Literatur – vernetzt und übersetzt
Mit der türkisch-schweizerischen Autorin Güzin Kar, dem Rapper Kutti MC, Literatur aus dem Nahen Osten und vielem mehr sprengen die Solothurner Literaturtage Grenzen.
Die 29. Ausgabe des Anlasses lockt vom 18.- 20. Mai ein vielschichtiges Publikum, das hören will, in die Aare-Stadt.
Lesen kann jeder und jede auch allein zu Hause. In Solothurn soll zugehört werden. Besonders im Dunkelzelt. Dorthin wird das Publikum von blinden und sehbehinderten Menschen geführt, wo es sich ganz dem Hörerlebnis und der Vorstellungskraft hingeben kann.
Unter dem Motto «Literatur im Dunkeln» kommen Fussballsongs von Pedro Lenz und Wolfgang Bortlik zur Aufführung, lässt der Spoken-Words-Künstler Kutti MC «Dark Angels» erklingen und singt Jacob Stickelberger seine Chansons.
Bereits zum zweiten Mal präsentieren die Solothurner Literaturtage in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband parallel zum Haupt- ein fast ebenso dicht besetztes Alternativprogramm.
Lesung für Paarungsgestörte
«Es gibt tausend Arten, wie die Literatur Grenzen auslotet, ausweitet, überschreitet, überwindet, überspringt oder umspielt», schreibt die Programm-Kommission. So sollen in Diskussionen, Werkstattgesprächen und Performances die fliessenden Grenzen zwischen den Genres aufgezeigt werden.
Aber auch die vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen von Text und Musik einerseits und Text und Bild andererseits sollen in den kommenden Tagen unter die Lupe genommen werden.
Geografisch werden die Grenzen nach Afrika überschritten, nach dem Nahen Osten, der Türkei, Italien, Frankreich und Deutschland.
Die aus der Türkei stammende und in Zürich lebende Autorin und Regisseurin Güzin Kar wird aus ihrem «Episodenroman für Paarungsgestörte» lesen. «Ich dich auch» geht menschliche Schwächen in Liebesdingen mit deftigem Humor an.
Von einer Sprache in die andere
Eine für die Vermittlung von Literatur eminent wichtige Form der Grenzüberwindung ist die Übersetzung. «Young Swiss Writers» heisst eine Anthologie, die dem englischsprachigen Publikum Zoë Jenny und Peter Stamm, Milena Moser, Franco Supino und Perikles Monioudis vorstellt.
Der in Solothurn präsentierte Band verrät nicht nur in den Namen der Autorinnen und Autoren, dass die Schweiz und ihre Literatur längst ihre Grenzen überwunden und die Welt absorbiert hat.
Libanon schreibt
Die Reihe «Literatur aus dem Nahen Osten» hat in den vergangenen Jahren Iran und Jordanien nach Solothurn geholt. Jetzt steht Libanon auf dem Programm.
Die Autorin Iman Humaidan Junis und die beiden Autoren Hassan Dawud und Mohammad Abi Samra präsentieren «ein vielfältiges Schreiben – aufmüpfig oder ruhig, konventionell oder modernistisch – Ausdruck eines ebensolchen Landes», wie der Übersetzer Hartmut Fähndrich im Programmheft schreibt.
Libanon steht auch im Zentrum des Magazins «Lisan» (Arabisch für Zunge oder Sprache). Die zwei Mal jährlich in Basel erscheinende Zeitschrift für arabische Literatur in deutscher Sprache stellt in ihrer dritten Ausgabe bisher nicht übersetzte Autoren vor, ergänzt durch Essays, Porträts und Interviews.
Unveröffentlichtes aus der Schweiz
Doch bei allem Grenzüberschreiten – geografisch, zwischen den Genres oder Künsten – soll nicht vergessen werden, dass in Solothurn seit jeher vor allem Neues aus der Schweizer Literatur präsentiert wird. So auch dieses Jahr.
Von renommierten Autoren wie Hugo Loetscher ist Unveröffentlichtes zu hören. Thomas Hürlimann liest ebenso aus seinem neuen Werk wie der soeben mit dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnete Peter Weber, der vor 15 Jahren mit seinem Erstling «Der Wettermacher» Furore machte.
Der neue Roman «Die melodielosen Jahre» ist sein viertes Werk und lässt sich als Klangexperiment lesen – und erst recht hören.
Auch Zoë Jenny stellt Unveröffentlichtes vor. Die Basler Autorin hat als 23-Jährige vor 10 Jahren ihren ersten Roman «Das Blütenstaubzimmer» veröffentlicht und wurde dafür als neues Wunderkind der Schweizer Literaturszene gehandelt. In den folgenden Romanen enttäuschte sie dann die überhöhten Erwartungen.
Und schliesslich wird unter dem Stichwort «OpenNet» den Schreibenden von morgen eine Bühne geboten. Die online eingesandten Texte hat eine Fachjury nach innovativem Sprachgebrauch und originellem Ausdruck beurteilt. Eine Auswahl der Texte wird am Sonntag in einer Kurzlesung vorgetragen.
swissinfo, Susanne Schanda
Die 29. Literaturtage finden vom 18.-20. Mai statt.
Geboten werden 59 Veranstaltungen in 8 Sprachen, 27 davon als Lesungen im Dunkelzelt.
Daneben sind ein Film und eine Ausstellung des französischen Autors und Illustrators Frédéric Pajak zu sehen.
67 Autorinnen und Autoren, 9 Übersetzer, 5 Musiker und 5 OpenNet-Autoren sind eingeladen.
Die Preise der Schweizerischen Schillerstiftung, die Autoren aufgrund eines neuen Buches auszeichnen, werden dieses Jahr erstmals in Solothurn verliehen.
Dabei werden jeweils Literaturschaffende aus allen vier Sprachregionen geehrt.
Aus der Deutschschweiz erhalten Thomas Hürlimann («Vierzig Rosen») und Christian Haller («Trilogie des Erinnerns») je 10’000 Franken.
José-Flore Tappy aus der Romandie erhält für «Hangars» und ihr Gesamtwerk 10’000 Franken.
Aus der italienischsprachigen Schweiz teilen sich Pietro De Marchi («Replica») und Gilberto Isella («Corridoio polare») den Preis von je 5000 Franken.
Schliesslich erhält Leo Tuor aus der rätoromanischen Schweiz für «Settembrini – Veta e meinis» 10’000 Franken.
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