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Leonardos Spuren in Locarno

Die Pläne der Wehranlage des Castello Visconteo in Locarno stammen vermutlich von Leonardo. swissinfo.ch

Der italienische Historiker Marino Viganò ist überzeugt, dass das Universalgenie Leonardo da Vinci in Locarno tätig war. Aus seiner Feder soll das Bollwerk stammen.

Diese These hat Unterstützung von einem ausgewiesenen Leonardo-Experten erhalten. Dieser spricht schon von einer “Wende in der Leonardo-Forschung”.

Erst wenige haben das Bollwerk des Schlosses von Locarno gesehen. Die Überreste von Gängen und Schiessscharten der Wehranlage liegen zum Grossteil unterirdisch neben dem Castello Sforzesco und befinden sich in Privatbesitz. Trotzdem ist das Bollwerk von Locarno in aller Munde. Denn der italienische Historiker Marino Viganò, Dozent für Geschichte der Militärarchitektur an der Università Cattolica in Mailand, ist fest überzeugt, dass Leonardo da Vinci die Pläne für dies fünfeckig konzipierte Wehranlage entworfen hat. Zu diesem Schluss kam er nach mehrjähriger Recherche.

Seit über einem Jahr sorgt die These Viganòs für Aufsehen. Und soeben erhielt sie gewichtige Unterstützung von einem der weltweit bedeutendsten Leonardo-Experten.

Beweis steht noch aus

Carlo Pedretti, Leiter des Armand Hammer Center for Leonardo Da Vinci Studies an der University of California in Los Angeles, erklärte bei einer Konferenz in Locarno: „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bollwerk von Leonardo stammt, beträgt 95 Prozent.” Mit anderen Worten: Der endgültige Beweis fehlt noch, aber die Indizienlage ist erdrückend.

Angefangen hat alles mit dem Wunsch der Besitzer des Bollwerks, in den alten Gewölben einen Weinkeller mit Kneipe einzurichten. Das Denkmalschutzamt prüfte das Anliegen und wurde stutzig. Marino Viganò erhielt den Auftrag, die Anlage genau zu untersuchen.

Aus Archivmaterial ergab sich, dass das Werk unter französischer Besatzung 1507 entstanden war. Locarno war damals besonders exponiert, nachdem Bellinzona 1503 in die Hände der Eidgenossen gefallen war.

Nach der Chronologie analysierte Viganò die Konfiguration und die Bauweise des Bollwerks. Es hat die Form eines unregelmässigen Fünfecks. Über den vier erhaltenen Kanonen-Stellungen öffnen sich Kamine zum Abzug des Pulverrauchs.

Diese Technologie verhinderte, dass die Verteidiger am Rauch erstickten. Sie war zur damaligen Zeit aber nur in einigen toskanischen Städten anzutreffen. Wie kam also diese Anlage in die Lombardei?

“Wende in Leonardo-Forschung”

Viganò kam zum Schluss, dass es sich um einen toskanischen Militärbaumeister handeln musste. 1507 habe es aber nur einen einzigen mit dem nötigen Wissen gegeben: Leonardo da Vinci. Hat Marino Viganò Recht, besässe Locarno das weltweit einzige erhaltene Bauwerk von Leonardo.

Pedretti bezeichnet diese Recherchen als “Wende in der Leonardo-Forschung”. Und Locarno wittert in der historischen Sensation bereits die Chance, als Leonardo-Stadt in die Geschichte einzugehen.

Stadtpräsidentin Carla Speziali will die Überreste der Wehranlage als erstes in öffentlichen Besitz überführen. Und einige Locarnesi träumen schon von einem neuen Unesco-Weltkulturerbe und neuen Touristenströmen in ihrer Stadt.

swissinfo, Gerhard Lob, Locarno

Die These des italienischen Historikers Marino Viganò, wonach Leonardo da Vinci das Bollwerk des Schlosses von Locarno entwarf, wird immer wahrscheinlicher.

Carlo Pedretti, Direktor des “Armand Hammer Center for Leonardo Studies” an der Universität von Los Angeles und einer der besten Leonardo-Experten weltweit, hält die Recherchen Viganòs für sehr verlässlich.

Sollte das Bollwerk dem italienischen Universalgenie zugeschrieben werden können, würde es sich um das einzig erhaltene Bauwerk Leonardos handeln. Locarno hofft, aus dieser Tatsache kulturellen und touristischen Profit schlagen zu können.

Leonardo da Vinci (1452-1519) galt als Universalgenie der italienischen Renaissance. Er war Maler, Bildhauer, Architekt, Musiker, Anatom, Mechaniker, Ingenieur, Naturphilosoph und Erfinder.

Sein Geburtsort Vinci war ein Kastell oder befestigtes Hügeldorf im Florentiner Territorium (ca. 30 km westlich von Florenz) nahe Empoli.

Charles II d’Ambois rief Leonardo 1506 an den Hof von Mailand.

Im Juli 1507 war Leonardo immer noch in Mailand. König Ludwig XII bezeichnet ihn als “unseren Maler und Ingenieur”.

In den Skizzenbüchern Leonardos finden sich Entwürfe für fünfeckige Bollwerke.

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