Jerusalem: Ein Schweizer leitet «die Friedensinsel»
Israeli und Palästinenser am selben Tisch in Jerusalem? Das American-Colony-Hotel macht es möglich. Seit über 100 Jahren gilt es als neutrales Territorium und ist Treffpunkt von Staatschefs und Diplomaten. Geführt wird es vom Schweizer Paolo Fetz.
Das «American Colony» ist eine Institution. Jeder in Jerusalem kennt es.
Graham Greene, John Le Carré, Marc Chagall, Peter O’Toole – sie alle haben hier gewohnt.
Und wenn das Nahostquartett – das Vermittlungsgremium von USA, EU, Russland und der UNO – in Jerusalem weilt, dann steigt auch dessen Chef Tony Blair hier ab.
Im Gartenrestaurant oder in der Kellerbar treffen sich Journalisten, UNO-Mitarbeiter und jene, die es sich leisten können, zu türkischem Kaffee, palästinensischem Bier oder einer französischen Käseplatte.
Und wer genau hinschaut, wird feststellen, dass hier sogar Palästinenser und Israeli an einem Tisch sitzen.
Ein äusserst seltenes Bild in dieser Stadt, die zwar seit 1967 (nach israelischem Sprachgebrauch) wiedervereinigt ist, deren Bewohner jedoch den jeweils anderen Stadtteil sozusagen nie betreten.
Das «American Colony» liegt im palästinensischen Osten der Stadt, doch wer das Gelände betritt, befindet sich auf neutralem Boden. Und in der Obhut des Tessiners Paolo Fetz, der das Hotel seit zweieinhalb Jahren führt.
«Ich bin kein Politiker, sondern Hotelmanager. Aber selbstverständlich bin ich stolz darauf, dass sich Menschen aller Nationalitäten und Religionen bei uns willkommen fühlen.» Nach Engagements in Thailand, Tunis, Marrakesch und den Malediven, wurde Fetz angefragt, ob er das Management des «American Colony» in Jerusalem übernehmen wolle. Er wollte, und seither haben die 140 Angestellten einen Schweizer Chef.
«Obwohl viele Gäste anerkennend nicken, wenn sie hören, dass ich aus der Schweiz komme, sollte man dies nicht überbewerten. Den Job könnte auch ein anderer Europäer machen. Wichtig ist einfach, dass ihn ein neutraler Ausländer macht.»
Eine amerikanische Kolonie
Mit (neutralen) Ausländern hat denn auch alles begonnen. Die «American Colony» wurde 1881 vom US-Amerikaner Horatio Spafford, seiner norwegischen Frau Anna und einigen weiteren Christen aus Chicago gegründet.
Zuerst lebten die Neuankömmlinge in der Altstadt. Doch als immer mehr skandinavische Aussiedler Teil der Kolonie werden wollten, kauften die Spaffords das Haus eines wohlhabenden Kaufmanns, liessen weitere Gebäude errichten und gründeten so eines der ersten Quartiere ausserhalb der Stadtmauern.
Die amerikanische Kolonie war eine Art früher Kibbuz mit Bäckerei, Metzgerei, Schreinerei und einem Schmied, der sich um die Pferde der türkischen Kavallerie kümmerte.
Die Idee zur Errichtung eines Hotels entstand 1902, als der Grossvater von Sir Peter Ustinov Freunde aus Europa in Jerusalem beherbergen wollte und die zur Auswahl stehenden Gasthäuser etwas zu profan fand.
Das Colony hingegen war ihm genehm. Und seither haben hier unzählige Staatschefs, Diplomaten, Journalisten und Monarchen genächtigt. «Der beeindruckendste Gast, den ich je beherbergen durfte, war Nelson Mandela, das war aber noch in meiner Zeit in Tunis», erzählt Paolo Fetz.
«Müsste ich jemanden auswählen, der hier in Jerusalem war, dann wäre es Jimmy Carter, der Ex-Präsident der Vereinigten Staaten, der anstatt sich auf einem Alterssitz auszuruhen unermüdlich in der Welt herumreist, um zu vermitteln. Ein wirklich bemerkenswerter Mensch.»
Umkämpft …
In den über 100 Jahren seit seiner Errichtung hat das «American Colony» in vier verschiedenen Ländern gestanden. Bis 1917 war Jerusalem Teil des osmanischen Reiches, bis nach dem zweiten Weltkrieg britisches Mandatsgebiet, von 1949 bis 1967 war die Stadt geteilt, der Osten der Stadt jordanisches Staatsgebiet und das Hotel deshalb vom prosperierenden Westen Jerusalems abgeschnitten.
Seit Israel im Sechstagekrieg die Westbank und den Osten Jerusalems zurückerobert hat, ist das «American Colony» Teil Israels. Die ehemalige Grenze verläuft jedoch rund 200 Meter westlich des Hotels, nach internationaler Auslegung ist es also Teil Palästinas.
… und neutral
Aus Palästina kommen denn auch die meisten von Paolo Fetz‘ Mitarbeitern. Manche von ihnen wohnen in Bethlehem oder Ramallah und müssen jeden Tag die Sicherheitsschleusen der Sperrmauer passieren, die Jerusalem von seinem Hinterland, der Westbank, abtrennt. Und nicht alle sind Muslime, einige sind Christen.
Ausserdem arbeiten hier seit mehreren Jahren auch einige Israeli. «Toleranz ist gefragt, und die Fähigkeit, Kompromisse zu machen», sagt Paolo Fetz.
«Wenn ich es recht bedenke, ist es möglicherweise doch ein Vorteil, Schweizer zu sein, denn so viele Länder, in denen verschiedene Sprachen, Kulturen und Konfessionen friedlich nebeneinander existieren können, gibt es ja nicht. Ausserdem weiss ich als Tessiner, wie es sich anfühlt, Angehöriger einer kleinen Minderheit zu sein.»
Und er weiss auch, wie man ein richtiges Risotto zubereitet. Das fehlt auf der Karte nämlich genauso wenig wie diverse Pastagerichte und Bratwurst mit Rösti.
Christian Walther, Jerusalem, swissinfo.ch
Das American Colony befindet sich nach wie vor im Besitz der Gründerfamilie, den Nachfahren der Spaffords.
Seit 1980 wird das Management von Gauer Hotels betrieben, einem Schweizer Unternehmen.
Während des Ersten Weltkriegs haben Mitarbeiter der Kolonie eine Suppenküche betrieben, Verwundete beider Seiten verarztet und schliesslich mehrere Krankenhäuser betrieben.
Dieses karitative Element ist geblieben: In Taybeh bei Ramallah betreibt eine Stiftung der Familie Spafford heute ein Kinderkrankenhaus.
Das «American Colony» wird übrigens auch gerne als Filmkulisse verwendet: So hat der brasilianische Sender Globo 2009 Szenen einer Telenovela in dem Hotel gedreht.
Und demnächst ist das Hotel in «Miral» zu sehen, dem neuen Film von Julian Schnabel, in dem Freida Pinto (bekannt aus «Slumdog Millionaire»), Vanessa Redgrave und Willem Dafoe mitspielen.
Kinostart von «Miral» am 15.9. in der Romandie, in der Deutschschweiz im November 2010.
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