Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Besuch bei Alien und Cyborgs

HR Giger vor einem seiner Werke in Hamburg. swissinfo.ch

Die Fabrik der Künste in Hamburg widmet dem Schweizer Künstler HR Giger eine umfangreiche Retrospektive. Die Ausstellung zeigt Bilder, Grafiken und Skulpturen aus über 50 Jahren Schaffen. Zu sehen sind auch Mensch-Maschinen, mystische Monster und ein Alien-Modell.

Am liebsten würde sich Uta das Alien-Monster ins Schlafzimmer stellen. Alpträume hätte sie deswegen keine. Die 40-jährige tätschelt dem Weltraum-Vieh aus Polyester und Metall den insektenähnlichen Kopf. Aliens “Vater”, den Schweizer Künstler HR Giger, findet die Hamburgerin grandios. “Seine Zwitterwesen aus Mensch und Maschine sind absolut faszinierend”, sagt sie.

Uta gehört in ihrer Stadt zur Heavy Metal-Szene. Sie trägt hochhackige Stiefel, Minirock und ein enges Top – alles in schwarz; die blonden Haare fallen offen bis zur Hüfte. Das Auffälligste an Uta sind ihre Tattoos: Totenköpfe, Cyborgs und Zombies – nichts für Zartbesaitete. Doch Uta ist eben ein typischer HR Giger-Fan und insofern passen die düsteren  Bilder auf ihrer Haut perfekt an die Vernissage der HR Giger-Ausstellung.

Vergangenen Freitag eröffnete die Fabrik der Künste in Hamburg ihre grosse Retrospektive des Schweizer Künstlers. Der heute 71-jährige Giger und der Kunstsammler und Giger-Experte Marco Witzig haben dafür zahlreiche Bilder, Grafiken, Möbel und Skulpturen zur Verfügung gestellt – nicht zuletzt natürlich eins von Gigers weltberühmten Monstern aus dem Science Fiction-Film “Alien”, für dessen Design Giger 1980 einen Oscar erhielt.

Alpträume visualisieren

Die Ausstellung in den ehemaligen Lagerräumen mitten in einem Industriegebiet dauert bis zum 4. März und vermittelt einen umfassenden Überblick über HR Gigers Schaffen. So sind zum Beispiel frühe Tuschezeichnungen zu sehen, die Hansruedi Giger – so sein voller Name – Anfang der 1960er-Jahre anfertigte.

Der 1940 in Chur geborene Apothekersohn lernte ursprünglich Architektur und Industriedesign und arbeitete nach dem Studium als Möbeldesigner und Innenarchitekt in Zürich. Trotz einer ersten grossen Ausstellung in seinem Brotberuf wandte er sich zunehmend der freien Kunst zu. Giger schuf Skulpturen und erste grosse Bilder wie zum Beispiel “Gebärmaschine” oder “Koffer-Baby”, mit denen er bekannt und kommerziell erfolgreich wurde.

Bereits 1968 arbeitete Giger ausschliesslich als Künstler und Filmemacher. Mit der Spritzpistole, der so genannten Air Brush-Technik, entwickelte er seinen ganz eigenen Stil. So entstanden die grossflächigen Plakate und Bilder ohne Vorzeichnungen direkt mit Tusche und Acrylfarben. Zusätzlich verwendete Giger ganz unterschiedliche Materialien wie Spitzenbordüren oder Metallstreifen, die er als Stempel einsetzte, um komplexere Texturen zu erzielen.

Unverkennbar ist aber nicht nur Gigers Technik, vielmehr sind es seine fremdartigen, morbid-erotischen Wesen, die ihm bis heute eine weltweite Fangemeinde verschaffen – nicht nur unter Heavy Metal- und Gothic-Fans. Zum Beispiel die “Leg/Arm”: Kreaturen aus nur einem Arm, einem Bein und einem Gelenk dazwischen – oder die Mutanten, nahezu augenlose Wesen, die einen Atomkrieg überstanden haben.

“Giger geht es darum, Alpträume zu visualisieren, die vielleicht jeder von uns kennt”, sagt Marco Witzig, der die Hamburger Ausstellung kuratiert hat. “Ihm wird öfter vorgeworfen, billige Bürger-Provokation zu machen. Dabei gibt er unseren kollektiven Ängsten ein Gesicht.”

Geburt, Tod und Sexualität

Auch das Thema Sexualität hat der von einem katholischen Elternhaus geprägte Künstler, der in dritter Ehe verheiratet ist, immer wieder auf die Leinwand gebannt. Die Frauen in Gigers Bilder haben langgestreckte, erotisierte Körper und wirken unnahbar und mystisch; andere werden in Käfigen gehalten oder von Maschinen penetriert. Auch Würmer, Röhren und schlauchartige Kreaturen sind wiederkehrende Bildelemente mit klar sexuellem Bezug.

“Die ganz ursprünglichen Lebensprozesse wie Geburt, Tod, Sexualität haben mich stets fasziniert”, sagte Giger einmal in einem Interview. In seinem Werk habe er Ängste verarbeitet, die ihn seit seiner Kindheit quälten. Um eine tiefere Interpretation seines Werks hat sich Giger, der sich intensiv mit Magie beschäftigt hat, indes stets gedrückt. Andere könnten das besser, sagt er gerne.

Auch zur Eröffnung der Hamburger Ausstellung, zu der Giger anwesend war, verlor der Künstler nur wenig Worte und machte insgesamt einen erschöpften Eindruck. “Ich habe keine grosse Lust auf eine Rede”, sagte er. “Ich bin glücklich darüber, wie meine Werke hier ausgestellt werden.”

Bildchronist des Bösen

Biomechanoiden nennt Giger die Mensch-Maschinen, die sich durch sein Schaffen ziehen. Für Horst Werner, Direktor der Fabrik der Künste, sind sie Archetypen: “Eine Metapher für die menschliche Natur, in der die phantastische Chirurgie und genetische Manipulation solche Kreaturen ermöglichen könnten.” Gigers Werk stehe in Verbindung mit dem Surrealismus und dem Symbolismus, so Werner weiter. “Giger findet sich in einer Reihe mit anderen Bildchronisten des Bösen wie Hieronymus Bosch, Alfred Kubin Francisco de Goya oder Francis Bacon.”

Seit 1993 hat Giger keine Spritzpistole mehr angefasst. Er gab die Malerei auf, um sich ganz dem dreidimensionalen Schaffen zu widmen. Die bekanntesten Möbelstücke Gigers sind bis heute die für den Film “Dune” entworfenen Harkonnen-Stühle, von denen einer ebenfalls in Hamburg zu sehen ist. Von den Bars, die er in New York, Tokio und Chur ausstattete, ist heute nur noch die Giger Bar in seiner Heimatstadt erhalten.

1998 öffnete das Museum HR Giger im schweizerischen Gruyère seine Tore. Das Museum ist im 400 Jahre alten Schloss St. Germain beheimatet, das  HR Giger ein Jahr zuvor ersteigert hatte, und beherbergt die wichtigsten Bilder und Skulpturen des Künstlers von 1960 bis heute.

Im obersten Stockwerk des Schlosses ist Gigers eigene Sammlung der fantastischen Kunst ausgestellt – unter anderem mit Arbeiten von Günter Brus, Ernst Fuchs und Gottfried Helnwein.

Das düster-skurrile Museum diente auch schon als Drehort, etwa im Jahr 2000 für ein Video der deutschen Rockband “Böhse Onkelz”. Die zahlreichen Heavy Metal- und Gothic-Fans, die nach Gruyères pilgern, dürfen sich auch über die HR Giger-Bar freuen, die 2003 gegenüber dem Museum eröffnet wurde.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft