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Begeisterung für Pipilotti Rist im MoMA in New York

Wirklichkeit und Traum: Besucher des MoMA lassen die Video-Installation auf sich wirken. Keystone

Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist hat das Atrium des Museum of Modern Art (MoMA) in New York mit einer neuen Video-Installation zu einem Ort des Verweilens verwandelt. Ein rosa geprägter Farbtupfer in den dunklen, kurzen Wintertagen.

“Fantasievoll, überraschend, wunderbar”: Mit diesen Worten umriss Museumsdirektor Glenn Lowry das Kunstwerk “Pour Your Body Out” (Giesse deinen Körper aus), das seit Mittwoch zu sehen ist.

Die Installation mit der innovativen Mischung aus Skulptur, Raumgestaltung und Video verwandle das Atrium, “die Bilder sind atemberaubend schön.”

Der Grossstadt-Hektik entkommen

Pipilotti Rist selber wünscht sich, dass ihre Installation ein “Ort ist, an dem die Leute der Hektik der Grossstadt entkommen, sich ausruhen, sich erholen können. Ein Ort des Verweilens, an dem die Gedanken ruhen und die Menschen sich in die Bilder vertiefen, die Musik in sich aufnehmen können.”

Was ist ihre Botschaft? “Ich mache mir unter anderem Gedanken über den Reinlichkeitsfimmel vieler Menschen einerseits und die Umweltverschmutzung andererseits.”

Die Installation im MoMA steht für sich, ist aber mit dem ersten Spielfilm von Pipilotti Rist “Pepperminta” verbunden, der nächstes Jahr herauskommen wird; ein Märchen, in dem es um die Befreiung der Menschen vor unnötigen Ängsten geht. Das Filmmaterial wurde parallel gedreht, wer “Pour Your Body Out” gesehen hat, wird im Film gewissen Szenen wieder begegnen.

“Die Installation hier ist gewissenmassen ein Gedicht, mit einer Narrative und einer Struktur, während “Pepperminta” eine ganze Geschichte erzählen wird”, erklärt Pipilotti Rist.

Schuhe aus und aufs Sofa liegen

Wenn man aus der Eingangshalle des Museums die Treppe in den ersten Stock zum Atrium hochgeht, dringen sanfte Klänge durch die Stimmen der vielen Besucherinnen und Besucher, über drei grosse Wände (je etwa 8 auf 20 Meter) laufen farbenprächtige Projektionen. Die Musik zum Video stammt vom Schweizer Anders Guggisberg.

Auf einem Schild am “Eingang” des Atriums werden Besucher und Besucherinnen eingeladen, die Schuhe auszuziehen und sich auf einem kreisrunden Sofa niederzulassen, um die Installation auf sich einwirken zu lassen.

Dem Publikum scheint das Kunstwerk mehrheitlich zu gefallen, wie ein Augenschein zeigt. Nur wenige der Befragten konnten damit nichts anfangen. “Es ist wunderbar, wie ein Eintauchen in einen fantastischen, märchenhaften Ozean”, erklärt ein Besucher begeistert.

Iris eines Auges

Den Boden des Atriums hat Pipilotti Rist mit einem weichen braunen Plüschteppich bedeckt, in der Mitte des Raumes steht ein als Kreis geformtes türkisblaues Sofa mit rosa Kissen. Blickt man von den oberen Stockwerken auf das Atrium wirkt die Mitte des Raumes wie die Iris eines Auges.

Damit der Raum dunkel genug ist für die Video-Projektionen musste das Atrium verdunkelt werden: Daher hängen nun zyklamenfarbene Vorhänge über sechs Stockwerke.

In Slow-Motion laufen die Bilder über die Wände, Szenen und Szenenausschnitte die ineinander verfliessen, eine Welt zwischen Wirklichkeit und Traum: Tulpenfelder, eine Sau, die in einen Apfel beisst, eine nackte, rothaarige Frau – “ein Mensch”, wie die Künstlerin sagt -, Abfall in Wasserlachen, Frauenbeine, die durchs Wasser latschen, Hände, die einen Regenwurm untersuchen, und all dies in überdimensionaler Grösse.

MoMA ist begeistert

Das Kunstwerk entstand als Kommissionsauftrag. Dazu erklärte Lowry, das Museum habe sich bevor es 2004 nach einem Umbau wieder eröffnet wurde, überlegt, wer artistisch mit den neuen Räumen am besten umgehen könnte. “Pipilotti Rist stand zuoberst auf unserer Liste. Und ihr Werk erfüllt genau das, was wir uns erhofft haben.”

Man merke überhaupt nicht, welcher grosse technische Aufwand hinter dem Projekt stehe. Das Kunstwerk wirke leicht und brilliant. Pipilotti Rist habe es geschafft, mit ihrer Installation in einen Dialog zu treten mit Werken anderer Künstler wie Van Gogh und Miro.

Ebenso begeistert zeigte sich der Kurator der Ausstellung, Klaus Biesenbach. Eine Besucherin habe ihm gesagt, Pipilotti Rist habe aus dem MoMA wieder ein Mädchen gemacht. “Diese Installation ist sicher eines der stärksten Werke der Gegenwartskunst der letzten Jahre.”

Das MoMA hat die Installation für seine Sammlung gekauft. Eine grosse Ehre für die Künstlerin. Zu den Hauptsponsoren des Werks gehört die UBS.

Pipilotti Rist hatte die Installation zusammen mit ihrem Team und Mitarbeitern des MoMA während fast vier Wochen aufgebaut. Sie dankte all denen, die dazu beigetragen hatten. Ein besonderer Dank ging an die Museumsaufseher, von diesen seien immer wieder wertvolle Rückmeldungen und Kritik gekommen.

Einer dieser Aufseher erklärte gegenüber swissinfo: “Ich finde diese Installation sehr beeindruckend. Und Pipilotti Rist ist nicht nur eine grosse Künstlerin, sondern ein Mensch, der auf alle offen zugeht.”

swissinfo, Rita Emch, New York

Für Pipilotti Rist besteht die Aufgabe der Kunst nach eigenen Angaben darin, “zur Evolution beizutragen, den Geist zu ermutigen, einen distanzierten Blick auf soziale Veränderungen zu garantieren, positive Energien zu beschwören, die Sinne und die Sinnlichkeit zu fördern, den Verstand und den Instinkt zu versöhnen, Möglichkeiten auszuloten und Klischees und Vorurteile zu zerstören”.

geboren 1962 in Grabs, Kanton St. Gallen.
Ihr umfangreiches Werk besteht aus Videos, Fotografien und kombinierten Installationen. Es war weltweit in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen und sorgte international für Aufmerksamkeit.

Rist studierte von 1982 bis 1986 Gebrauchs-, Illustrations- und Fotografik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien.
Von 1986 bis 1988 studierte sie Audiovisuelle Kommunikation (Video) an der Schule für Gestaltung in Basel, später arbeitete sie als freiberufliche Computergrafikerin für industrielle Videostudios.

Von 1988 bis 1994 war sie Mitglied der Musikband und Performance-Gruppe Les Reines Prochaines, mit der sie auch einige Platten veröffentlichte.

1997 war sie erstmals auf der Biennale in Venedig vertreten und wurde dort mit dem Premio 2000 ausgezeichnet.

Im selben Jahr wurde sie zur künstlerischen Leiterin der Schweizer Landesausstellung Expo.01 (realisiert als Expo.02) ernannt, trat aber 14 Monate nach der Ernennung von dem Amt zurück.

2005 war sie erneut auf der Biennale Venedig vertreten, mit der Videoarbeit “Homo sapiens sapiens” in der Barockkirche San Stäe.
Heute lebt sie in Zürich.

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