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“Berlinale ist Anerkennung und Motivation zugleich”

André Hennicke (rechts) und Max Brauer in Polar. Solothurner Filmtage

Der Kurzfilm "Polar" ist der einzige Schweizer Beitrag an der Berlinale. Gedreht hat ihn der junge Filmemacher Michael Koch, der gerade erst aus "dem behaglichen Nest der Filmschule" gefallen ist, wie er sagt.

Jeden Morgen bot sich Michael Koch das gleiche Bild: dicker Nebel, der alles verschluckt. Keine Chance, die Dreharbeiten draussen fortzusetzen.

Der junge Filmemacher befürchtete schon, die Schauspieler nach Hause schicken zu müssen. Doch endlich, nach einer Woche, schob sich die Sonne über die Glarner Berge und tauchte die Szene ins richtige Licht.

“Polar” heisst der Film, der in der kargen Gebirgslandschaft ob Elm entstanden ist und in diesen Tagen an den 59. Berliner Filmfestspielen gezeigt wurde.

Der 29-minütige Kurzfilm des 26-jährigen Michael Koch ist der einzige Schweizer Beitrag an der diesjährigen Berlinale; der Film “Winterstille” der Schweizerin Sonja Wyss ist laut Swiss Films eine holländische Produktion.

Erzählt wird in “Polar” die Geschichte einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung: Luis reist in die Berge, um erstmals nach Jahren seinen Vater wiederzusehen. In einem abgelegenen Ferienhaus trifft er unvermutet auf dessen neue Familie, die ihm der Vater bis dahin verschwiegen hat.

Hin- und hergerissen zwischen Wut, Unverständnis und dem Wunsch nach Nähe, versucht Luis seinen Vater zu provozieren – bis es zum Konflikt kommt. Einen eigentlichen Handlungsstrang gibt es in “Polar” nicht, die Kamera konzentriert sich auf die Figuren und vermeidet jegliche Ablenkung.

Auch die Dialoge werden sparsam eingesetzt – es sind einzelne präzise Sätze, Gesten und Blicke, die das verkorkste Verhältnis zwischen Vater und Sohn offenbaren.

“Ein Stück Geheimnis bewahren”

Mit dem jungen Leipziger Schauspieler Max Brauer als Sohn und dem erfahrenen André Hennicke als Vater hat Michael Koch ein sicheres Gespür für die Rollenbesetzung bewiesen. Die beiden gleichen sich nicht nur im Habitus, sie schaffen es auch, eine Spannung zwischen sich aufzubauen, die den Zuschauer in Bann zieht.

12 Drehtage standen dem schweizerisch-deutschen Team zur Verfügung. “Ich glaube, es ist uns gelungen, eine komplizierte Beziehung darzustellen, ohne dass es aufgesetzt oder angestrengt wirkt”, sagt Michael Koch. Der Zuschauer sollte den Konflikt als Beobachter erfahren, ohne dass er eine Erklärung bekommt.

“Filme, die auf alles eine Antwort geben und deren Figuren man in eine Schublade stecken kann, interessieren mich nicht.” Nur wenn die Menschen im Film ein Stück weit ihr Geheimnis bewahrten, beginne man, über die Geschichte nachzudenken, findet der Jungregisseur.

Für seinen Kurzfilm erhielt Michael Koch, der kürzlich sein Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln abgeschlossen hat, auch Unterstützung vom Schweizer Fernsehen. “Polar” ist seine Abschlussarbeit und hat vergangenen November an den Internationalen Kurzfilmtagen in Winterthur den Preis für den besten Schweizer Kurzfilm gewonnen.

Auch frühere Werke des gebürtigen Luzerners haben bereits für Aufmerksamkeit gesorgt. So lief der Minidok-Film “Wir sind dir treu” von 2005 auf über 60 internationalen Festivals und heimste mehrere Preise ein, darunter den Arte-Kurzfilmpreis.

Anerkennung und Motivation

Einem grösseren Publikum bekannt ist Michael Koch indes als Schauspieler. Der junge Mann mit den dunklen, verstrubbelten Haaren spielte 2003 die Hauptrolle im Schweizer Kinofilm “Achtung, fertig, Charlie”, einer Komödie über die Rekrutenschule.

Der Film war ein Kassenschlager – doch Michael Koch erinnert sich nicht gern daran. “Hinter den Filmen, in denen ich mitgespielt habe, kann ich heute nicht mehr stehen”, sagt er. “Ausserdem wollte ich nie wirklich Schauspieler werden.”

Als Schauspieler sei man das Werkzeug des Regisseurs, ein kleiner Teil einer grossen Maschine. “Ich fand das ernüchternd.” Michael Koch hat sich aus diesem Grund für die Arbeit hinter der Kamera entschieden. Ihm ist bewusst, dass er dabei noch ganz am Anfang steht. “Ich bin ja grad erst aus dem behaglichen Nest der Filmschule gefallen”, sagt er.

Umso mehr freut es ihn, an Filmfestivals wie die Berlinale eingeladen zu werden. Das sei Anerkennung und Motivation zugleich. Ideen und Projekte für 2009 hat der Schweizer, der seit kurzem in Berlin lebt, einige. Im September wird Michael Koch am Theaterfestival “Treibstoff” in Basel inszenieren. “Ausserdem will ich dieses Jahr unbedingt das Drehbuch für meinen ersten Langspielfilm schreiben.”

swissinfo, Paola Carega, Berlin

Die Berlinale dauert bis 15. Februar 2009.

Eröffnet wurden die 59. Internationalen Filmfestspiele Berlin am 5. Februar mit Tom Tykwers Finanz- und Wirtschaftsthriller “The International”.

26 Filme wurden dieses Jahr ins Wettbewerbsprogramm eingeladen; 18 konkurrieren um den Goldenen Bären.

Wer die begehrte Auszeichnung erhält, bestimmt eine siebenköpfige Jury unter dem Vorsitz der Oscarpreisträgerin Tilda Swinton.

Die Berlinale gilt als das grösste Publikumsfestival der Welt und – nach Cannes und Venedig – als die drittwichtigsten internationalen Filmfestspiele.

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