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Der Tod als Museums-Objekt

Allegorie auf die Vergänglichkeit, Anfang 17. Jahrhundert. Kunstmuseum Bern

Gewalt und Tod sind in den Medien allgegenwärtig. Aber direkter Kontakt zu Toten wird in unserer Gesellschaft gemieden. Doch die Ausstellung "Six Feet Under" im Kunstmuseum Bern meidet ihn nicht.

Totenköpfe, Skelette, Gräber und Kadaver in alter Kunst und zeitgerechter Provokation. Das Museum warnt sensiblere Besucher sogar vor schockierendem Ausstellungsgut.

“Herausfordernd an dieser Ausstellung ist die Art, über unsere Beziehung zu den Toten in unserer Gesellschaft zu sprechen, die ja eigentlich die Idee der Sterblichkeit gern verdrängt”, sagt Bernhard Fibicher, einer der Kuratoren, gegenüber swissinfo.

In einer Welt, in der sich die wichtigsten Werte um den Erfolg, den Individualismus oder das Vergnügen drehen, wird der Umstand, dass man stirbt, immer unerträglicher. Ein heute noch absurderer und unfassbarerer Gedanke als er es bereits in der Vergangenheit war.

Die gross angelegte Inszenierung des künstlerischen Umgangs mit dem Tod erstreckt sich über zwei Stockwerke des Museumsneubaus.

Fleisch und Knochen

Bernhard Fibicher hat die Ausstellung in sechs Themenkreise gegliedert. Die seiner Meinung nach schwierigen Arbeiten, “die anzuschauen kein Vergnügen bereitet”, hat er ins Untergeschoss verbannt.

Den Reigen des ersten Ausstellungskapitels “Leichen, Totenköpfe und Skelette” eröffnet hier Karl Stauffer-Berns Ölgemälde “Liegender männlicher Akt” von 1879, das den berühmten “Christus im Grabe” zitiert. Ihn soll Hans Holbein 1521 verbotenerweise nach einer Wasserleiche gemalt haben.

Leichenteile zwischen Früchten

Mit seinen dunklen Foto-Stillleben wie “Still Life with Breast”, auf denen zwischen Früchten Leichenteile arrangiert worden sind, nimmt der amerikanische Künstler Joel-Peter Witkin auf ältere Stillleben mit Totenkopf oder von erlegten Tieren Bezug.

In einem anderen, erdig-dunkelbraun ausgemalten Raum liegen, auf Sockeln ausgebreitet, verschiedenartige Totenköpfe – in reinem Weiss von Katharina Fritsch oder mit Pinocchio-Nase ironisch geformt von Miguel Barcelo.

Unterschiedlich plastisch gestaltete Skelette – aus Holz geschnitzt und zum Teil bemalt von Stefan Balkenhol oder aus Weinkorken und Draht aufgebaut von Jéan-Frédéric Schnyder – stehen in mehreren Räumen: wie Meilensteine zum Thema “Tod”.

Acht bunte Holzsärge

Den Mittelpunkt der visuellen Auseinandersetzung mit dem Tod – das Herz sozusagen – bilden die acht bunten Holzsärge in der Treppenhalle im Obergeschoss, welche die ghanaischen Künstler Ataa Oko Addo und Paa Joe für das Kunstmuseum Bern in Hennen-, Hahn-, und Krappen- oder Haus-, Kanu- und Sandalenform gestaltet haben.

Das begleitende Video dokumentiert Begräbnisszenen, etwa wie ein Löwen-Sarg durch eine bewegte Menschenmenge getragen wird. Anders als im Westen bleibt der tote Mensch im Sarg Teil der sich festlich von ihm verabschiedenden Gesellschaft.

Innerhalb des Themenkreises “Särge, Gräber und Tränen” berührt Jorge Macchis “Autumn in Lisbon”, ein weisses Blatt Papier mit einem halben Dutzend kleiner grüner Flecken.

Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die grünen Stellen als die aus einem Stadtplan herausgeschnittenen und aufgeklebten Friedhöfe von Lissabon.

Gericht und Versöhnung

Ein schriller Ausstellungsraum ist dem Kapitel “Tod und Lifestyle” gewidmet. John Armleder etwa hat eine bronce-farben bemalte Wand mit einem riesigen weissen Totenkopf verziert.

Daneben überziehen die Arbeiten des japanischen Fotografen Izima Kaoru eine andere Wandfläche mit dem inszenierten Tod von Models in exquisiten Markenkleidern.

Abschliessend stellt das Kapitel “Nachleben” beispielsweise eine Verbindung her zwischen der Videoarbeit “Conversation” der thailändischen Künstlerin Araya Rasdjarmrearnsook und den 24 kolorierten Kopien von Wilhelm Stettler nach Niklaus Manuels Totentanz-Fresko, das die Reformation in Bern nicht überdauert hat.

Im Vergleich zum spätmittelalterlichen Totentanz, der die menschliche Vergänglichkeit im Zusammenhang mit dem Glauben an das Jüngsten Gericht drastisch vor Augen geführt hat, wirkt das zeitgenössische Video, auf dem die Künstlerin alleine zu den Toten spricht, ruhig, ja friedlich: Tod und Leben erscheinen im Glauben an die Wiedergeburt versöhnt.

swissinfo, Raffaella Rossello
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

“Six Feet Under” entspricht einer englischen Redewendung für “tot”. Sie nimmt Bezug auf die rund 180 Zentimeter Distanz zwischen Sarg und Erdoberfläche (Masseinheit 1 Fuss = 30 cm).

Mit “Six Feet Under” wird aber auch die populäre amerikanische Fernsehserie mit der im Bestattungswesen tätigen Familie Fisher angesprochen.

Die ausgestellten Objekte gehören dem Kunstmuseum Bern und verschiedenen anderen öffentlichen und privaten Sammlungen.

Sie erstrecken sich über diverse Epochen und Kulturkreise.

Die Ausstellung ist in sechs Themenkreise gegliedert, wie “Leichen, Totenköpfe und Skelette”, “Särge, Gräber und Tränen”, “Tod und Lifestyle” oder “Nachleben”.

Die Ausstellung heisst “Six Feet Under. Autopsie unseres Umgangs mit Toten”.
Vom 2. November bis zum 21. Januar im Kunstmuseum Bern.
Sie umfasst 120 Werke von über 80 Kunstschaffenden aus verschiedenen Kontinenten.

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