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Hatte einen Koffer in Zürich: Bertolt Brecht

Zwischen 1947 und 1949 lebte Bertolt Brecht in der Schweiz. Neu entdeckte Dokumente erlauben nun einen erweiterten Blick auf seine Zürcher Jahre.

Der Strauhof Zürich zeigt die neusten Funde und dokumentiert, wie Brecht hierzulande bespitzelt und als Kommunist beschimpft wurde.

Eigentlich wollte Werner Wüthrich, Autor und Theaterwissenschafter, 2002 einzig seine vor rund 30 Jahren verfasste Dissertation auf den neusten Stand der Forschung bringen. Doch dann passierte es. “So etwas war nicht zu erwarten”, sagte Werner Wüthrich anlässlich der Vernissage in Zürich.

“So etwas” bezeichnete den Fund umfangreicher, bislang unbekannter Dokumente. Brecht hatte diese bei seiner Abreise nach Berlin 1949 beim befreundeten Ehepaar Hanswalter und Reni Mertens-Bertozzi hinterlassen.

Zu diesem Nachlass gehören auch literarische Papiere wie Bühnenmanuskripte und Skizzen, handschriftliche Kommentare in Texten und zwölf unbekannte Keuner-Geschichten. Diese Dokumente sind nicht zur Veröffentlichung freigegeben.

Von diesem Fund inspiriert suchte Wüthrich, einem Fahnder gleich, nach weiteren Quellen, die mehr über Brecht und seine Zeit in der Schweiz aussagen könnten.

Und Wüthrich wurde und wird weiter fündig. “Wir sind in einer Zwischenbilanz der Brecht-Forschung.” Noch in den letzten Tagen vor der Ausstellungs-Eröffnung wurde eine verschollen geglaubte Lithografie “Herr der Fische” entdeckt.

Neue Mosaiksteine im Brecht-Bild

Die Funde sind eine kleine Sensation. Galt doch Brechts Zeit in der Limmatstadt als erforscht. Doch nun vervollständigen neue Mosaiksteine das Bild des grossen politischen Dichters des 20. Jahrhunderts.

Die Ausstellung im Strauhof bietet einen ungewöhnlich umfassenden und spannenden Einblick in die Zürcher Zeit von Brecht. In sieben themenbezogenen Räumen kann eine Geschichtsreise unternommen werden, die auf vielfältige Art und Weise gelesen werden kann.

Eng und intolerant: Das offizielle Zürich

Zum Beispiel kann, wer will, die Geschichte von Brecht als Topografie des Asyls lesen. Zürich war in jenen Jahren 1947-49 alles andere als eine weltoffene, gastfreundliche Stadt.

Bertolt Brecht wurde als Kommunist beschimpft, von der Stadtpolizei und der Bundesanwaltschaft in Bern bespitzelt, denunziert, abgehört und sein zweites Gesuch um eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung abgelehnt. Ganz im Gegensatz zum Nobelpreisträger Thomas Mann, der hofiert und mit offenen Armen empfangen wurde.

Brecht und das Theater

Wer nun aber glaubt, dass Brecht isoliert und einsam in Zürich lebte, irrt. Brecht, seine Frau Helene Weigel und ihre Tochter Barbara pflegten einen regen Kontakt mit Freunden, Theaterkollegen und Gleichgesinnten.

Brechts episches Theater erlebte an der Pfauenbühne immer wieder wichtige Ur- und Erstaufführungen und festigte seinen Ruf als politischster Autor des 20. Jahrhunderts. Doch ganz ohne Makel war auch die Theaterzeit in Zürich nicht.

Wegen Differenzen wurde das “Antigonemodell” 1948 in Chur uraufgeführt. Zürich begnügte sich mit dem Volksstück “Herr Puntila und sein Knecht Matti”. Chur bezahlte seinen “Mut” mit miesen Besucherzahlen und der Direktor wurde bald wegen Misserfolg entlassen.

Versöhnlicher Abschluss

Die neusten Funde zu Bertolt Brecht sind zu umfangreich, als dass sie in einer Ausstellung Platz fänden. So wird neben Zürich im kommenden Herbst auch Berlin eine Ausstellung zu Brecht präsentieren.

Es scheint, dass die Schweizer Jahre des Bertolt Brechts künftig in einem andern Licht gesehen werden. Auch wenn er einst schrieb: “Die Schweiz ist teuer, hat keine Städte und ist eine Theaterdekoration (aber ohne Bühnenarbeiter).”

10. Februar 1898: Geburt Bertolt Brechts
Brecht gilt als Begründer des epischen Theaters
Grösster Erfolg: Die Dreigroschenoper (1928)
1933: Flucht vor den Nazis nach Amerika
1947: Übersiedelung in die Schweiz
1947: Umzug nach Ost-Berlin
1956: Brecht stirbt in Berlin

Brechts episches Theater unterscheidet sich vom klassischen Drama in wichtigen Punkten. Der Zuschauer wird zum Betrachter, dem Kenntnisse über die Welt und den veränderlichen Menschen vermittelt werden.

Der Schauspieler spielt seine Rolle mit Distanz, er verwandelt sich nicht in seine Figur, er zeigt sie. Songs unterbrechen die Handlung und ermöglichen eine kritische Reflexion des Gesehenen.

Die Verfremdung, die das epische Theater anstrebt, ist ein Gegenkonzept zur Einfühlung. Brecht will die Zuschauenden zur Kritik und zur Reflexion anregen.

Daneben forderte er auch bequeme Sessel und ein Aufhebung des Rauchverbots im Zuschauerraum.

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