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Blocher muss über die Bücher

Einmal gefährlich, immer gefährlich: Gesetzesentwurf lässt Straftätern keine Chance. swissinfo.ch

Justizminister Christoph Blocher stösst mit seinen Vorschlägen zur Umsetzung der Verwahrungs-Initiative auf harte Kritik.

Fast alle Parteien sehen im Gesetzesentwurf einen Verstoss gegen das Völkerrecht. Die SVP warnt hingegen vor einem «Weichspüler-Gesetz».

Nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf der von Bundesrat Christoph Blocher eingesetzten Arbeitsgruppe soll die lebenslängliche Verwahrung auch nachträglich verhängt werden können und nicht nur für Gewalt- und Sexualdelikte gelten, sondern für alle Verbrechen. Die Initiative, die am 8. Februar von Volk und Ständen angenommen worden war, sah diese beiden Regelungen so nicht vor.

Blochers Arbeitsgruppe sei mit dem Entwurf weit über ihren Auftrag hinausgegangen, stellen fast alle Bundesratsparteien in ihren Antworten zu der am 15. Dezember abgeschlossenen Vernehmlassung fest.

Für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) verletzt die nachträgliche Verwahrung die Europäische Menschenrechtskonvention, die eine Verbindung des Freiheitsentzugs zum ursprünglichen richterlichen Urteil verlange.

Entlassung praktisch unmöglich

Auf noch breitere Ablehnung stiess das im Entwurf vorgesehene mehrstufige Kontrollverfahren. Die jährliche Überprüfung von verwahrten, gefährlichen Straftätern fällt darin weg. Ein Fall kann demnach nur wieder aufgerollt werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen.

Von der CVP, über die Sozialdemokratische Partei (SP), die Grünen bis hin zur Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) herrscht Einigkeit darüber, dass das neue Verfahren gegen die Verfassung und das Völkerrecht verstosse. Darin werde Verwahrten eine periodische Überprüfung für eine mögliche Entlassung garantiert.

Der FDP stösst zudem sauer auf, dass Täter neu auch nur auf Grund von Prognosen ordentlich verwahrt werden sollen, dann nämlich, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie ein weiteres gleichartiges Verbrechen begehen könnten. In letzter Konsequenz könne mit einer solchen Regelung völlig auf das Vorliegen einer Tat verzichtet werden, schreibt die FDP.

Initiantinnen als Rechtsexpertinnen

In die Kritik geriet zudem die von Blocher eingesetzte Arbeitsgruppe. Ihr gehörten unter anderen auch zwei Vertreterinnen des Initiativkomitees an, was insbesondere die SP beanstandete.

Im Bericht der Arbeitsgruppe hielten die beiden Initiantinnen explizit fest, dass sie den Entwurf nur mittragen, falls dieser intakt bleibe. «Wenn das Parlament diese Bestimmungen wieder hinaus nehmen würde, bestünden wir auf einen separaten formulierten Artikel für die lebenslange Verwahrung, welcher dann härter ausfallen würde», erklärte Anita Chaaban, Mitinitiantin der Verwahrungsinitiative.

Damit werde die Bitte um eine Vernehmlassungs-Antwort zur Heuchelei, stellt die SP dazu fest.

SP wie FDP kommen zum Schluss, die Arbeitsgruppe habe die Vorgabe, eine menschenrechtskonforme Vorlage zu erarbeiten, nicht erfüllt und weisen den Gesetzesentwurf zur Überarbeitung zurück.

Im Widerspruch zur Wissenschaft

Auch die Ärzteschaft und die Juristen lehnen den Gesetzesentwurf in der Vernehmlassung rundweg ab. Entgegen Äusserungen aus dem Departement Blocher widerspreche der Gesetzesentwurf mehrfach übergeordnetem Recht und verletzte mehrere juristische Grundsätze, schreibt der Schweizerische Anwaltsverband (SAV).

Die Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) könne und wolle nicht eine Umsetzung der Initiative unterstützen, die eine freie und fallweise Beurteilung des Straftäters verunmögliche, schreibt die FMH in ihrer Vernehmlassungsantwort.

Der Gesetzesentwurf stehe im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Grundlagen, den Standespflichten und der ärztlichen Ethik. Er müsse durch Fachleute der forensischen Psychiatrie überarbeitet werden.

SVP allein auf weiter Flur

Einzig die Schweizerische Volkspartei (SVP) von Bundesrat Blocher zeigt sich mit dem Gesetzesentwurf zufrieden, wie ihr Sprecher Roman Jäggi erklärte. Seine Partei werde darauf pochen, dass das Gesetz in den eidgenössischen Räten nicht aufgeweicht werde.

Insbesondere sei die SVP nicht bereit, bei der jährlichen Überprüfung einer Verwahrung weitere Konzessionen zu machen, sagte Jaggi. «Es geht hier ja nicht um eine Giftspritze, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.»

swissinfo und Agenturen

Am 8. Februar 2004 wurde die Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für extrem gefährliche, nicht therapierbare Sexual- und Gewalt-Straftäter» mit 56,2% Ja-Stimmen angenommen.

Im April setzte Justizminister Christoph Blocher eine Arbeitsgruppe ein, die eine Gesetzesänderung ausarbeiten sollte, die sowohl dem Initiativtext wie auch der Europäischen Menschenrechtskonvention gerecht wird.

Im September schickte Blocher den Entwurf in die Vernehmlassung. Der Vorschlag ist auf fast einhellige Ablehnung gestossen.

Die Ergänzung des Strafgesetzbuches zur Umsetzung der Verwahrungsinitiative soll Anfang 2006 in Kraft treten.

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