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Für Mayers ist das Filmfestival Familiensache

Locarno im Sommer 2020.
Das Zentrum von Locarno im Sommer 2020. Keystone / Pablo Gianinazzi

Es gibt diesmal keine Piazza Grande, keine internationalen Gäste und keine Partys. Trotzdem lockt das Locarno Film Festival viele Schweizer und Schweizerinnen an – für manche ist es schlicht Familientradition.

Familie Mayer, 14 Personen, trifft sich seit 10 Jahren immer zum Festival Locarno – davon liessen sie sich auch dieses Jahr nicht abhalten. 

aDie Familie bei ihren sommerlichen Weihnachtsessen
Die Familie bei ihren sommerlichen “Weihnachtsessen”. swissinfo.ch


Das traditionelle Familientreffen am Filmfestival ist eine spezielle Idee, wie ist sie entstanden?

B. Glutz-Mayer: Alles fing mit dem Interesse einer meiner Schwestern an Filmen an. Sie und ihr Partner besuchten das Festival del Film in Locarno schon vor vielen Jahren. Vor mehr als zehn Jahren beschloss sie zusammen mit meiner anderen Schwester, dass wir gemeinsam nach Locarno reisen könnten.

Es brauchte keine Überredungskünste: So konnte ich meine zwei Schwestern einmal pro Jahr länger als nur für ein Essen treffen. Die wohnt am anderen Ende der Schweiz und die zweite seit Jahren in Afrika. So trafen wir uns zum ersten Mal zu viert in Locarno. Im folgenden Jahr kamen die anderen Familienmitglieder dazu.

Was machen Sie in Locarno, wenn Sie nicht in einem Film sitzen?

B. Glutz-Mayer: Einige sind tatsächlich für die Filme dort. Ich freue mich das ganze Jahr darauf, den ganzen Tag vor der Leinwand zu hocken. Andere sind eher dem Sport verpflichtet, sie radeln, wandern und schwimmen. Das führt dann von Zeit zu Zeit zur Kritik, die Sportler nähmen den Festivalbesuchern Betten weg, was ja auch stimmt. Aber es ist halt der Treffpunkt der ganzen Familie – einmal im Jahr.

S. Glutz-Mayer: Ich lebe ein wenig fauler als sonst, gebe in kurzer Zeit etwas mehr Geld aus als im Alltag und erlebe, was Familie heissen kann, wenn sie etwas grösser ist als der übliche Mutter-Vater-Kinder-Kern.


Glutz-Meyer in Locarno. 
Glutz-Meyer in Locarno. Thair Alsaadi /swissinfo.ch

Wann und wie treffen sich die Familienmitglieder?

B. Glutz-Mayer: Die Begegnungen sind sehr unkompliziert, man oder frau trifft sich im Film, nachher oder vorher und geht dann Kaffee trinken oder eine Kleinigkeit essen oder verabredet sich für den Abend. So treffen sich die Mitglieder immer wieder in anderer Formation, so dass schliesslich nach ein paar Tagen alle miteinander einmal Kontakt gehabt haben. Ein Abend ist für Egotrips tabu: dann nämlich, wenn alle miteinander essen gehen.

Was ist der Höhepunkt des Festivals für Sie?

S. Glutz-Mayer: Der Höhepunkt des Festivals ist für mich eigentlich immer dieses innere Gefühl der geistigen Sättigung, das sich man nach den Tagen in Locarno und der Anzahl guter Filme, die man gesehen hat, zunehmend spürt.

B. Glutz-Mayer: Einer der Höhepunkte für fast alle Besucher des Festivals ist der Abendfilm auf der Piazza. Wenn um halb zehn Uhr die Strassenbeleuchtung ausgeht, die alten Bauten in allen Farben angeleuchtet werden und schliesslich die Piazza dunkel wird, erscheinen als erstes immer kleine Szenen aus dem Publikum auf der Leinwand vor der Aufführung, wenn das Publikum gefilmt wird. Die Hoffnung, jemanden zu kennen, und die Hoffnung auf ein besonderes Mimikspiel, wenn sich jemand plötzlich dort vorne sieht. 

Dieses Jahr werden aber keine Filme auf der Piazza Grande gezeigt, wie erleben Sie das Festival in Locarno in seiner diesjährigen Form?

S. Glutz-Mayer: Ich erlebe dieses Jahr eigentlich gleich wie die letzten Jahre. Man könnte vielleicht einfach sagen, dass die geistige Anregung dieses Jahr etwas weniger exotisch ist, da sie nicht primär von den Filmen herkommt, sondern von den Gesprächen, die wir untereinander haben – Gespräche, die vermutlich dieses Jahr, weil wir alle mehr Zeit hatten, länger und intensiver als sonst ausgefallen sind.

“Man fragt sich insgeheim, wer das ganze Jahr in dieser Stadt verbringt.”

F. Mayer: Uns als die faulsten Filmeschauer der Familie tangiert das zusammengestrichene Filmprogramm nur am Rande. Positiv fällt auf, dass die gemeinsamen Abendessen ohne Zeitdruck stattfinden, da niemand um 20:30 die Tafel fluchtartig verlassen muss für die Filmvorführung.

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