Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Die Medien als Klammer einer Region

Das brandneue Gebäude von RTR in Chur. swissinfo.ch

Zeitungen, Radio und Fernsehen stellen sich täglich der schwierigen Aufgabe, sich an die verschieden Romantsch sprechenden Bevölkerungsgruppen zu wenden. Symbol dieser Verpflichtung ist RTR.

Aber die rätoromanischen Medien sind allein nicht überlebensfähig und kämpfen darum, unverzichtbar zu werden.

Die Rätoromanen haben ihre eigene Presseagentur, die ANR (Agentura da Novitads Rumantscha). Und sie haben ihre 1997 gegründete Zeitung, La Quotidiana, die drei der vier früheren Regionalzeitungen ersetzt.

Dank dem Service public haben sie auch ihr Radio (RR) und ihr Fernsehen (TvR), zusammengefasst unter dem Namen RTR (Radio e Televisiun Rumantscha). RTR ist in einem brandneuen Gebäude mitten in Chur untergebracht und wurde im Juni 2006 eingeweiht.

“Ich wollte die Kräfte an einem Ort konzentrieren, damit wir sichtbarer sind. Denn wenn sich die Minderheiten verstecken, verlieren sie sich vollständig”, erklärt Bernard Cathomas, seit 2001 Direktor von RTR.

RTR – eine rätoromanische Insel in der deutschsprachigen Kantonshauptstadt Chur? “Hätten wir uns für eine der rätoromanischen Gemeinde entschieden, wäre das von den anderen nicht akzeptiert worden”, so Cathomas weiter. Der Lokalpatriotismus ist in diesen Tälern offenbar so stark, dass ein neutrales Gebiet nötig war, damit sich die verschiedenen Regionen in einigen konnten.

RR ist ein Radio, das alles macht, TvR ein Programm mit Fenstern: Seine Sendungen werden über das Deutschschweizer Fernsehen ausgestrahlt und dann vom Westschweizer und vom Tessiner Fernsehen übernommen.

“Wir machen dieses Fernsehen nicht nur für uns. Wir können damit auch dem Rest der Schweiz zeigen, dass es uns gibt. Denn die vierte Landessprache ist kein Phantom. Romantsch wird in Zuoz gesprochen, wie in Lausanne Französisch gesprochen wird”, hält Cathomas fest.

Brücken zwischen den Tälern

Noch vor gar nicht so langer Zeit kommunizierten die rätoromanischen Täler nicht miteinander. Jedenfalls nicht auf Romantsch: Man gab vor, die anderen nicht zu verstehen.

Das ändert sich nun aber langsam, vor allem dank RTR. Denn sowohl am Radio wie am Fernsehen sprechen alle ihre eigene Sprache.

“Die Leute stellten fest, dass die fünf verschiedenen Sprachen sich gar nicht so stark unterschieden, wie man glaubte. Man hatte diese fixe Idee, dass man sich gegenseitig nicht verstehen könne. Beim Radiohören merkt man nun, dass man alles versteht”, meint Ursin Lutz, Redaktor von Punts, einer Monatssendung, die sich an die Jungen richtet.

Einige Rubriken werden gar in der Standardsprache Rumantsch Grischun gesendet. RG führte Bernard Cathomas ein, als er Generalsekretär der Lia Rumantscha war.

Zur Zeit arbeitet Andrea Rassel für diese Organisation. Er glaubt, dass RG (das bei einigen auch auf Widerstand stösst) dank der elektronischen Medien bei den Leuten ankommt: “Die Leute merken es nicht einmal, wenn die Nachrichten in der Standardsprache gesendet werden, weil sie sich für das Thema interessieren, nicht für die Sprache”, meint er.

Doch auch der kulturelle Einfluss der nicht-elektronischen Medien ist spürbar: “Es ist sehr wichtig, dass es eine rätoromanische Tageszeitung gibt. Wenn man politische Artikel auf Deutsch liest, spricht man meist auch auf Deutsch darüber. Doch wenn man auf Romantsch über lokale, nationale und internationale Themen liest, fängt man an, Romantsch zu sprechen”, fügt er bei.

Allein nicht überlebensfähig

“Die Medien spielen bei der Förderung der Sprache eine wichtige Rolle, denn sie erreichen nicht nur viele Leute, die Romantsch sprechen, sondern auch viele andere. Sie zeigen, dass Romantsch sexy sein kann und dass man dafür nicht immer auf den Knien um Hilfe von aussen ersuchen muss”, findet Rassel.

Trotzdem existiert RTR vor allem dank der besonderen Struktur der SRG SSR Idée suisse, deren Budgetverteilschlüssel die Sprachen der Minderheiten besonders unterstützt. Und die Privatmedien sind allein nicht überlebensfähig. Man kann sich deshalb zu Recht fragen, ob das Publikum wirklich rätoromanische Medien erwartet oder ob diese vor allem am Image der helvetischen Vielfalt festhalten wollen.

“Ich glaube, dass viele so genannt einfache Leute denken, es werde viel Geld für nichts vergeudet und dass man dieses Geld anderswo investieren könnte. Für sie ist RTR nur für die Intellektuellen. Ich finde, das stimmt nicht, aber es ist schwierig, aufzuzeigen, dass das nicht der Fall ist”, stellt Ursin Lutz fest.

Identität: Ein Prozess

“60% der Rätoromaninnen und Rätoromanen hören unser Radio regelmässig, das ist viel”, antwortet Cathomas. “Aber die gleichen Leute hören auch deutschsprachige Medien. Ich denke aber, dass es zu einer Revolution käme, wenn wir das rätoromanische Radio heute einstellen würden. Dann würde es heissen, das sei nicht nur ein Recht, sondern eine wirkliche Notwendigkeit!”

Aber das bedingt die Existenz einer rätoromanischen Identität trotz der Vielfalt der Idiome: “Es ist eine der Aufgaben von RTR, eine allgemeine rätoromanische Identität zu schaffen. Der Prozess wird dauern, aber er hat begonnen”, so Cathomas.

swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Radio e Televisiun Rumantscha (RTR) ist eine Unternehmenseinheit der SRG SSR Idée suisse.
2005 wurde es mit 102 Vollzeitstellen betrieben.
Betriebskosten 2005: 22,8 Millionen Franken.
Radio Rumantsch (RR) sendet seine Programme täglich während 14 Stunden.
Es ist nicht spezialisiert, fördert rätoromanische Musik und sendet regionale, nationale und internationale Nachrichten.
Die Programme von Televisiun Rumantscha (TvR) werden über das Deutschschweizer Fernsehen SF verbreitet und von TSR und TSI übernommen.
Telesguard ist ein tägliches 10-minütiges Journal, Cuntrast ist ein wöchentliches 30-minütiges Magazin.

In Zusammenarbeit mit dem Kanton Graubünden hat der Informatikriese Microsoft ein Interface auf Romantsch entwickelt, das auch eine Rechtschreibekorrektur enthält.

Bei der Entwicklung von “Microsoft Office Rumantsch” arbeitete das amerikanische Unternehmen mit der Lia Rumantscha zusammen, der Dachorganisation der kulturellen rätoromanischen Vereinigungen.

Es musste über 2’000 Begriffe erfinden, die es bisher in dieser Sprache nicht gab.

Auch das Gratislexikon Wikipedia hat eine Website auf Romantsch.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft