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menschenrechtsrat – eine schweizer idee

Die Sitzungen des neuen UNO-Menschenrechts-Rats finden im Genfer Palais Wilson statt, dem alten Völkerbunds-Gebäude. Keystone

Mit dem neuen Menschenrechts-Rat hat die UNO im März 2006 eine "Schweizer Idee" gut geheissen. Trotz Widerstand aus Washington.

Als Nachfolger der bereits in Genf ansässigen Kommission stärkt dieser Rat den Geburtsort des Roten Kreuzes als Welthauptstadt des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte.

In den 60 Jahren ihres Bestehens war die kürzlich aufgelöste UNO-Kommission für Menschenrechte immer wieder der Kritik ausgesetzt. Zwar hat sie eine universelle Erklärung der Menschenrechte ausgearbeitet und diente Staaten und NGOs als Podium. Sonst aber fällt ihre Bilanz eher mager aus.

Das lag vor allem an ihrer rechtlichen Stellung. Die Kommission war nur ein Zweckorgan des Wirtschafts- und Sozialrats der UNO, die 53 Mitgliedstaaten wurden nach einem Rotationssystem gewählt.

Und diese mussten in Bezug auf die Menschenrechte auf ihrem eigenen Territorium keine Verpflichtungen eingehen. Mit dem Resultat,

dass Länder, die sich wenig um die Menschenrechte kümmerten, lästigen Fragen ausweichen oder Verurteilungen ihres eigenen Landes oder befreundeter Staaten verhindern konnten.

Die NGOs ertrugen es immer weniger, dass Mitglieder wie China, Nepal, Sudan, Russland oder die USA in der Kommission vertreten waren. Viele waren der Ansicht, dass diese Staaten zeitweise eher auf die Anklagebank gehörten.

Berner Experte

Dieser wachsenden Kritik war sich Micheline Calmy-Rey bewusst. Im März 2003, gerade Schweizer Aussenministerin geworden, macht sie sich in Genf für eine Reform der Kommission stark.

Anschliessend gibt sie Walter Kälin den Auftrag, einen Entwurf auszuarbeiten.

Der Berner Professor ist ein Experte von weltweitem Ruf. Nach seiner Zeit bei Amnesty International arbeitet er 1991-92 als Sonderberichterstatter der Menschenrechts-Kommission für Kuwait, das zu der Zeit von den Truppen Saddam Husseins besetzt ist.

Zehn Jahre später wird er in den Menschenrechts-Ausschuss der UNO gewählt und wird 2004 Sondergesandter von Kofi Annan für Vertriebene im eigenen Land.

Kälin ist also ein Mann mit Felderfahrung und ausserdem ein in den Subtilitäten des internationalen

Rechts bewanderter Jurist, der den Menschenrechts-Rat «erfindet». Im März 2004 vertritt Calmy-Rey die Idee vor der UNO-Kommission. Daraufhin arbeitet Kälin seinen Entwurf weiter aus und im Herbst unterbreitet ihn die Schweizer Aussenministerin Kofi Annan.

Gutes «Timing»

Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Der UNO-Generalsekretär wird nicht mehr lange im Amt sein und hat soeben die grosse Reform eingeleitet, welche seine Zeit an der Spitze der Vereinten Nationen krönen soll.

Die Institution verabschiedet also die Schweizer Idee. Am 21. März 2005 übernimmt Kofi Annan sie offiziell, und im September wird am

UNO-Gipfel «Millennium+5 die «möglichst baldige Schaffung eines Menschenrechtsrats» in die Ziele aufgenommen.

Der Schlussspurt beginnt.

Trotz Washingtons Kritik

Jan Eliasson, der Präsident der UNO-Generalversammlung, verhandelt mit den Mitgliedstaaten. Die Schweiz stellt mit Rachel Groux eine Menschenrechtsexpertin zur Verfügung, die bei der Formulierung der Strategie mitarbeiten wird.

Doch es gibt grossen Widerstand. Trotz einem veritablen diplomatischen Marathon wird vor den Weihnachtsferien 2005 kein Konsens erreicht. Gestritten wird um die Grösse des Rats,

den Wahlmodus der Mitglieder und die Häufigkeit der Sessionen. Unter den Gegnern stehen an vorderster Stelle die USA, die eine Art «engen Klub der Verfechter der Menschenrechte» anstreben, dem sie natürlich angehören würden.

Der Marathon wird Anfang 2006 wieder aufgenommen. Hinter den Kulissen leisten Eliasson, europäische Diplomaten, aber auch Peter Maurer, der Schweizer UNO-Botschafter in New York, intensive Arbeit.

Schliesslich wird am 15. März über die Resolution zur Einführung des Rats abgestimmt. Nur die USA, Israel und zwei winzige Archipelinseln im Pazifik lehnen sie ab, Weissrussland, Iran und Venezuela enthalten sich

der Stimme. Das neue Organ hängt direkt von der Generalversammlung ab, welche die 47 Mitglieder im Rotationsverfahren und mit absoluter Mehrheit wählt. Diese sind verpflichtet, regelmässig Bilanz über ihre eigene Menschenrechts-Situation zu ziehen.

Freude in Bern

Der Rat kommt dreimal pro Jahr zusammen, kann aber bei Notfällen Sondersessionen einberufen. Ausserdem kann die Generalversammlung ein Mitglied vom Rat ausschliessen, das sich schwerer Menschenrechts- Verletzungen schuldig gemacht hat. In Bern ist die Freude gross. Zwar hätte Micheline Calmy-Rey gerne auch die Zustimmung

Washingtons gehabt, aber sie erinnert daran, dass die USA den Rat nicht behindern. Und obwohl Walter Kälin sein «Kind» kaum mehr wiedererkennt, begrüsst er «den akzeptablen Kompromiss».

Die Nicht-Regierungs- Organisationen warten ab. Sie wollen sich dann aufgrund der Akten ein Bild machen.

swissinfo, Marc-André Miserez (Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Der neue Menschenrechtsrat ist die höchste Instanz der Vereinten Nationen in Genf.

Genf, die Wiege des früheren Völkerbunds, der als Vorgängerin der UNO aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen war, ist heute die zweite «Hauptstadt» der Weltorganisation.

Das Büro der Vereinten Nationen in Genf organisiert gar mehr internationale Konferenzen als der Sitz in New York. Es ist das weltweit aktivste Zentrum der multilateralen Diplomatie.

Genf ist auch Sitz von 7 UNO-Unterorganisationen: der Hochkommissariate für Menschenrechte und für Flüchtlinge, der Weltgesundheits-Organisation, der Organisation für Geistiges Eigentum, der Internationalen Arbeitsorganisation, der Internationalen Fernmelde-Union und der Weltorganisation für Meteorologie.

Auch wenn die Schweiz die Urheberschaft für den neuen Rat der Vereinten Nationen für sich beanspruchen kann, ist sie in Bezug auf Menschenrechte doch keine Musterschülerin.
So verfügt sie trotz einer vor fünf Jahren dem Parlament vorgelegten Vorlage noch immer über kein Organ, das sich auf nationaler Ebene mit den Menschenrechten befasst.
Und jedes Jahr wird im Bericht von Amnesty International ihr Umgang mit Asylsuchenden beanstandet.
Sogar das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge zeigte sich «ernsthaft besorgt» wegen der Verschärfung des Asylgesetzes, die das Parlament im September 2005 beschlossen hat.

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