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Für die Anwälte ein Vorteil

Der Tessiner Generalstaatsanwalt Luca Marcellini. Keystone

Der Tessiner Generalstaatsanwalt Luca Marcellini atmet auf. Das kontroverse Rechtshilfe-Gesetz der Regierung Berlusconi zeigt kaum Wirkung - bis jetzt zumindest.

Luca Marcellini gab sich diese Woche erleichtert. Die italienischen Gerichte hätten – abgesehen von ganz wenigen Fällen – die im Rahmen der Rechtshilfe übermittelten Dokumente bisher nicht beanstandet. Der Mailänder Untersuchungsrichter Paolo Ielo bestätigte diese Einschätzung bei einer Studientagung im Zentrum für Bankstudien in Lugano-Vezia, bei der Magistraten und Anwälte aus dem Tessin und Italien an einem Tisch sassen.

Italien sucht oft Rechtshilfe

Das Tessin steht zusammen mit den Kantonen Zürich und Genf an vorderster Front bei der Beantwortung von Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland, bei Anfragen aus Italien an erster Stelle – rund 100 Gesuche landen jährlich in Lugano. In der heissen Phase der Mailänder Korruptionsermittlungen «Mani pulite» waren es sogar bis zu 300.

Überwiegend geht es um Finanzdelikte; bei den übermittelten Daten um Kontoauszüge von Banken. Diese Anfragen spiegeln die Kehrseite des prosperienden Finanzplatzes Lugano.

Neues Gesetz schürt Angst vor Formfehlern

Das im vergangen Oktober von der Mitte-Rechts-Koalition verabschiedete italienische Ausführungsgesetz verschärft die Kriterien der Authentizität an übermittelte Dossiers aus dem Ausland.

Die Schweizer Justizbehörden befürchteten daher zu Recht, dass die Glaubwürdigkeit etlicher Dokumente nachträglich bestätigt werden müsste. Das wäre schwierig, wenn nicht unmöglich, kommentierte Marcellini. «Doch die Rechtssprechung in Italien im Bereich der Rechtshilfe geht in die Richtung, die wir wünschen», fügte er an.

Konkret: Die bisherige Praxis wird von den italienischen Gerichten anerkannt. Laut Marcellini ist bei einigen delikaten Anfragen aber die Antwort sistiert worden, bis mehr Klarheit herrscht. So sorgt die Vorschrift an italienische Magistraten, die Form der Antwort auf eine Rechtshilfeersuchen vorzuschreiben, für Verunsicherung. Die Tessiner wollen nicht riskieren, dass ihre Informationen später aus unbeabsichtigten Formfehlern annulliert werden. Marcellini macht keinen Hehl daraus, dass die neuen Bestimmungen dem Geist des Rechtshilfeabkommens Schweiz-Italien von 1998 widersprechen könnten, das eine «erleichterte Zusammenarbeit» zum Ziel hatte.

Vertrauen vorausgesetzt

Für den obersten Tessiner Ermittler ist es selbstverständlich, dass eine Strafbehörde keine gefälschten Dokumente übermittelt. Diese Positionen hatte auch eine Schweizer Delegation unter Leitung von Heinrich Koller, dem Direktor des Bundesamtes für Justiz, Ende November bei einem Treffen in Rom mit Vertretern der italienischen Justizbehörden vertreten.

Um die Folgen des neuen Gesetzes beurteilen zu können, muss abgewartet werden, wie die letzten Gerichtsinstanzen mit den geänderten Formansprüchen umgehen. Der Mailänder Anwalt Carlo Gilli sieht in den Bestimmungen jedenfalls einen entscheidenden Trumpf für die Verteidigung, wie er in Vezia sagte. Die Anwälte würden in Prozessen so spät wie möglich auf Formfehler hinweisen, um Zeit zu gewinnen. Die Zeit spiele immer zugunsten der Angeklagten, wegen der Verjährungsvorschriften in Italien ganz besonders.

Problemlösung à la Berlusconi

Viele politischen Beobachter sind der Auffassung, dass genau diese Strategie eine Grundlage für das Gesetz war. Es soll Ministerpräsident Berlusconi helfen, die eigenen Probleme mit der Justiz zu regeln und belastendem Material aus dem Ausland den Wind aus den Segeln nehmen. Mehr als sonderbar ist jedenfalls, dass die formellen Ansprüche Italiens an das Ausland höher sind als bei Dokumenten aus dem eigenen Land.

Gerhard Lob, Lugano

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