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“Ein Gesamt-Werk, kein Gesamt-Kunstwerk”

Rodolphe Luscher vor dem Dach des Wankdorf-Stadions. (Photomontage: Luscher Architectes) Luscher Architectes

Das neue Wankdorf Stadion in Bern ist ein architektonischer Höhepunkt. Konzipiert hat es der renommierte Schweizer Architekt Rodolphe Luscher.

Ein Porträt über den in Zürich geborenen Querdenker, der dank der Expo 64 an den Genfersee kam und seither in Lausanne lebt.

Typisch: Gestern noch war er an einem Kongress in Florenz. Es ist morgen. Luscher war bereits in Freiburg. Dort hat er Politikern und Planern Lösungen skizziert und geduldig Überzeugungs-Arbeit geleistet.

1999 hat Luscher “Fribourg’Cible”, den neuen Gestaltungsplan für das Zentrum von Freiburg entworfen. Die Stadt leidet – wie andere Schweizer Städte – an fehlendem Wachstum, derweil die Aglomerations-Gemeinden boomen und fiskalisch attraktiver geworden sind.

“Nun haben wir baureife Projekte auf dem Brachland mitten in der Stadt. Europan-Preisträger werden Wohnüberbauungen erstellen”, freut sich Luscher, der auch Präsident von Europan Schweiz ist. Europan, das sind europäisch ausgeschriebene Wohnungsbau-Wettbewerbe für Architektinnen und Architekten unter 40.

Keine Türen – zur Freude der Kinder

Luscher, 1941 in Zürich geboren, eröffnete 1971 in Lausanne ein Büro für Urbanistik und Architektur. Er hat –meistens erfolgreich- an 160 Wettbewerben teilgenommen. “So richtig mit bauen begonnen habe ich allerdings erst vor 20 Jahren. Die Wende kam mit einer Kindertagesstätte in Lausanne,” erklärt er im Gespräch mit swissinfo.

Typisch: Innen ist das Gebäude offen. Anstelle von Türen hat es durchgehende Räume, viel Glas, Farben, Licht. Die Kinder waren schon am ersten Tag begeistert. Die Erzieherinnen nicht. Sie waren es gewohnt, mit ihrer Gruppe alleine zu arbeiten. Jetzt mussten sie kooperieren und fühlten sich gegenseitig beobachtet.

Nachträglich schloss man die Türen und baute Möbel-Sperren ein. Das Personal fühlte sich besser, die Kinder eingeengt. Die Einbauten sind wieder verschwunden.

Hightech: fliegende Klassenzimmer

Interaktive, offene Räume hat Luscher auch im Institut für Kommunikation an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne verwirklicht. (2004)

“Das ist eines meiner freisten Objekte”, bilanziert er. “Das Atrium in der Mitte hat die Funktion eines Dorfplatzes, die Gänge sind wie Strassen. Gerade ‘Kommunikation’ bedeutet ja nicht, dass sich die Leute in ihren Büros vergraben sollen.”

In Bussigny hat er scheinbar fliegende Klassenzimmer gebaut. Das Spektakuläre an der 14-Meter langen Auskragung ist die Unsichtbarkeit ihrer Verankerung. “Steht das Schulhaus noch?”, frotzelt Luscher, denn seine Hightech-Architektur sieht sich vielfach mit dem Vorwurf konfrontiert, sie sei nicht realiserbar.

Komplex und gross: Wankdorf

Das Wankdorf-Tribünen-Dach fliegt 24 Meter hoch über dem Rasen. Die Auskragung beträgt 29 Meter. “Schlussendlich ist das Dach sehr schön geworden”, bilanziert der Architekt. “Ich habe immer das Bild eines Flugzeugflügels gebraucht. Das hat das Dach gerettet.”

Die Bernischen Kraftwerke (BKW) haben hier eine der grössten Fotovoltaik-Anlagen der Schweiz gebaut. Eigentlich wollten sie die Solarzellen wie üblich schrägwinklig aufstellen. Luscher schwebten liegende Zellen vor. “Schliesslich ist das Dach von verschiedenen Orten aus einsehbar, es ist die fünfte Fassade.”

Er überzeugte die BKW vom Verkaufsargument Ästhetik. Sie waren begeistert und planten nun auch eine wettergeschützte Besucher-Kuppel mit Blick auf die Solaranlage.

Die verschleierte Fassade

Das Büro Luscher entwarf passende, ästhetisch ausdrucksstarke, UFO-inspirierte Kuppeln. Doch eines Tages stand auf dem Dach “eine Kiste, ähnlich den DDR-Beobachtungsposten auf der Berliner Mauer”, so Luscher.

Die Behörden ordneten den Abbruch an. Dieser scheiterte am Geld und am Zeitdruck. Luscher hat der “Kiste” ein Netz aus Streckmetall als zweite Fassade angehängt und damit einen “Schleiereffekt” erreicht.

Auch anderswo konnte er seine ästhetischen Vorstellungen nicht immer durchsetzen. Hunderte von Projektskizzen, Computer-Animationen und Berechnungen erreichten nicht die gewünschte Wirkung.

Dem Baubeginn ging ein langjähriges Ringen um die Architektur voraus. Das für den Bau verantwortliche Unternehmen ist gleichzeitig Initiant, Auftraggeber, Baumeister und General-Unternehmer des Stadions. Seine technische Abteilung war auch mit der Ausführungsplanung betraut.

Suboptimale Rollenverteilung

Zu Beginn wollte das Unternehmen ein eigenes Architektur-Projekt verwirklichen. Damit war die Stadt Bern nicht einverstanden. Sie verlangte einen Wettbewerb. Nach einem verzwickten Verfahren wurde die Architekten-Gemeinschaft Luscher/Schwaar/Rebmann mit der Architekturplanung beauftragt.

“Der Baudruck war während der ganzen Zeit enorm und es fehlte an gleitender Planung im Hinblick auf das Gesamtkonzept”, drückt sich Luscher diplomatisch aus. “Das Wankdorf ist für Bern ein Highlight, ein gelungenes Gesamtwerk, aber leider kein Gesamt-Kunstwerk. Dazu hätte es eine andere Rollenverteilung gebraucht.”

swissinfo, Andreas Keiser, Lausanne

Bauten:
Tagesstätte Valency, Lausanne
Sicherheitspolizei-Gebäude, Lausanne
Erweiterung Meteo Schweiz, Payerne
Schiess-Übungsanlage der Armee, Bière
Wohnüberbauung Wander, Bern
College Tombay, Bussigny
Institut für Kommunikation der EPFL, Lausanne
Panzerdepot der Armee, Bure
Erweiterung des Bahnhofparkings, Montreux
Stadion Wankdorf, Bern
Depot und Werkstätte der U-Bahn M2, Lausanne / Epalinges (im Bau)

Während vier Jahren war das Wankdorf die grösste oberiridische Baustelle der Schweiz.

Die Gesamtkosten des multifunktionellen Zentrums (Fussball-Stadion, Einkaufs-Zentrum, Wohnungen) betragen 350 Mio. Franken.

Das neue Stadion wird vom 30. Juli bis am 1. August offiziell eingeweiht.

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