kohäsionsfonds fliessen wird. Gelder aus diesem Fonds sollen helfen, das wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen den alten und neuen EU-Ländern zu verringern.

Die Schweizer Milliarde kommt ausschliesslich den 10 neuen EU-Staaten aus Osteuropa zu gut. Über die Verteilung befindet allein die Schweiz.

Spanien, Portugal und Griechenland, die abernfalls einen Teil der Schweizer Gelder wollten, gehen leer aus.

Verteilung der Schweizer Kohäsionsgelder:
490 Mio. sollen nach Polen, 130 Mio. nach Ungarn und 110 Mio. nach Tschechien fliessen.
Zwei Mio. Franken sollen als Restbetrag für spätere hochprioritäre Projekte reserviert bleiben.

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