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Denkanstoss fürs Publikum

Ausschnitt aus "Gedicht für eine Stadt" von Jürg Halter. agent-provocateur.ch

Wer gegenwärtig in der Schweiz in einem Kino sitzt, wird mit einigen Kürzest-Filmen konfrontiert. Die irritierende Aktion nennt sich "agent-provocateur.ch".

Die Werke machen aufmerksam auf einen Wettbewerb. Längerfristig möchten die Initianten in der Schweiz die Kultur der kurzen politischen Video-Spots etablieren.

Ein kleines vietnamesisches Mädchen steht vor dem Berner Wahrzeichen, dem Zytglogge-Turm. Plötzlich dreht es sich zur Kamera hin und rezitiert von einem Zettel ein kurzes Gedicht auf Deutsch.

Das Publikum im Kino ist verunsichert. Für welches Produkt macht dieses Mädchen Werbung? Warum die französische Untertitelung?

Auch der Abspann gibt nicht viel mehr preis: “Jürg Halter für agent-provocateur.ch”. Die Provokation ist gelungen, das Publikum ist aus dem Werbe-Einerlei vor dem Hauptfilm herausgerissen.

Gewollte Provokation

Genau bei dieser Verunsicherung will agent-provocateur.ch ansetzen. Mit diversen Video-Spots setzt sich diese Gruppe von Film- und Kulturschaffenden derzeit in Kinos, an Festivals und auf den Grossbildschirmen in einigen Schweizer Bahnhöfen in Szene.

“agent-provocateur.ch soll als visuelle Provokation funktionieren”, sagt Projektleiter Juri Steiner gegenüber swissinfo. “Das heisst, dass man dort, wo Filme gezeigt werden, eine Art von Irritation schafft.”

Gemeinsames Thema der bisher sieben Spots ist die Schweiz und deren Wahrnehmung aus der Sicht von Kulturschaffenden. Die Werke, die diese Sicht sehr weit fassen, sollen irritieren oder das Thema ironisch brechen.

Vorgaben wurden keine gemacht. Die einzige Bedingung war, dass die Filme auch ohne Ton selbsterklärend funktionieren (für die Bahnhöfe und andere Landesteile) und kurz sind. Die sieben Filme sind seit September 2005 im Umlauf und können auch auf dem Internet angeschaut werden.

Wettbewerb

Parallel dazu wurde ein Wettbewerb lanciert: Bis am 3. Januar können Video-Spots eingereicht werden. “Kurze, pointierte, eigenständige und provozierende Kommentare” werden gesucht.

Eine Jury aus Produzenten, Filmkritikern, Verleihern und Kinobetreibern wird die fünf besten Filme prämieren, die dann auf dem gleichen Weg veröffentlicht werden, wie die Filme der ersten Staffel, die auf Auftrag entstanden sind und nicht am Wettbewerb teilnehmen.

In einer weiteren Phase soll bis April/Mai 2006 ein weiterer Wettbewerb ausgeschrieben werden. Ende 2006 schliesslich will agent-provocateur.ch eine Gesamtanalyse machen und über die Weiterführung des Projekts entscheiden.

Bekannte Agenten

Hinter agent-provocateur.ch steht Heller Enterprises, das Kulturunternehmen des ehemaligen künstlerischen Direktors der Landesausstellung Expo.02, Martin Heller.

Steiner war als Leiter des Juraschiffs ebenfalls an der Expo.02 dabei und an der Weltausstellung im japanischen Aichi Kurator des Schweizer Pavillons.

Finanziert wird das nicht gewinnorientierte Projekt von der Firma Datuma AG der drei Zürcher Brüder Meili, die diverse kulturelle und soziale Projekte unterstützen.

Für Steiner, der sich schon lange künstlerisch mit der Schweiz auseinandersetzt, ist das eine neue Art der Zusammenarbeit. “Es ist sehr interessant, mit Privaten zusammenzuarbeiten, die dieses Interesse an der Schweiz eben auch haben und das fördern wollen.”

Bush-Video-Spots

Die Idee war nach den US-Präsidentschaftswahlen 2004 entstanden, während dem viele Private ironische, kritische oder provozierende Spots zu den Kandidaten im Internet publiziert hatten. Der Filmemacher Michael Moore und die kanadischen “Adbusters” waren dabei Pate gestanden.

“Diese Art von Präsenz oder Teilnahme an der politischen Diskussion über Künstler und Kreative auf witzige, ironische oder manchmal auch bissige, zynische Art hat uns gefallen”, erklärt Steiner.

Ein Ziel des Projekts könnte daher sein, “dass man versuchen könnte, dieses amerikanische Prinzip der kurzen, politischen Video-Spots als Diskussionsbeitrag in der Schweiz zu etablieren”.

Nicht gegen die Gruppe

Im deutschen Sprachraum ist der “Agent provocateur” ein Spitzel, der in einer Gruppe eingeschleust gegen die Interessen dieser Gruppe arbeitet. Die Schweizer Agents provocateurs sehen sich jedoch nicht als Provokateure, “die einfach verantwortungslos oder desinteressiert nur am Chaos oder Nonsens interessiert wären”.

Vielmehr stünden Künstlerinnen und Künstler dahinter, die von innerhalb der Gesellschaft zum Nachdenken motivieren möchten und “die Schweiz ernst nehmen, gern haben, mit ihr arbeiten, sie verbessern wollen, an ihr leiden und so weiter”, schliesst Steiner.

swissinfo, Christian Raaflaub

agent-provocateur.ch ist eine unabhängige, nicht gewinnorientierte Aktion von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern.
Derzeit 7 Video-Spots aus allen Teilen der Schweiz machen in Kinos, auf Festivals und Grossbildschirmen in Bahnhöfen aufmerksam auf einen Video-Wettbewerb.
Einsendeschluss für Wettbewerbs-Beiträge ist der 3. Januar 2006.

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