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Fotografisches Herz der Schweiz

Yvan Dalain, Geister-Express, Zürich 1956. Aus: Fokus 50er Jahre; Yvan Dalain, Rob Gnant und "Die Woche". Zürich, Limmat Verlag. Fotostiftung Scheweiz

Das Fotomuseum Winterthur und die Fotostiftung Schweiz haben sich zum Zentrum für Fotografie in Winterthur zusammengefunden.

Mit drei Eröffnungs-Ausstellungen zeigt das neue Kompetenzzentrum, wo es sich künftig positionieren will: auf hohem Niveau mitten in Europa.

Grüzenstrasse 44 und 45 in Winterthur: Eine Adresse, die man sich merken wird. Unprätentiös schön präsentieren sich die neuen Räume des Fotomuseums Winterthur und der Fotostiftung Schweiz.

Nach zweijähriger Planungs- und Bauphase ist auf dem Industrieareal “Schleife” ein Zentrum entstanden, das künftig als Modell für geschickt genutzte Synergien im Museumsbetrieb stehen kann.

Technisch auf neustem Stand, haben beide Museen ihre eigenen Ausstellungsräume. Gemeinsam genutzt werden Seminarräume, Bibliothek, klimatisierte Depots für Schwarzweiss- und Farbfotografie, Lounge sowie Bistro.

Peter Pfrunder, Leiter der Fotostiftung: “Eins und Eins gibt hier mehr als Zwei. Mit vereinten Kräften wird möglich, was für eine einzelne Institution zu gross wäre.”

Und Urs Stahel, Leiter des Fotomuseums Winterthur, ist überzeugt: “Das neue Fotozentrum ist einzigartig für die Schweiz und erlaubt uns, in der europäischen Liga mitzuspielen.”

Mit dem Schulterschluss ist in der Schweiz gelungen, was bisher in Berlin und Rotterdam an gigantischen Projekten scheiterte, nämlich der Fotografie und damit dem Umgang mit der eigenen visuellen Kultur den nötigen Platz einzuräumen.

Denn seit der Erfindung der Fotografie prägen diese Kulturgüter unsere Wahrnehmung. Sie stehen als Zeitzeugen und sind längst wichtiger Bestandteil auch in der Kunst.

Grosser und kleiner Röstigraben

Ganz ohne störende Zwischentöne ging jedoch die Geburt des neuen Zentrums nicht vonstatten.

Er hoffe, dass mit dem Zentrum für Fotografie der kleine Röstigraben zwischen Zürich und Winterthur wie auch der grosse Röstigraben zwischen der Deutschschweiz und der Romandie überwunden werden könne, sagte Peter Pfrunder, Leiter der Fotostiftung gleich zu Beginn der Eröffnungs-Medienkonferenz.

Damit spielte er auf die Polemik an, die rund um die Entstehung und die Finanzierung des Zentrums für Fotografie in Winterthur entstanden war.

Zum Ersten, weil die Fotostiftung Schweiz nun nach langen provisorischen Jahren in der Stadt Zürich und nach Beenden des Gastrechts im Kunsthaus Zürich nach Winterthur gezügelt ist.

Zum Zweiten, weil die Westschweizer Institutionen, namentlich die Museen in Neuchâtel und Lausanne, einen Machtzuwachs in Winterthur, also der Deutschschweiz, fürchten. Dabei geht es um viel Geld: Auf 1,6 Mio. Franken will der Bund das Budget der Fotostiftung aufstocken. Und damit dem fotografischen Erbe der Schweiz zu vermehrter Anerkennung verhelfen.

Der Druck aus der Romandie hat nun dazu geführt, dass bereits gefasste Beschlüsse überdacht werden. Es wird nun neu verhandelt.

Fotomuseum Winterthur: International

Gräben hin oder her: Die Schweiz erhält mit der neuen Institution einen Ausstellungs-, Sammlungs- und Forschungsraum erster Güte. Die Stärke zeigt sich bereits in den ersten Ausstellungen.

Mit “Cold Play” und “Ordnung und Chaos” bleibt sich das Fotomuseum treu. Es bietet wechselnde Ausstellungen, die sich der Präsentation internationaler zeitgenössischer Fotokunst widmen.

In “Cold Play” mit dabei ist beispielsweise Robert Frank. Oder auch Nicolas Faure mit seinen Bildern aus Meyrin im Kanton Genf, April 1995. Kinder von Fahrenden, spielend unter blauem Himmel, im Hintergrund die Alpen. Die Bilder korrespondieren mit Joel Sternfelds “Canyon Country” aus Kalifornien, Juni 1983. Vater, Tochter, Hügelkette.

Assoziativ ist der Zugang zu den einzelnen Werken. Nicht das Genre oder eine kunsthistorische Klassifizierung stehen im Zentrum, es soll vielmehr ein fotografischer Denkraum kreiert werden.

Mit seinen schaurig-schönen Bildern aus Tierversuchen ist der Schweizer Fotograf Hans Danuser in der Ausstellung präsent: “Als Künstler arbeitet man isoliert und sucht später sein Publikum. Ich habe immer im Museum ausgestellt. In Winterthur ist es insofern spannend, als hier ein Dialog, ein Diskurs stattfinden kann”, sagt er gegenüber swissinfo.

“Chaos und Ordnung” stellt kritisch die Parallelität von Konsumpflicht und inhaltlicher Leere in den Raum. Die Bilder verweisen auf Abgründe, versteckte Gewalt: Verstörend schöne Naturbilder von Sonja Brass. Menschen unter Hypnose von Marjaana Kella. Inés Lombardis Schiffsreise von West- nach Osteuropa.

Fotostiftung Schweiz: Nationales Erbe

Die Ziele der Fotostiftung Schweiz sind seit 1971 gleichlautend: Schweizer Fotografie sammeln, erhalten und zugänglich machen, das “patrimoine photographique” der Schweiz erhalten.

Die erste Ausstellung in Winterthur ist den Werken von Yvan Dalain (1927, Avenches) und Rob Gnant (1932, Luzern) gewidmet. Beide gehören zu den herausragenden Schweizer Fotojournalisten der Nachkriegszeit. In ihren Bildern beleuchten sie die Widersprüche ihrer Zeit: Weltoffenheit und Heimatidylle, Temporausch neben Rückständigkeit, Dolce Vita neben Arbeitsmisere.

Die Ausstellung verbindet die Wiederentdeckung dieser beiden Meister mit einer Würdigung der Zeitschrift “Die Woche”, die einen Grossteil ihrer Reportagen publizierte. Die 1951 gegründete Illustrierte verhalf dem Fotojournalismus in der Schweiz bis Anfang der 70er Jahre zu einer regelrechten Blüte.

Das beweisen die Werke der beiden Fotojournalisten eindrücklich. Deren Bilder vermögen auch im musealen Kontext ihre ganze Kraft zu entfalten und die Betrachterinnen und Besucher für ein wichtiges Stück Zeitgeschehen zu begeistern.

swissinfo, Brigitta Javurek, Winterthur

Das Fotomuseum Winterthur und die Fotostiftung Schweiz planen eine enge Zusammenarbeit: Jährlich sind vier Wechsel-Ausstellungen, die jeweils gleichzeitig öffnen, geplant. Alle zwei Jahre sind gemeinsame Ausstellungsprojekte vorgesehen.

Die Sammlungsdepots sind auf modernstem Stand und genügen höchsten konservatorischen Ansprüchen.

Während das Fotomuseum vorwiegend privat finanziert wird, lebt die Fotostiftung primär von Bundesgeldern. Gegenwärtig erhält sie vom Bund 800’000 Franken Subventionen. Diese sollen laut Bundesamt für Kultur bis 2006 auf 1,6 Mio. aufgestockt werden.

Insgesamt möchte der Bund mit jährlich insgesamt 2 Mio. Franken die Fotografie in der Schweiz unterstützen.

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