Appenzeller Idylle zerbröckelt

Sie sind stolz auf ihre Landsgemeinde als Hort der direkten Demokratie. Als aber Türken menschenwürdige Behandlung forderten, rasteten viele Appenzeller aus.
Die Fassade der Appenzeller Idylle zerbröckelte schon, als sich Asylsuchende über die Zustände im Asylheim Mettlen beschwerten, eine menschenwürdigere Behandlung verlangten und – um dieser Forderungen Nachdruck zu verschaffen – in Hungerstreik traten.
Immer wieder hätten Einheimische angerufen und gedroht, «etwas zu machen im Asylzentrum». Die Leute seien ungemein aggressiv, sagte Landammann Bruno Koster.
«Türken raus»
Die Aggressionen entluden sich an der Demonstration türkischer und Schweizer Organisationen vom Donnerstagabend: Aus einer dichten rund 200-köpfigen Zuschauerkulisse tönte es: «Usi mit dem huere Saupack», «Türken raus» und «An die Wand stellen». Jugendliche liefen hinter dem Demonstrationszug her und skandierten «Usi, usi, usi» (hinaus).
Die Zahl der einheimischen Jugendlichen und Kinder unter den Zuschauern war beträchtlich: «Ich komme mir vor wie im Weltkrieg, geil», rief ein etwa Zwölfjähriger.
Die massiven verbalen Attacken gipfelten in Aufrufen zur Brandstiftung: «Zündet die Lumpen an» – damit waren die Transparente gemeint. Zahlreiche Polizisten und Securitas-Leute mit Hunden sowie Ordnungsleute der rund 100 Demonstrierenden sorgten dafür, dass die Rempeleien der Zuschauer nicht in Schlägereien ausarteten.
Schlimmeres erwartet
Die Appenzeller Behörden hatten wohl noch Schlimmeres erwartet: Es seien «sehr wenige Zuschauer» da gewesen, die Demonstration sei «sehr friedfertig» verlaufen, es sei «keine richtige Gewalt ausgeübt worden», sagte Ratsschreiber Franz Breitenmoser gegenüber Radio DRS.
Die Stimmung in der Bevölkerung sei sehr gereizt und der Unmut gross, räumte Breitenmoser jedoch gegenüber der Nachrichtenagentur sda ein. Die Behörden hätten gefürchtet, die Leute, die gedroht hätten, «das Heft selber in die Hand zu nehmen», machten ernst. «Wir wollen keine Kriegszustände mit Stacheldraht rund ums Asylheim», sagte Breitenmoser.
Unter den Zuschauern seien keine Skinheads gewesen. Der Polizei sei es gelungen, «eigentliche Tätlichkeiten und Sachbeschädigungen» zu verhindern. Das Asylzentrum Mettlen werde weiterhin von der Polizei überwacht, kündigte er an.
Der Hungerstreik ist inzwischen beendet, nachdem die meisten Streikenden am Mittwoch in andere Kantone abgeschoben wurden.
swissinfo und Margrith Widmer (sda)

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