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Humanitäre Tradition der Schweiz wahren

Das Asylgesetz soll verschärft werden - das Projekt stösst auf Widerstand. Keystone

Eine Koalition aus Vertretern von Kirchen, Verbänden, Hilfswerken und anderen Organisationen warnt vor einer weiteren Verschärfung des Asylgesetzes.

Vor der Debatte zur Asylgesetz-Revision im Nationalrat in der Herbstsession der eidgenössischen Räte rufen sie dazu auf auf, die humanitäre Tradition der Schweiz zu wahren.

Die in der Koalition zusammengeschlossenen 20 Organisation sind gegen eine weitere Verschärfung des Asylgesetzes. Sie sind für den wirklichen Schutz von Verfolgten, für die humanitäre Aufnahme und gegen die Ausdehnung von Sozial- und Nothilfestopp sowie gegen strengere Zwangsmassnahmen.

Die Kirchen, Religionsgemeinschaften, Hilfswerke und Verbände erachten die vorliegende Gesetzesvorlage teilweise als verfassungs- und völkerrechtswidrig, wie Beat Meiner von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) am Freitag in Bern sagte. Deshalb riefen sie dazu auf, rechtsstaatlich korrekt und menschlich zu entscheiden.

Schutz vor Verfolgung ist Hauptaufgabe

Die wichtigste Aufgabe des Asylgesetzes sei, Verfolgte zu schützen, sagte Meiner. Mit der geplanten Verschärfung des Nichteintretens-Grundes bei Asylsuchenden ohne Identitätspapiere könne das Gesetz dieser Kernaufgabe aber nicht mehr gerecht werden.

Seit dem 1. April 2004 erhalten Asylsuchende in der Schweiz, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde, keine Sozialhilfe mehr. Es wird ihnen nur noch die von der Verfassung garantierte minimale Nothilfe gewährt.

Für Bundesrat Christoph Blocher hat der Sozialhilfestopp für Asylsuchende mit Nichteintretens-Entscheid die angestrebten Ziele erreicht. Die Zahl der offensichtlich unbegründeten Asylgesuche habe sich verringert. Die Schweiz als Zufluchtsort für Flüchtlinge sei dabei nicht beeinträchtigt worden.

Gegen Nichteintreten bei fehlenden Identitätspapieren

Echt Verfolgte seien oft nicht in der Lage, innerhalb von zwei Tagen nach der Gesuchstellung Identitätspapiere vorzulegen, sagte Wolfgang Bürgstein von der Schweizerischen Bischofskonferenz im Namen der drei Landeskirchen. Sie lehnten deshalb diesen generellen Nichteintretens-Grund und vor allem die Frist von 48 Stunden ab.

Dennis L. Rhein vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund zog eine Parallele zum Zweiten Weltkrieg, als viele Flüchtlinge keine gültigen Reisepapiere hatten. Auch heute gebe es immer wieder solche Situationen, sagte er. Deshalb sei er sehr besorgt, dass in diesen Fällen nicht mehr auf Asylgesuche eingegangen werden soll.

Für humanitäre Aufnahme bei Härtefällen

Die Organisationen laufen auch Sturm gegen die Streichung der humanitären Aufnahme. In der Schweiz gebe es über 23’000 Personen, die zwar Schutz und ein Bleiberecht, aber kein Asyl erhielten, sagte Walter Schmid von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Sie blieben mehrheitlich definitiv in der Schweiz.

Trotzdem würden diese Personen oft während vielen Jahren und unnötig rechtlich grossen Einschränkungen unterworfen, sagte Schmid. Eine reguläre Arbeit und die Ausbildung der Kinder würden dadurch schwierig oder unmöglich. Dieser Zustand widerspreche jeder sozialpolitischen Zielsetzung.

Gegen Ausdehnung von Fürsorgestopp

Sozialpolitisch bedenklich erachtet wird auch die Ausdehnung des Sozialhilfe-Stopps. Nach einem Jahr Erfahrung mit Personen mit Nichteintretens-Entscheid habe sich gezeigt, dass die Rückreise nicht gefördert werde, sagte Hans Beat Moser vom Schweizerischen Roten Kreuz. Stattdessen gebe es Verelendung und Ausbeutung.

Als inakzeptabel bezeichnete Daniel Bolomey von Amnesty International Schweiz auch die vorgesehene längere Haftdauer. Eine Freiheitsberaubung von bis zu zwei Jahren im Hinblick auf eine Zwangswegweisung sei eine völlig unverhältnismässige Massnahme. Zudem ist laut der SFH die Wirkung von längerer Haft fraglich.

Die vom Ständerat im März verabschiedete Asylgesetzrevision kommt in der Herbstsession in den Nationalrat. Die zuständige Kommission sprach sich Ende Juni für die Verschärfung aus. Einzige grosse Ausnahme blieb die Einschränkung oder Verweigerung der Nothilfe, die laut der Kommission nicht gestrichen werden soll.

swissinfo und Agenturen

2003: 21’037 Asylgesuche in der Schweiz, 1636 angenommen.
2004: 14’248 Asylgesuche, 1555 angenommen.
Seit April erhalten abgewiesene Asylbewerber oder solche, auf deren Gesuch nicht eingetreten wird, keine Sozialhilfe mehr.
Seit Anfang April 2004 bis Ende März 2005 ist die Zahl der Gesuche um 42% gesunken (EU: 22%).
Insgesamt erhielten innert Jahresfrist 4450 Asylsuchende einen Nichteintretens-Entscheid und wurden damit vom Sozialhilfe-System ausgeschlossen.
Davon bezogen durchschnittlich 16% während rund 68 Tagen Nothilfe.

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