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Bewegte Bilder und Menschen erobern Solothurn

So leer und gemütlich ist die Eingangshalle des Zentrums der Filmtage nur, wenn die Vorführungen laufen. swissinfo.ch

1966 trafen sich Filmbewegte erstmals in Solothurn – kritisch beäugt von den Einheimischen. Heute wollen die Solothurner ihr Filmfestival nicht mehr missen, der Anlass bringt Aufmerksamkeit für und Leben in die Stadt.

Für jeden und jede wird was geboten. Solothurner Filmtage – eine Gebrauchsanleitung.

Lieber Fritz

Du schreibst mir, dass du, nach vielen Jahren im Ausland wieder in die Schweiz zurückgekehrt, das Filmfestival in Solothurn besuchen möchtest.

Weiter schreibst du: “Da ich aber gehört habe, dass das eine ziemlich elitäre Veranstaltung sei, weiss ich nicht recht, ob ich als Normalbürger dort etwas zu suchen habe. Da du in Solothurn wohnst, kannst du mir sicher weiter helfen.”

Ich versuche es, lieber Fritz.

Es hat mich gefreut, dass du in diesen “elektronischen” Zeiten zum guten alten Brief gegriffen hast, um an mich zu gelangen. Damit hast du schon etwas den Geist der Solothurner Filmtage getroffen.

Sie finden nun zum 39. Mal statt. Und noch immer kann man einen Luftzug aus der Gründerzeit spüren, aus den 60er Jahren, als die Filmtage den gesellschaftlichen Aufbruch verkörperten.

Nebenbei: Sag bitte nie “Filmfestival”, auch wenn es so auf dem englischsprachigen Plakat steht. Dies sei bloss mangels besserer Übersetzung, hat man mir gesagt.

Ein Filmfestival waren die Filmtage nie, und sie sind es bis heute nicht geworden. Cannes, Locarno, Berlin oder gar Hollywood sind der Ambassadorenstadt so fremd wie dem Mars heutzutage das Wasser.

Es gibt keine roten Teppiche und keine halbnackten Filmsternchen. Dafür – in diesem Jahr wenigstens – Schneematsch, durch den man waten muss, um zu den Filmvorführungen zu gelangen.

Weiter fragst du mich, ob man überhaupt noch Eintrittskarten zu den Filmen kriegt. Sicher werde ja schon ganz Solothurn im Kino sitzen und die Karten aufgekauft haben.

Schau Fritz, die Solothurner fiebern zu Jahresbeginn tatsächlich einem Ereignis entgegen. Allerdings nicht den Filmtagen, sondern der Fasnacht (die hier am 19. Februar beginnt).

Es hat schon viele Leute zurzeit in Solothurn. Erwartet werden rund 40’000 Personen, obwohl aus Spargründen ein Vorführort gestrichen werden musste.

Die Filmtage sind klar ein nationales und kein Solothurner Ereignis. Mittlerweise beehren zwar Bundesrätinnen und Bundesräte die Veranstaltung. In der bürgerlichen Stadt selber gelten jedoch Filmer, Veranstalter und Besucher immer noch als “irgendwie links”.

Wohl deshalb mussten die Organisatoren mit dem Wegzug nach Luzern drohen, bevor die Reithalle eine Heizung kriegte und nun als Spielort dienen kann. Der Verkehr auf der vielbefahrenen Umfahrungsstrasse allerdings wird während den Vorstellungen nicht umgeleitet. Dieses Privileg hat nur das Classic-Openair im Sommer.

Die Solothurnerinnen und Solothurner haben also die Tickets nicht aufgekauft. Sie freuen sich aber an den ausgebuchten Hotels, den vollen Restaurants und all den Leuten, die Geld in die Stadt bringen. Du wirst dich bei uns wohl fühlen, denn die Preise sind moderat geblieben.

“Wie aber finde ich mich dann im Dschungel all der Filme zurecht, ich bin nur ein Filmfreund aber kein Kenner der Schweizer Filmszene?”, fragst du mich weiter.

Das, lieber Fritz, musst du gar nicht sein. Die Filmtage sind dem Schweizer Filmschaffen gewidmet, sie bieten eine Retrospektive des Schweizer Filmes von 2003. Damit ist aber alles gemeint, was vor der Jury Gnade fand: Der 2-Minuten-Kurzfilm hat genauso seinen Platz wie der abendfüllende Spielfilm.

Ich rate dir, wenn du in Solothurn ankommst, dann geh direkt zum Landhaus. Dieses imposante Gebäude am Aareufer ist so etwas wie das Herz der Filmtage. Bereits im Eingang kleben unzählige Filmplakate, du findest es problemlos.

An der linken Wand hängen kopierte Presseausschnitte über die besprochenen Filme oder über die Filmtage selber. Da kannst du dann Sätze lesen wie “‘The Definition of Insanity’ ist ein Film, der sich sein Handicap selber vorgibt und davon maximal profitiert”.

Auf der rechten Seite des Raumes findest du das Tagesprogramm. Ich rate dir zu einem Tagesticket für sämtliche Vorführorte (es gibt sieben).

Dann kannst du dir entweder dein Programm gezielt auswählen oder dich einfach in einen Saal setzen und dich überraschen lassen. Auch ich habe einen meiner Lieblingsfilme, “Signers Koffer”, rein per Zufall gesehen.

An sämtlichen Vorstellungen werden in der Regel zwei oder drei Filme gezeigt: ein kurzer oder mittellanger und ein längerer.

Dabei wiederholt sich immer das gleiche Ritual: Erst wird der Film in zwei Sprachen angesagt, dann bittet der Ansager oder die Ansagerin den (oft anwesenden) Produzenten oder die Regisseurin um ein kurzes Wort.

Die wissen in der Regel nicht so recht, was sie sagen sollen, weil sie ja etwas zeigen und nicht reden wollen. Der Satz lautet dann in der Regel: “Ich hoffe, dass euch mein Film gefällt.” Dann kommt er, der Film, und am Schluss wird applaudiert.

Die Eintrittskarten kannst du übrigens an den Vorführorten oder auch im ersten Stock im Landhaus kaufen. Dort befindet sich auch das wirkliche Zentrum der Filmtage: der Barraum.

Und dort findest du sie, die typischen Solothurner Filmtage-Leute. Es ist eine Mischung aus Kunstgewerbeschülerinnen und -schülern, Rucksacktouristen und etablierten Achtundsechzigern. Vorherrschende Kleidungsstücke: langer schwarzer Mantel oder Skijacke und Wanderschuhe, alles in dunklen Farben. Viele Männer mit Existentialismus-Bart.

Alle scheinen sich zu kennen. Vielleicht tun sie das auch. Du wirst dich etwas am Rand fühlen, aber nie als Ausgestossener.

So, nun denn: auf nach Solothurn. Sag mir, wenn du da bist. Wir könnten in der Filmbar etwas zusammen trinken. Übrigens: Am schönsten ist es dort, wenn die Filmvorführungen laufen.

Dann ist es da recht ruhig. Doch dieses Privileg haben nur diejenigen, welche in Solothurn wohnen und schnell mal vorbei gehen können, ohne sich einen Film reinzuziehen.

Fritz, viel Vergnügen und liebe Grüsse

swissinfo, Urs Maurer

Die 39. Solothurner Filmtage dauern noch bis zum 25. Januar.
Die Retrospektive ist erstmals einem Filmschauspieler gewidmet, dem Romand Jean-Luc Bideau.

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