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Das Schiff im Meer der schönen Buchstaben

"Beauty and the Book": Die Ausstellung zeigt 143 der "Schönsten Schweizer Bücher". Johannes Schwartz

Zum 60. Mal wird der Wettbewerb "Die schönsten Schweizer Bücher" ausgeschrieben. Anlass für das Bundesamt für Kultur, die Buchgestaltung seit 1944 in einer Ausstellung Revue passieren zu lassen.

Die Schau “Beauty and the Book” zeigt, dass in einem Buch viel mehr steckt als Text und Bild.

Ein schönes Schweizer Buch? Mirjam Fischer überlegt nicht lange: “Das Werk ‘Schiff nach Europa’, das der Künstler Karl Gerstner 1957 für den Niggli-Verlag gestaltet hatte.” Als reines Textbuch komme es enorm aufregend daher, so die Bücher-Spezialistin der Abteilung Kunst und Design im Bundesamt für Kultur (BAK).

“Es hat darin viele Stimmen und Erzähl-Ebenen, die durch ein unterschiedliches Satz-Layout und verschiedene Auszeichnungen wie Schriftgrössen und –dicken hervorgehoben werden.” Das macht das Buch laut Fischer zu einem Erlebnis, einer aufregenden Wanderung von der ersten bis zur letzten Seite.

Bücher-Reisen

Bücher sind das Tor zu neuen Welten. Das wissen wir alle seit den Gutenacht-Geschichten, die uns als kleine Wesen von der hiesigen Welt ins Reich der Märchen und Träume versetzten. Es folgte der Dämpfer in der Schule mit der Erkenntnis, dass Bücher untrennbar mit Lernen verbunden sind.

Nüchtern betrachtet, müssen Bücher also unterhalten und Informationen vermitteln. Müssen Bücher aber auch schön sein? Ja, fanden Buchbranche und später Kulturbehörden, die seit 60 Jahren den Wettbewerb “Die schönsten Schweizer Bücher” durchführen.

Die Schweizerische Landesbibliothek in Bern feiert dieses Jubiläum mit der Ausstellung “Beauty and the Book – 60 Jahre Die schönsten Schweizer Bücher”, die am Donnerstag eröffnet wurde.

Klassiker und Vergessenes

Neben dem Kinderbuch-Klassiker “Schellen-Ursli” aus dem Jahr 1945 sind viele unbekanntere oder vergessene Titel ausgestellt, die alle in irgendeiner Weise Meilensteine der Buchgestaltung darstellen.

So “Paris des Rêves”, ein Bildband in Schwarz/Weiss von 1950, der gemäss Fischer “das optische Zeitalter eingeläutet hat”. Oder Le Corbusiers Oeuvre-Katalog des Zürcher Girsberger Verlag von 1950, der wegweisend für die Architektur-Publikationen wurde.

Ein historisches Dokument aus dem Jahr 1986 sticht ins Auge: Allein schon das eindrückliche Langformat des Buches “Swissair. Flugzeuge aus fünf Jahrzehnten” vermittelt einen Eindruck von der schieren Grösse der Flugmaschinen.

Design als neues Schwergewicht

“Die siebenköpfige Jury bewertet Typographie, graphische Gestaltung, Buchbindung, Druck, Materialauswahl und den Gesamteindruck einer Publikation”, erklärt Fischer die Bewertungskriterien.

Seit das BAK den Wettbewerb ausrichtet, liegt das Schwergewicht klar bei der Förderung des gestalterischen Aspekts. Mit dieser Öffnung werden auch viele junge Gestalter angesprochen. Die Folge: Eine Gewichtsverschiebung vom reinen Handwerk hin zum Design.

Was ist “schön”?

“Ein schönes Buch ist eines, das den Inhalt adäquat, also passend herüber bringt”, erklärt Mirjam Fischer. Dabei gelte es zu beachten, dass jedes Bücher-Genre spezifische Bedürfnisse abdecken müsse: “Bei einem Lexikon muss die Leserin und der Leser schnell wissen, wo die Information auffindbar ist, was eine klare Gliederung bedingt.”

Bei einem Lesebuch, das ausschliesslich aus Text besteht, kommen vor allem Typographie und Papierwahl zum Tragen. Wiederum andere Ansprüche müssen Architektur- oder Kinderbücher erfüllen.

“Importierte” Idee

Initiant des Wettbewerbs war Jan Tschichold, der vor den Nazis in die Schweiz flüchten musste und als Begründer der modernen Typographie gilt. Sein Ziel war es, in der Buchgestaltung optimale Lesbarkeit mit ästhetischer Schönheit zu verbinden.

“Vor 1944 wurden solche Wettbewerbe bereits in Deutschland und England erfolgreich durchgeführt”, so Fischer. Geschmacksbildung und Leseförderung standen dabei im Vordergrund. “Doch Tschichold musste rasch einsehen, dass sich die ausgezeichneten Bücher nicht besser verkauften.”

Die Impulse blieben also auf die Branche beschränkt. Und das hatte auch sein Gutes, denn die Fokussierung auf die handwerklichen Aspekte sorgte hierzulande für eine hohe Kompetenz in der Sparte Buchgestaltung. Mirjam Fischer: “Die Schweiz erhielt wegen der Präzision und dem grossen Aufwand einen sehr guten Ruf.”

Buchmachen heute

Mitten in die Hochblüte des Schweizer Buchgestaltungs-Handwerks platzte der Computer. “Er löste eine riesige Revolution aus”, zieht Fischer den Bogen in die Gegenwart. “Das Buch ist immer noch ein Buch, aber die Instrumente haben sich vollkommen verändert.”

Der Grafiker sitze in der Schweiz, die Schriftgestalterin in Berlin, die Verlegerin in Frankreich. Das Hin- und Herschicken der Files per Mausklick habe die Bindung an denselben Arbeitsort gelöst. Buchgestaltung sei heute deshalb “Projektarbeit”, die eine Beschleunigung der Abläufe und Einsparungen brachten.

“Heute kann ein Buch von der Konzeption bis zur Realisierung in zwei bis drei Monaten hergestellt werden”, so Fischer. “Das war vor 10 oder 20 Jahren undenkbar.”

swissinfo, Renat Künzi

“Beauty and the Book” zeigt 143 der “schönsten Schweizer Bücher”.
Diese wurden aus den insgesamt 1710 prämierten Werken seit 1944 ausgewählt.
Sie repräsentieren alle Buch-Gattungen mit ihren spezifischen gestalterischen Ansprüchen.

Typographie ist die Verbindung von leichter Lesbarkeit und ästhetischer Form.

Begründer der modernen Typographie war Jan Tschichold, der vor den Nazis in die Schweiz flüchtete und den Wettbewerb “Die schönsten Schweizer Bücher” anregte.

In der Schweiz prägten weiter Richard Paul Lohse und Max Bill wesentlich die Typographie.

Aufgrund der hohen Sorgfalt und Präzision sowie des hohen materiellen Aufwandes eroberte sich die Schweiz in der Sparte weltweites Renommé.

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