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Schonfrist für abgewiesene Asylbewerber vorbei

Protestumzug in Lausanne vom 30. April gegen die drohende Abschiebung von abgewiesenen Asylbewerbern. Keystone

Die Regierung des Kantons Waadt hat ihr Vorgehen im Fall der abgewiesenen Asylsuchenden verschärft: Das Moratorium für Abschiebungen ist aufgehoben.

Der Westschweizer Kanton, der bisher in der Frage eine eigene Linie verfolgte, beugt sich damit dem Druck aus Bern.

Aufgrund starker Proteste der Öffentlichkeit ging der Kanton Waadt bisher schonend mit Asylsuchenden um, deren Gesuche abgelehnt worden waren. Durch ein Moratorium, das seit vier Monaten bestand, waren sie bisher vor der Rückschaffung bewahrt.

Diese Praxis stand im Gegensatz zur offiziellen Haltung des Justizministeriums, das die konsequente Rückweisung der Betroffenen verlangt.

Tiefer Graben

Die Ausnahmehaltung in der Waadt ist jetzt überholt: Die Kantonsregierung beschloss am Freitag, das Moratorium aufzuheben und die abgewiesenen Asylbewerber in ihre Herkunftsländer, meist Länder, die aus dem früheren Jugoslawien hervorgingen, zurück zu schicken. Vorerst sind rund 170 Personen davon betroffen.

Das Moratorium habe nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt, sagte Kantonsrat Jean-Claude Mermoud vor den Medien. Seit vergangenem Januar hätten nur zwei abgewiesene Asylsuchende das vom Kanton bereitgestellte Rückkehrhilfe-Programm beansprucht.

Das Stimmenverhältnis des Entscheids der Kantonsregierung spiegelt die tiefe Spaltung der Bevölkerung in dieser Frage: Die vier bürgerlichen Mitglieder stimmten für das Ende des Moratoriums, die drei aus dem linken Lager geschlossen für die Weiterführung.

Nur ganz wenige Ausnahmen

Nur für elf Frauen und 18 Kinder werde weiterhin eine Ausnahme gemacht, sagte der bürgerliche Mermoud. Bei den Frauen und Kindern handelt es sich um Überlebende der Kriegsgräuel von Srebrenica in Ostbosnien im Jahr 1995. Dort hatten serbische Truppen an rund 8000 muslimischen Männern ein Massaker verübt.

Für alle anderen abgewiesenen Asylsuchenden sei dies die letzte Gelegenheit, um in den Genuss von Rückkehrhilfe zu kommen, so Mermoud weiter. Wer beim Rückkehrprogramm jetzt nicht freiwillig mitmache, müsse mit seiner Zwangsausschaffung rechnen.

Verständnis signalisiert

Dabei nahm die unterlegene Minderheit die Verletzung des Kollegialitätsprinzips in Kauf, indem sie den Mehrheitsentscheid öffentlich kritisierte.

Mermoud bedauerte die Verletzung des Kollegialitätsprinzips durch seine Kollegen, zeigte aber auch ein gewisses Verständnis. Auch er hätte sich länger dauernde Einigkeit in dieser Sache gewünscht, doch sei der Druck auf die Regierung und besonders auf die drei Unterlegenen in den vergangenen Monaten enorm gewesen.

Sorgfältigerere Prüfung verlangt

Es hätte noch mehr Zeit gebraucht, um jeden einzelnen Fall sorgfältig abzuklären, sagte Anne-Catherine Lyon im Namen der unterlegenen Regierungslinken.

Immerhin seien innerhalb eines Jahres 751 strittige Dossiers vom Bundesamt für Migration (BFM) regularisiert worden, was zeige, dass man auf dem richtigen gewesen Weg sei, sagte ihr Kollege Pierre-Yves Maillard.

Scharfe Proteste

Die Waadtländer Asylkoordination kritisierte den Entscheid in einer Mitteilung scharf. Die rechtsbürgerliche Mehrheit des Staatsrates sei auf die Linie von Justizminister Christoph Blocher eingeschwenkt. Sie weise Männer, Frauen und Kinder aus, die seit Jahren in der Waadt lebten, und verfolge eine Politik, die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fördere.

Das Kinderhilfswerk Terre des Hommes machte geltend, die Asylpraxis von Bund und Kantonen verletze die Konvention über die Rechte der Kinder. Die im Kanton Waadt vorgesehene Ausschaffung von 50 integrierten Familien mit 67 Kindern und Jugendlichen sei unverständlich; die Konsequenzen für die Betroffenen seien unabsehbar.

Bern drängt die Waadt

Der Kanton Waadt verfolgte während mehrerer Jahre eine eigene Politik und tolerierte entgegen den Vorgaben des Bundes den weiteren Aufenthalt rechtskräftig abgewiesener Asylsuchender.

Mittlerweile hat sich die Waadt verpflichtet, die Bundesentscheide zu respektieren und die Rückkehr der Abgewiesenen nötigenfalls mit Zwangsmassnahmen durchzusetzen.

So hatte die Waadtländer Regierung vor einem Jahr mit Bundesrat und Justizminister Christoph Blocher eine Vereinbarung unterzeichnet, dass sie nach der Überprüfung der 1523 Dossiers durch das zuständige Bundesamt für Migration (BFM) dessen Negativentscheide vollziehen wird.

Noch viele Rekurse hängig

Von den ursprünglich 523 durch den Bund abgewiesenen Asylsuchenden, die von der Waadt hätten ausgewiesen werden müssen, sind bisher lediglich deren 24 in ihre Heimatländer zurückgekehrt.

Inzwischen haben 297 Personen definitiv einen negativen Asylentscheid aus Bern erhalten. Bei über 100 von diesen sind noch Rekurse hängig, so dass sich zum jetzigen Zeitpunkt rund 170 Personen auf ihre baldige Ausreise gefasst machen müssen.

swissinfo und Agenturen

Der Kanton Waadt verlangte im Mai 2004 vom Bund, die negativen Entscheide über 1520 Asylgesuche noch einmal zu prüfen.
Davon wurden über 1000 nachträglich gutgeheissen.
Momentan sind es noch 297 Personen mit negativen Gesuchen.
Weil noch zahlreiche Rekurse hängig sind, sind rund 170 Personen unmittelbar von einer Rückweisung betroffen.

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