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Presseschau vom 23.09.2002

Nicht egoistisch seien die Schweizer - bloss verunsichert. swissinfo.ch

Die Schweizer Presse sieht die wirtschaftliche Unsicherheit als Hauptfaktor für das dreifache Nein.

Am Sonntag hat das Schweizer Volk die SVP-Goldinitiative, den bundesrätlichen Gegenvorschlag wie auch die Strommarkt-Liberalisierung verworfen.

“Schlappe für den Bundesrat”, titelt die BERNER ZEITUNG zum dreifachen Nein. Das Volk habe die Regierung im Regen stehen lassen. “Und die Moral von der Geschicht?” fragt die BZ. In unsicheren Zeiten tendiere der Bürger eben zu bewahrender Vorsicht.

“Wer da von ihm Entscheide will, muss seine Absichten umso klarer formulieren, so dass das Volk nicht das Gefühl kriegt, die Katze im Sack zu kaufen.”

Angst vor Neuem

Ob das Nein zur Solidaritätsstiftung heisse, dass die Schweizerinnen und Schweizer ein egoistisches Volk seien? werweisst der Berner BUND und findet eher nein, denn:

“In einer Zeit kriselnder Wirtschaft und sinkender Pensionskassenrenten denken viele von uns zuerst an sich selbst. Die Menschen sind so, hier und anderswo. Die aktuelle Verunsicherung hat auch die Liberalisierung des Strommarkts gestoppt: In gedämpfter Stimmung rüttelt man ungern an Bewährtem, wenn der allfällige Nutzen des Neuen so schwer nachvollziehbar ist.”

Ähnlich interpretiert die ST. GALLER ZEITUNG das Abstimmungsergebnis. Zu ernst seien in der Schweiz die Zeiten, um in “Spendierlaune” zu verfallen. Der Aufschwung finde fast nur noch auf Plakaten statt, und

“die Solidaritätsstiftung als Flaggschiff des Gegenvorschlags wurde in dieser Situation nicht als Chance wahrgenommen, wichtige gesellschaftliche Projekte voranzutreiben. Eher sah sie die Mehrheit als Hypothek mit 30 Jahren Laufzeit und diffuser Bestimmung.”

Destruktiver Einfall

Mit gröberem Geschütz fährt die BASLER ZEITUNG auf. Sie kritisiert das Abstimmungswochenende als “Triumph der Buchhaltermentalität”. Ein destruktiver Einfall genüge, um eine visionäre Idee zum Scheitern zu bringen. Die Goldinitiative der SVP habe ihr Hauptziel, die Stiftung zu bodigen, erreicht.

“Wie weiter nach dem Doppel-Nein?”, fragt die BAZ. Es sei klar, dass die Solidaritätsstiftung nun vom Tisch sei, zitiert das Blatt Bundespräsident Kaspar Villiger. Eine Mehrheit des Volkes wolle jedoch offenbar weiterhin “etwas für die AHV tun”.

Mit ihrem Entscheid habe sich der Souverän nicht nur gegenüber der Stiftung, sondern auch gegenüber der Landesregierung unsolidarisch verhalten, schreibt die Genfer Zeitung LE TEMPS. “Une Suisse sur la défensive”; das Land stehe wieder einmal in Abwehrhaltung.

“Nein.Nein.Nein”, kommentiert die NEUE LUZERNER ZEITUNG diese Abwehrhaltung. Bei schlechtem Wirtschaftsgang habe die Angst vor Veränderung eben gute Konjunktur. Was die Nein-Sager zur Linken wie zur Rechten begünstige.

Häme folgt

Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist es peinlich, dass dieses Land, das ein grosses humanitäres Werk – die Solidaritätsstiftung – in Aussicht gestellt hatte, nun zurückkrebsen muss. “Die Häme wird nicht ausbleiben”, warnt die NZZ.

Zwar sei die Solidaritätsstiftung verloren, schreibt der Zürcher TAGES-ANZEIGER. Nicht verloren sei hingegen die Möglichkeit, das Sondervermögen intelligent einzusetzen. “Zum Beispiel zu Gunsten der Bildung”, schlägt der TAGI vor.

“Der Tanz ums goldene Kalb beginnt von neuem”, titelt der BLICK und stellt die provokante Frage, ob Bundespräsident Kaspar Villiger wegen der Abstimmungsniederlage nun den Bettel hin werfe? Die Anwort sei ein klares Nein. Denn Villiger sei ein fairer Verlierer.

Sieg der Selbstgerechten

Von einer “schlechten Zeit für Geschenke” spricht die AARGAUER ZEITUNG. Leise schauernd nehme man zur Kenntnis, dass für Blocher, Maurer und Co. Das “Hauptziel des Tages” erreicht sei: Diese “unsägliche Solidaritätsstiftung” sei gebodigt:

“Noch einmal haben die Selbstgerechten gesiegt, die wissen, dass wir niemandem etwas schulden. Wer nie sein Brot mit Tränen ass, braucht keine Solidarität.”

Es sei nun so, dass die Erstplatzierten unter den Verlierern wollten, dass primär die AHV profitiere. Fazit:

“Verlierer ist die Solidaritätsstiftung. Sieger ist niemand. Das Ringen beginnt von vorne.”

Monika Lüthi

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