Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Humanitäres Völkerrecht respektieren

Frauen und Kinder als Leidtragende: Kurden auf der Flucht. Keystone

Mit Traurigkeit haben die Hilfswerke auf den Krieg gegen Irak reagiert. Sie befürchten eine humanitäre Katastrophe.

IKRK-Präsident Jakob Kellenberger rief die Kriegsparteien dazu auf, das Völkerrecht “strikt” zu respektieren.

Die wichtigste Regel des Völkerrechts sei die Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kämpfenden und das Verbot, Zivilisten anzugreifen.

Verwundete müssten geschützt werden, in Gefangenschaft gehaltene Kombattanten dürften nicht misshandelt und müssten gemäss den Genfer Konventionen als Kriegsgefangene behandelt werden.

Die humanitäre Situation im Irak war schon vor Kriegsausbruch prekär. Nun wird die Lage für die Zivilbevölkerung noch schlimmer.

Gezeichnet von den beiden früheren Golfkriegen und den UNO-Sanktionen liegt die Wirtschaft am Boden, grosse Teile der Bevölkerung sind verarmt, immer mehr Kinder sterben schon in den ersten fünf Lebensjahren.

Aussenministerin “schockiert”

Priorität müsse daher der Schutz der Opfer haben, verlangen die Hilfswerke. Auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ist “schockiert”, dass die USA ohne UNO-Mandat gegen Irak vorgehen.

Sie rief die Schweizer Botschafter in den am Krieg beteiligten Ländern dazu auf, auf die Einhaltung des Völkerrechts zu pochen. Die Schweiz werde sich an einem Wiederaufbau nach dem Krieg beteiligen.

Der Bundesrat setze sich dafür ein, dass die Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung in Irak, namentlich die Wasser- und Energieversorgung, nicht zerstört werden, sagte Calmy-Rey.

Flüchtlinge und Vertriebene

“Einmal mehr werden Frauen und Kinder, Alte und Kranke die Hauptbetroffenen und die Hauptleidtragenden sein”, sagt Toni Frisch, Leiter der Abteilung Humanitäre Hilfe der Direktion für Sicherheit und Zusammenarbeit (Deza), gegenüber swissinfo.

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) rechnet damit, dass bis zu 600’000 Iraker in die Nachbarländer flüchten könnten. Die erwarteten Flüchtlinge seien auf humanitäre Hilfe und medizinische Versorgung angewiesen.

In Hilfswerks-Kreisen befürchtet man vor allem den Ausbruch von Durchfall und Cholera, falls die Wasserversorgung und die sanitären Anlagen des Landes bei den Kriegshandlungen beschädigt oder zerstört werden.

Die Hilfswerke warnen davor, dass sich die befürchteten Krankheiten zu Epidemien entwickeln könnten. Die Hilfswerke haben darum schon seit einiger Zeit Hilfsgüter wie Zelte, Decken, medizinische Artikel und Nahrungsmittel in die Region geschafft.

Bis zuletzt auf friedliche Lösung gehofft

Die humanitären Organisationen weisen darauf hin, dass man bis zuletzt an eine friedliche Lösung des Konflikts geglaubt und sich dafür eingesetzt habe. Trotzdem sei es nötig gewesen, sich auf einen möglichen Ernstfall vorzubereiten.

Dazu gehörte auch das Durchspielen von möglichen Szenarien. Mehrere Hilfswerke erwarten, dass sich die meisten Flüchtlinge in Richtung Iran bewegen werden. Viele Menschen werden wohl auch in die Türkei oder nach Jordanien zu flüchten versuchen.

Vor allem die Haltung der Türkei könnte zu Problemen führen. “Wir bestehen darauf, dass die Grenzen offen bleiben”, sagt Kris Janowski, Pressesprecher des UNHCR. Total seien 185 internationale Mitarbeiter in den sechs Ländern um den Irak stationiert.

Speziell mit der Situation der Kurden im Nordirak beschäftigt sich das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH). Sprecher Zoltan Doka: “Tritt die türkische Armee ein, tritt sie nicht ein? Gibt es Aufstände? Da sind wir sehr im Unklaren.” Das SAH arbeitet in Suleimanija zusammen mit einem norwegischen Hilfswerk.

Schweizer helfen im Irak

Lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für viele Organisationen im Irak im Einsatz. Eigene ausländische Mitarbeiter haben nur noch die Caritas und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). “Sechs in Bagdad, vier im Norden in Erbil”, so IKRK-Sprecher Florian Westphal. Dazu kämen etwa 100 irakische Angestellte.

Hans Staubli, Programmverantwortlicher der Caritas für Zentral- und Südirak: “Wir arbeiten im Nordirak mit einer Schweizer Gruppe. Die wird je nach Situation erhöht.” Man arbeite in einem Konsortium, zu dem auch das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) gehört.

Deren Sprecherin Seta Thakur erklärt, dass ihre Organisation auch im Irak helfe: “Es werden Nahrungsmittel in Schulen und Kirchen deponiert, weil diese Orte als Zufluchtsorte bei Bombenangriffen dienen können.”

Viele flüchten nicht

Neben der möglichen Flüchtlingstragödie dürfe man aber die Menschen nicht vergessen, die im Irak bleiben würden, sagt Karl Schuler vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK):

“Die andere Frage ist, wie gross die Schäden im Irak selber sein werden. Wie stark die zivile Bevölkerung unter dem Krieg zu leiden haben wird.”

Für die rund 9000 Irakerinnen und Iraker in der Schweiz hat das Rote Kreuz einen Suchdienst und eine Infoline aktiviert, “um vor allem Angehörigen von Flüchtlingen und Vertriebenen mit der Vermittlung von Informationen beizustehen”.

Millionen für die Hilfe

Fast alle Schweizer Hilfswerke haben in den letzten Tagen ihre Hilfs-Etats aufgestockt. So kommen sie derzeit zusammen auf einen Betrag von über 6 Mio. Franken, wovon gegen 3 Mio. von der Deza kommen.

Grössere Budgets stehen den Internationalen Organisationen zur Verfügung. Das IKRK hat bisher 16 Mio. Franken aus den eigenen Reserven eingesetzt, das UNHCR 22 Mio. Franken.

Doch sie brauchen mehr. Das UNHCR rechnet mit mindestens 60 Mio. Franken, das IKRK braucht 108 Mio. Franken. Es hat daher am Donnerstag in Genf einen Hilfsappell an die Geldgeber gerichtet.

Die Glückskette und neun ihrer Partner-Hilfswerke haben am Donnerstag eine Sammelkampagne für die notleidende Bevölkerung in Irak gestartet.

Warum nicht vorher? Dies ist das Dilemma der Hilfsorganisationen. Zoltan Doka bringt auf den Punkt, warum die Organisationen vor dem Krieg nicht sammeln konnten: “Wir können nicht Geldsammlungen machen für einen ‘Event’, den wir gar nicht wollen.”

swissinfo, Christian Raaflaub und Rita Emch

UNHCR:
185 Personen in 6 Nachbarländern.
Hilfsgüter in Ländern um Irak: Zelte, Plastikplanen, Decken.
Einrichtung von Flüchtlingslagern.
Finanzielle Mittel zur Zeit: 30 Mio. Franken.

IKRK:
10 Personen im Irak, hunderte in den Nachbarländern.
Hilfe an irakischen Spitälern bei Behandlung von Kriegsverwundeten.
Chirurgisches und medizinisches Material im Irak.
Finanzielle Mittel zur Zeit: 16 Mio. Franken.

Deza:
Koordinatoren in Amman und der Türkei, über 30 Personen stehen bereit.
Trinkwasser-Versorgung und Nahrungsmittel-Verteilung.
Planung und Bau von Flüchtlings- oder Durchgangszentren.
Finanzielle Mittel zur Zeit: knapp 3 Mio. Franken.

SRK:
1 Person in Amman; Mediziner, Logistiker bereit.
Hilfsgüter vor allem in der Türkei und Jordanien.
Aufbau von Flüchtlingslagern.
Finanzielle Mittel zur Zeit: knapp 1,5 Mio. Franken.

Caritas:
Schweizer Gruppe im Nordirak. Rund 140 lokale Mitarbeiter.
Infrastruktur mit Ernährungszentren im Zentral- und Südirak.
Unterstützt 32 Gesundheitszentren und acht Kleinspitäler im Irak.
Finanzielle Mittel zur Zeit: 1,5 Mio. Franken.

HEKS:
Keine Leute vor Ort, “Leading Agency” ist Caritas.
Infrastrukturen für Flüchtlingslager.
Wasser-Reinigung, Trinkwasser.
Finanzielle Mittel zur Zeit: 500’000 Franken.

SAH:
Keine Leute vor Ort, “Leading Agency” ist “Norwegian People’s Aid”.
Aufbau von Flüchtlingslagern.
Finanzielle Mittel zur Zeit: 100’000 Franken.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft