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René Burri: Eine Bühne des Weltgeschehens

Erstmals zu sehen: Filme aus Burris Studentenzeit (Bild: swissinfo) Nicolas Lavanchy

Das Museum für Gestaltung Zürich zeigt eine Retrospektive des Fotografen René Burri. Die Ausstellung vereint über 300 Fotografien.

Die Rolle des Che Guevara-Bildes, der Unfall in Zürich, der Dachboden-Fund – ein swissinfo-Gespräch mit Ko-Kurator und Museumsdirektor Christian Brändle.

Die Retrospektive in Zürich zeigt primär Schwarzweiss-Fotografien, welche bereits in Lausanne, Paris und Mailand zu sehen waren. Ein anderer Teil beinhaltet zum ersten Mal auch einen Einblick in Burris Farbwerk sowie bisher unentdeckte Experimentalfilme.

Wie haben Sie diese Filme denn entdeckt?

Christian Brändle: René Burri hat immer wieder von diesen Filmen erzählt. Er hat hier in Zürich ein Atelier mit einem kleinen Archiv. Ein kleines Archiv, aber ein grosses Durcheinander. Der Zufall wollte es, dass er mich drei Wochen vor der Eröffnung anrief, er habe eine Schachtel mit drei Filmen gefunden. Eine Woche später fanden wir dann noch Burris Abschlussfilm über die Kunstgewerbeschule auf dem Dachboden der Hochschule für Kunst und Gestaltung.

Seit den 1950er Jahren arbeitet René Burri als Reportagefotograf. Was unterscheidet sein Werk von dem seiner Berufskollegen?

C.B.: Es gibt zwei zentrale Punkte. Der eine ist, dass Burri wie kaum jemand anders die Weltgeschichte begleitet hat. Er dokumentierte eigentlich jeden wesentlichen Schritt der Weltgeschichte der letzten 50 Jahre. Der zweite Punkt ist der Mensch, welcher bei ihm immer ganz gross im Zentrum steht.

1963 reiste Burri nach Havanna und machte das Foto von Che Guevara, welches zu einer Ikone wurde. Würde es heute eine René Burri Retrospektive geben, hätte er ihn nie getroffen?

C.B.: Auf jeden Fall. Dieses Bild ist eines unter mehreren Bildern, die um die Welt gingen. Als Beispiel seien hier die Bildserien zu Picasso oder Le Corbusier erwähnt. Neben dem eigentlichen Bild zeigen wir unzählige Objekte auf welchen dieses Che Guevara Portrait natürlich fern ab von irgendwelchen Urheberrechten reproduziert wurde.

Zum Beispiel?

C.B.: Das beginnt bei Zigarettenpapier über Seife bis hin zu einer Swatch Uhr welche Herr Hayek, selbstverständlich auch ohne einen Franken zu bezahlen, produziert hat. Dafür haben sie dem Che Guevara noch die Zigarre wegretuschiert, damit die Uhr auch politisch korrekt daher kommt.

René Burri war ernorm umfassend in seiner Arbeit. Wie geht man als Ausstellungsmacher mit einer solchen Menge an Material um?

C.B.: Das ist bei jeder Ausstellungstätigkeit die Herausforderung. Als Ausstellungsmacher muss man sich natürlich überlegen, wie man in eine solche Ausstellung eine narrative Struktur bringen kann. Es gibt sinnvolle und teilweise auch triviale Zugänge, etwa eine chronologische Struktur.

Sie haben das nicht gemacht.

C.B.: Bei der Weite des Werkes von Burri haben wir es als sinnvoll erachtet, die Ausstellung in zwölf Hauptthemen zu gruppieren. Themen die für das Werk von Burri prägend sind.

Was für Themen sind das?

C.B.: Das sind Themen wie die frühen Jahre, die serielle Fotografie, das gedruckte Bild oder die wunderbare Bildserie Die Deutschen. Ein Thema womit sich Burri bis heute beschäftigt und sich daran reibt.

Wie haben Sie diese Struktur in der Ausstellung umgesetzt?

C.B.: Jedes Thema hat seinen eigenen Bereich in der Ausstellung, welcher durch farbige Wände strukturiert ist. Dabei handelt es sich um Farben nach den Originalrezepten von Le Corbusier die nun von kt.COLOR in Uster wieder hergestellt werden. Wir konnten so auch eine schöne inhaltliche Brücke zwischen Burri und Corbusier schaffen, da Burri ihn immer wieder portraitiert hat.

Gibt es in der Ausstellung ein Bild, welches Ihnen persönlich besonders wichtig ist?

C.B.: Mir persönlich gefallen die Bilder des Unfalls in der Ackerstrasse, die ja gerade um die Ecke beim Museum für Gestaltung ist. Diese Fotos entstanden während Burris Studium in den 1950er Jahren und zeigen wunderbar, was er für eine Bildstrategie zu entwickeln beginnt.

Was ist so speziell an dieser Bildstrategie?

C.B.: Speziell ist, dass nicht das Thema des Bildes im Zentrum steht. Der Protagonist ist am Bildrand. In der Bildmitte sieht man den Boden mit Kratzspuren von diesem Motorrad. Burri baut uns wie eine Bühne des Geschehens. Mit diesen drei Aufnahmen ist dieses Prinzip schon fast programmatisch festgehalten.

swissinfo-Interview: Nicolas Lavanchy

René Burri, 1933 in Zürich geboren, besucht 1949-53 die legendäre Fotoklasse bei Hans Finsler.
1955 fotografiert er die Erziehung taubstummer Kinder. Die Agentur Magnum wird auf ihn aufmerksam.
Ab 1956 bereist Burri im Auftrag von Magnum die Schauplätze der Welt- geschichte, 1959 wird er Vollmitglied der Agentur.
1963 Kuba-Reportage, das legendäre Che Guevara-Foto entsteht.
Burri lebt und arbeitet in Paris und Zürich.

Seit 2003 leitet der Architekt Christian Brändle das Museum für Gestaltung Zürich.

Zusammen mit Hans-Michael Kötzle und René Burri kuratierte er die Retrospektive René Burri.

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