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Grenzsicherheit: Gangs werfen Schatten auf Genf

Wurde im November überfallen: Migros-Bank in Thônex. sf.drs

Die Gewerkschaft des Zoll- und Grenzwachtpersonals klagt über chronischen Personalmangel. Werden der Grenzpolizei genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt? Die Raubüberfälle französischer Banden in der Region Genf geben dieser Diskussion Auftrieb.

Genf und Basel seien Brennpunkte bei der grenzüberschreitenden Kriminalität, gibt Jürg Noth, Chef des Schweizerischen Grenzwachtkorps, zu.

“Die äusserst gewalttätigen bewaffneten Raubüberfälle in der Region Genf sind für uns eine grosse Herausforderung”, sagte Noth am Dienstag vor den Medien.

In der Region Genf gab es in letzter Zeit eine Serie von bewaffneten Raubüberfällen von Kriminellen, die von Lyon, Grenoble und anderen Teilen aus der Region Rhône-Alpes über die Schweizer Grenze kommen sollen.

Im November 2010 überfiel eine Bande eine Migros Bank in Thônex, bewaffnet mit Maschinengewehren und Sprengstoff. Ein ähnlicher Überfall wurde im Dezember in Collonge-Bellerive gemeldet.

Zu wenig Personal

Angesichts der chronischen Unterbelegung der Genfer Grenzwacht in den letzten Jahren stellen sich Sicherheitsfragen. Die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gab letzte Woche grünes Licht für die Rekrutierung von 24 zusätzlichen Grenzwächtern für die Region Genf.

Vor kurzem hat der Bundesrat bereits 24 neue Grenzwächter angestellt, die derzeit geschult werden. Somit werden 2013 in der Region 340 Personen stationiert sein.

Für Garanto, die Gewerkschaft des Zoll- und Grenzwachtkorps-Personals, geht diese Massnahme zwar in die richtige Richtung, reicht aber nicht aus. Es seien 200 neue Stellen für das Grenzwachtkorps nötig, davon allein 60 für die Region Genf, so Garanto.

“Der Bundesrat nimmt die im Parlament vorgebrachten Vorschläge nicht ernst und ignoriert angenommene Motionen”, sagt Garanto-Sekretär André Eicher gegenüber swissinfo.ch.

Maria Roth-Bernasconi, Nationalrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP), und Nationalrat Hans Fehr von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die Motionen für eine Aufstockung der Ressourcen einreichten, unterstützen die Anliegen von Garanto.

Enge Budgets

Die Landesregierung liess in der Zwischenzeit wissen, wegen enger Budgets werde sie “Anfragen nach Aufstockungen restriktiv handhaben”. Oberzolldirektor Rudolf Dietrich verteidigte seine Chefs: “Es ist nicht an mir, die Landesregierung unter Druck zu setzen”, erklärte er am 8. Februar an der Jahresmedienkonferenz.

“Wenn das Parlament 4500 Stellen gutheisst (die für die Oberzolldirektion arbeiten), die 450 Millionen Franken kosten, kann ich nicht jeden Tag jammern, ich hätte zu wenig Ressourcen. Ich muss mit dem arbeiten, was ich habe und das Training verbessern.”

Dietrich ergänzte, Genf werde nicht vergessen gehen: “Wir haben mehr Grenzwächter in der Region als vor zehn Jahren”, erklärte er. Von den derzeit 300 Personen sind 124 am Flughafen Genf Cointrin zur Kontrolle jener Passagiere abkommandiert, die die Schengener Grenze überschreiten.

Seit dem 12. Dezember 2008, als die Schweiz dem Schengenraum beitrat, wurden systematische Kontrollen von Reisenden aufgehoben, die aus Schengenländern in die Schweiz einreisen. Dafür wurde die Kooperation im Bereich des Kampfs gegen die Grenzkriminalität verstärkt.

“Naive, reiche Schweizer”

Eine kürzliche Dokumentation der Sendung “Temps Present” des Westschweizer Fernsehens TSR zeigte die Probleme auf, die in der nahen Grossstadt Lyon basierte Banden in der französischsprachigen Schweiz provozieren.

“Die Schweiz ist wie ein Wunderland; es gibt alles und es hat weniger Sicherheitsmassnahmen als in Frankreich. Die Schweizer sind naiv und alle sind reich”, sagte ein Gangmitglied in der Sendung.

Laut “Temps Present” hat der Einsatz von Grenzwächtern am Flughafen eine grosse Lücke in die mobilen Grenzkontrollen in der Region gerissen. “Wir wagen uns nicht mehr, zu gehen, wenn wir keine Verstärkung erhalten; man kann diese Gangs nicht bekämpfen”, sagte ein Grenzwächter anonym.

Claude Meylan, Kommandant der Genfer Grenzwächter, gab zu, die in der Sendung erwähnte Zahl von 7 Grenzwächtern pro Nacht im mobilen Einsatz sei korrekt. “Das war jedoch 2008 bis 2009. Heute haben wir 10 bis 17 Kollegen im Einsatz, in 5 bis 6 Teams”, erklärte er.

Für Isabelle Rochat, Direktorin des kantonalen Genfer Polizeidepartements , ist die beste Antwort auf diese Kriminalität eine bessere Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen.

“2010 konnten mehrere Verbrechen dank dem Informationsaustausch verhindert werden. Solche Zusammenarbeit erlaubt uns, Angriffen zuvorzukommen und Netzwerke zu verfolgen”, sagte sie der Zeitung Le Temps.

“Unser Problem ist, dass wir die Vergangenheit idealisieren”, sagte Olivier Guéniat, Chef der Polizei im Kanton Neuenburg. Vor Schengen “waren auch nicht alle Grenzposten besetzt”, sagte er in der Sendung “Temps Present”.

“Kriminelle überschritten die Grenze und es kam zu diversen Überfällen der Mafia aus Korsika, Marseille oder Lyon in Zürich, Genf und Neuenburg. Wir hatten nie eine Grenze wie in Israel oder zwischen den USA und Mexiko”, so Guéniat.

“Die Schweiz ist ein riesiges Sieb, und im Moment, wo Polizei und Grenzwächter nicht mehr sichtbar sind, fühlen sich die Leute traumatisiert, frustriert oder sie haben Angst. In der Vergangenheit machten Verbrecher aber auch nie an der Grenze halt – das ist eine absurde Vorstellung.”

Der Schengenraum umfasst 25 Länder; die meisten davon sind Mitglieder der Europäischen Union (EU). Drei (Island, Norwegen, Schweiz) gehören zur Europäischen Freihandelszone (EFTA).

Grossbritannien und Irland gehören nicht zur Schengenzone, haben aber Sicherheits-Abkommen unterzeichnet.

Das Schweizer Stimmvolk hat sich 2005 an der Urne für die Zusammenarbeit in den Bereichen Polizei und Asyl mit der EU (Schengen/Dublin) ausgesprochen.

Die Schweiz trat im März 2009 mit der Abschaffung der Passkontrollen an den Flughäfen dem Schengenraum bei.

Eines der wichtigsten Elemente des Schengener Abkommens ist das Schengen Informations-System (SIS), das der Polizei erlaubt, frühere kriminelle Aktivitäten von Verdächtigen im gesamten EU-Raum zu überprüfen.

Das Abkommen von Schengen hat seinen Namen von der gleichnamigen Stadt in Luxemburg, in der es 1985 von Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten unterzeichnet wurde.

Das Schweizer Grenzwachtkorps ist der bewaffnete Dienst der Eidgenössischen Zollverwaltung, einer Abteilung des Finanzministeriums.

Es gibt etwa 2000 Grenzwächter, darunter 154 Frauen. Sie arbeiten an 91 Orten und in 35 mobilen Einheiten entlang der 1881 Kilometer langen Schweizer Grenze.

Ihre Hauptaufgaben sind die Bekämpfung illegaler Einreise, grenzüberschreitender Kriminalität und des Schmuggels. Sie haben aber auch mit Fälschungen, Waffen-, Pflanzen- und Tierschmuggel zu tun.

Täglich überqueren im Kanton Genf rund 490’000 Personen in 350’000 Fahrzeugen die Grenze (darunter 57’000 Grenzgänger).

2010 verzeichnete die Genfer Polizei 13 Überfälle auf Genfer Tankstellen. 2009 waren es 18, im Jahr davor 12. In den meisten Fällen flüchteten die Kriminellen nach Frankreich, das 100 Kilometer gemeinsame Grenze und 46 Grenzposten mit Genf hat, die meisten unbemannt.

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub und Corinne Buchser)

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