Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Nachlass eines verdrängten Intellektuellen

Carl Albert Loosli, um 1940

Als kritischer Zeitgenosse wurde der Schriftsteller und Publizist Carl Albert Loosli zu seiner Zeit nicht gemocht. Seit einigen Jahren jedoch ist sein Werk wieder erhältlich und neu ist sein Nachlass auf dem Internet inventarisiert.

Der kritische Geist Looslis ist lange nicht geschätzt worden”, sagt Rudolf Probst, stellvertretender Leiter des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA). In den letzten zwanzig Jahren habe sich dies verändert.

“Vorher war Loosli für viele Schweizer ein rotes Tuch. Er hat immer wieder neu auf Missstände aufmerksam gemacht.”

Rudolf Probst ist im Schweizerischen Literaturarchiv für die Inventarisierung der Nachlässe zuständig. Er hat auch den Nachlass von C.A. Loosli inventarisiert.

Das Inventar ist seit kurzem sowohl in HelveticArchives, der Online-Datenbank der Archivbestände der Schweizerischen Nationalbibliothek, als auch im Nachlassinventar des SLA einsehbar.

9277 Datensätze zu Looslis Nachlass

Von Loosli gibt es 9277 abrufbare Datensätze, “eine unglaubliche Anzahl”, wie Probst bemerkt. “Im Nachlass befinden sich neben Manuskripten und Briefen auch andere Dinge, Gegenstände, Fotografien, Dokumentationsmaterial wie zum Beispiel Abdrucke von Looslis Zeitungsartikeln. Es ist eine Fundgrube für Leute, die sich mit Loosli vertieft auseinandersetzen wollen.”

Die Menge des Nachlasses zeigt, wie aktiv Carl Albert Loosli Zeit seines Lebens war. Er war Redaktor und Publizist, hat Novellen verfasst, Gedichte und einen Kriminalroman.

Er war ein politisch denkender Mensch und widmete sich gesellschafts-, sozial- und kulturpolitischen Themen. Loosli war ein unabhängiger Denker, ein Freigeist, Vorkämpfer gegen den Antisemitismus, für menschenwürdige Erziehung und für die Rechte von Schriftstellern.

“In der Schweiz ist es so, dass Leute, die auf Missstände aufmerksam machen, häufig als Nestbeschmutzer bezeichnet werden, obwohl sie das Nest nicht wirklich selber beschmutzen, sondern nur auf den Dreck hinweisen”, sagt Probst.

“Loosli hat eben genau dieses Schicksal erlitten. Durch seine Kritik wurde er von vielen einflussreichen Schweizer Literaten und Politikern abgelehnt.”

Unehelich und bevormundet

Geboren wurde Carl Albert Loosli 1877 als uneheliches Kind in Schüpfen im Kanton Bern. Er wuchs nicht bei seiner Mutter auf, sondern bei einer Pflegemutter, die 1889 starb.

Loosli kam zuerst in ein Erziehungsheim in Neuenburg und landete schliesslich wegen kleinerer Vergehen in der Erziehungsanstalt Trachselwald. Was er dort erlebte, sollte ihn sein Leben lang beschäftigen.

1897 wurde er aus der Anstalt entlassen, aber “bevormundet”. In den Jahren 1897 und 1898 reiste er unter anderem nach Paris. Er erarbeitete sich autodidaktisch eine umfassende Bildung auf den Gebieten Literatur und Kunst. Die Entmündigung wurde 1901 aufgehoben.

Nach einer ausgedehnten Europareise heiratete er Ida Rosa Schneider und zog 1903 nach Bümpliz, das damals noch nicht zu Bern gehörte.

Ab 1904 war er Alleinredaktor des neu erscheinenden Berner Boten. Aus dieser Zeit stammen die in Buchform erschienenen Artikel Bümpliz und die Welt. Sein Freund Jonas Fränkel verpasste ihm damals die Bezeichnung “Der Philosoph von Bümpliz”.

Der Gotthelfhandel war nur ein Gotthelfscherz

Beliebt war Loosli nie wirklich, jedoch gänzlich unbeliebt machte er sich mit der Veröffentlichung des so genannten Gotthelfhandels.

In diesem satirischen Zeitungsartikel behauptete Loosli, die Texte Gotthelfs stammten nicht von Albert Bitzius, sondern sie seien von einem Autorenkollektiv bestehend aus Bitzius und einem Bauern namens Johann Ulrich Geissbühler unter dem Pseudonym Jeremias Gotthelf verfasst worden.

Nach dieser Satire, die als solche nicht erkannt wurde, musste Loosli 1913 das Präsidium des Schweizerischen Schriftstelleverbandes SSV, den er ein Jahr zuvor mitbegründet hatte, wieder aufgeben.

Der NZZ-Literaturkritiker Hans Trog hielt fest, dass Loosli durch die Veröffentlichung dieses Artikels “für immer aus der Reihe der ernstzunehmenden Schriftsteller ausscheidet”.

In Vergessenheit geraten

Auch der Gotthelfhandel führte dazu, dass Looslis Werke in der Öffentlichkeit nicht mehr beachtet wurden. Der andere grosse Schriftsteller aus dem Emmental hingegen wurde viel breiter bekannt: “Loosli hatte einen grossen Einfluss, was die Rezeption von Gotthelfs Werken angeht. Er hat die erste Gotthelf-Ausgabe eigentlich angeregt. Gotthelf galt vorher als Bauernschriftsteller. Das Renommée, das er heute hat, ist wesentlich auch Loosli zu verdanken”, hält der Literaturwisschenschaftler Rudolf Probst fest.

In der heutigen Literatur-Forschung werde nicht mehr bestritten, dass Albert Bitzius in seinen Gotthelf-Werken damals auch Inspirationen oder ganz konkrete Textvorlagen anderer Publizisten verwendet habe, jedenfalls in einigen Werken, schreibt Stefan Humbel im Quarto 28, der Revue des Schweizerischen Literaturarchives, das C.A. Loosli gewidmet ist.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

Loosli wurde 1877 in Schüpfen geboren. Er starb 1959 in Bümpliz.

Seine Werke wurden 2006 in einer siebenbändigen Werkausgabe im Rotpunktverlag neu editiert.

Die bekanntesten Werke sind: Bümpliz und die Welt (1906), Mys Dörfli(1909, berndeutsch), Üse Drätti (1910, berndeutsch), Mys Ämmitau (1911, berndeutsche Gedichte), Anstaltsleben (1924), Die schlimmen Juden (1927), Die Schattmattbauern (1932), Erinnerungen an Carl Spitteler (1956). Posthum erschien Es starb ein Dorf (1975.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft