Die Kultur? Etwas Lebendiges!
Am 1. April wird Jean-Frédéric Jauslin Nachfolger von David Streiff als Chef des Bundesamtes für Kultur. Ein Interview.
Für den ehemaligen Direktor der Landesbibliothek, mit wissenschaftlicher Ausbildung und kulturellem Engagement, ist «Humanismus» ein Schlüsselwort.
Auf der Eingangstüre signalisiert eine Kupfertafel diskret, dass wir ein Gebäude des Bundesamtes für Kultur (BAK) betreten. Nichts mehr und nichts weniger. Dabei ist dieser Ort eine eigentliche Schatzkammer: Das neue Gebäude der Kunstsammlung des Bundes.
Für Jean-Frédéric Jauslin ist diese Umgebung ein neues Image. Zuvor hatte er 15 Jahre in der Landesbibliothek (SLB) gearbeitet. Das Image, findet er, ist Teil der Kommunikation. Und er sieht sich als Mann der Kommunikation.
swissinfo: Jean-Frédéric Jauslin, Sie haben drei Kinder im Alter zwischen 12 und 19 Jahren. Wie würden Sie Ihrem Jüngsten das Wort ‹Kultur› erklären?
Jean-Frédéric Jauslin: Ich glaube, es gibt keine Definition der Kultur. Oder sagen wir, ich wage den Versuch nicht, sie zu definieren. Man muss sie erleben, fühlen, und man muss die Jugend in die Kultur einbeziehen.
Ich würde ihr vor allem zeigen, dass Kultur nichts Elitäres, Verstaubtes, Langweiliges ist, wie sie oft dargestellt wird. Sondern etwas Lebendiges, das sie alle Tage praktizieren.
swissinfo: Sie haben ein Lizenziat in Mathematik, einen Doktor in Informatik – und sind der neue Chef der Schweizer Kultur. Ist das nicht etwas seltsam?
J.-F. J: Ich habe schon viel für die Kultur getan. Als ich zum Direktor der Landesbibliothek ernannt wurde, fanden es die Leute auch seltsam, dass ein Mathematiker an diesen Posten gewählt wurde. Jetzt lebe ich immerhin schon 15 Jahre in der Welt der Kultur, denn vergessen wir nicht, die SLB ist Teil der Kultur.
Seltsam ist es also nicht. Ich bin ein glühender Vertreter des Humanismus, im eigentlichen Sinn des Wortes. Das heisst, man muss sich einen offenen Geist bewahren. Für mich sind Mathematik, Kultur, Informatik, Biologie und andere Bereiche nicht unvereinbar .
Man muss offen sein, und ich bedaure im Übrigen die gegenwärtige Überspezialisierung in allen Bereichen. Unsere Gesellschaft braucht einen offenen Geist, und so sehe ich meine Aufgabe an der Spitze des BAK.
swissinfo: Haben Ihnen die Erfahrungen in der Landesbibliothek Wesentliches über die helvetische Politik gelehrt?
J.-F. J : Die Schweiz ist ein komplexes Land. Das BAK ist ein Bundesbetrieb. Und die Beziehungen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden sind vor allem im Kulturbereich äusserst komplex. Die Erfahrungen, die ich während den letzten 15 Jahren in der LSB gesammelt habe, werden mir also sehr nützlich sein.
Vor allem habe ich gelernt, dass die Vernetzung von Institutionen und Personen die einzige Lösung als Antwort auf die Komplexität der helvetischen Situationen ist.
swissinfo: Die Kreise, welche die Kultur unterstützen, haben stürmische Zeiten hinter sich. Ich denke an die interne Untersuchung im BAK, die Demission von David Streiff oder den politischen Skandal um die Hirschhorn-Ausstellung in Paris. Wie treten Sie ihre neue Stelle an?
J.-F. J: Voller Enthusiasmus! Das Positive, das ich in all dem sehe, ist, dass man davon spricht! Man spricht von der Kultur, alle möglichen Leute interessieren sich dafür, die Emotionen gehen hoch, es gibt Bewegung. Etwas Besseres kann man sich gar nicht wünschen. Es ist wichtig, dass man von der Kultur spricht, denn sie ist etwas Lebendiges.
swissinfo: Einige Politiker sind gegen die «linken» Seilschaften angetreten, welche, wie es heisst, die Kultur in der Schweiz lenken. Sind Sie als Vertreter der «Rechten» gekommen, um die Waage in die andere Richtung ausschlagen zu lassen?
J.-F. J: In meiner Arbeit bei der SLB hatte ich keine politischen Elemente einzubringen, und ich glaube nicht, dass in diesem Fall ein politisches Gegengewicht nötig ist. Es gibt Kulturen verschiedener Lager, wir sind ein multikulturelles Land, und ein wichtiger Teil meiner Funktion wird es sein, dafür zu sorgen, dass jeder und jede sich ausdrücken kann.
Es gibt zur Zeit eine Diskussion über den Staat als Mäzen oder den Staat als Sponsor. Ich tendiere natürlich stark zum Mäzenstaat, weil es für mich nicht in Frage kommt, dass der Staat auf die Inhalte Einfluss nimmt. Wir sind da, um Rahmenbedingungen und Infrastrukturen zu schaffen, aber nicht, um die Inhalte zu beeinflussen. Höchstens, um einige bereits vorhandene, durch das Gesetz festgeschriebene Grenzen zu garantieren.
swissinfo: Welche Dossiers werden Sie sich zuerst vornehmen?
J.-F. J: Das allererste wird das Kulturförderungsgesetz sein. Und dann ist da die Situation des Landesmuseums. Und die Frage des Sprachengesetzes. Die Regierung hat vorgeschlagen, nicht darauf einzutreten, jetzt ist wieder das Parlament dran.
Das vierte wichtige Dossier ist die Suche nach einer besseren Koordination der Instanzen, welche sich beim Bund mit der Kultur befassen.
swissinfo: Alle unter einem Dach?
J.-F. J: Nein. Wir sollten eher die Leute an einen Tisch bringen. Es gibt Arbeit für alle und gar nicht so viele Meinungsverschiedenheiten. Wir werden eine Art der Zusammenarbeit finden.
Wir haben einen fabelhaften kulturellen Kern in der Schweiz. Die verschiedenen Kulturen und Sprachen sind ein ausserordentliches Material. Und wir sind uns dessen noch nicht bewusst genug.
Interview swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragen aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Das Bundesamt für Kultur (BAK) formuliert die Kulturpolitik des Bundes. Seine Aufgabe ist es, die Kultur in ihrer Vielfalt zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie sich vollständig unabhängig entwickeln kann.
Das Amt ist unterteilt in Kulturförderung, Schweizer Landesbibliothek und Schweizer Landesmuseum.
Das BAK ist vor allem zuständig für die Bereiche Film, Kunst und Design, Erhalt des kulturellen Erbes, Denkmäler und archäologische Stätten, Sprachenpolitik, Ausbildung junger Schweizerinnen und Schweizer im Ausland und kulturelle Beziehungen zum Ausland. Das BAK verwaltet ausserdem kostbare Sammlungen, Bibliotheken, Archive und Museen.
Jean-Frédéric Jauslin wurde 1954 in Le Locle (NE) geboren. Klassische Matur, anschliessend wissenschaftliches Studium (Lizenziat in Mathematik in Neuenburg, Doktorat in Informatik in Zürich).
Nach einigen Jahren Arbeit bei Versicherungen wird er 1990 Direktor der Schweizerischen Landesbibliothek (SLB), die er tief greifend restrukturiert und modernisiert.
Ende 2004 wird er von Bundesrat Pascal Couchepin, Chef des Departements des Innern, zum Nachfolger von David Streiff an die Spitze des Bundesamtes für Kultur (BAK) gewählt. Er tritt die Stelle am 1. April 2005 an.
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