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Literatur zieht auch bei Sonnenschein

Trotz schönen Wetters haben die diesjährigen Solothurner Literaturtage einen leichten Besucheranstieg verzeichnet: 7'000-8'000 Literaturbegeisterte besuchten die 60 Veranstaltungen. Stargast war die Netzliteratur.

“Ums Buch ist mir nicht bange/ denn das hält sich noch lange”, gab der bekannte deutsche Satiriker Robert Gernhardt in seiner Abschlusslesung Entwarnung. Die eigentlichen Publikums”renner” in Solothurn waren denn auch bekannte traditionelle Literaten wie Franz Hohler, Adolf Muschg, Gerold Späth oder Birgit Vanderbeke. In Elke Heidenreichs Lesung mussten die Besucher beinahe gestapelt werden.

Eine politische Literatur wird besichtigt

Eine zu Unrecht eher schlecht besuchte Veranstaltung war dagegen “Literatur aus der Ukraine”. Dies obwohl mit dem Bestsellerautor Andrej Kurkow, der Literaturskandal-Auslöserin Oksana Sabushko, dem Lyriker Serhji Shadan und dem Übersetzer Oleksa Lohwynenko die Crème des ukrainischen Literaturszene da war.

Nachdem jüngst der Journalist Gongadse enthauptet worden war – haben jetzt oppositionelle Literaten in der Ukraine Angst? – wurde gefragt. Mitnichten, beruhigte Shadan. Denn da müsste man erst gelesen werden. Und in der Ukraine würden hauptsächlich Zeitungen und Sachbücher gelesen.

Vorgeschmäcker…

Die gefeierte Elke Heidenreich las die umwerfend komische Kindererzählung “Sonst noch was” und machte mit “Am Tag, als Boris Becker ging” – eine bittersüsse Satire auf Alt-68er Desperados – Lust auf ihren demnächst erscheinenden Geschichtenband.

Einen Vorgeschmack auf Kommendes gab auch Altmeister Gerold Späth. Auf “Die gloriose White Queen” – eine deftig umgangssprachliche Schifffahrtsgeschichte – haben Fans fast zehn Jahre gewartet. Zur Entdeckung empfahl sich auch die Kiewerin Oksana Sabushko und ihr nun auf deutsch erscheinender Skandal-Bestseller “Feldstudien über ukrainischen Sex”.

…und erlesene Überlesene

Ausser noch Ungedrucktem liess sich auch allenfalls Überlesenes entdecken: Raoul Schrotts “Das Geschlecht der Engel, der Himmel, der Heiligen” etwa, eine Liebesgeschichte getarnt als zauberhafter Streifzug durch Etymologie und Kulturgeschichte. Oder der erfrischend andere Nabelschau-Roman “I promise when the sun comes up I promise, I’ll be true” des Berners Michael Stauffer.

Ganz sicher zur übersehenen Literatur gehören Susanne Berkenhegers “Hilfe” und “kill the poem” von Reinhard Döhl und Johannes Auer: denn hier handelt es sich um digitale visuelle Literatur.

Während Berkenhegers Arbeiten eher literaturferne Computersatiren sind, sehen sich Döhl/Auer in der Tradition der konkreten Poesie. Ihr “worm applepie for doehl” ist nicht mehr nur ein aus dem Begriff “Apfel” gebildetes Apfel-Bild, sondern es enthält auch noch den Begriff “Wurm”, der sich durch den Apfel frisst.

Stargast Computer

Der Computer kann noch mehr. Ein beliebtes Genre sind Mitschreibprojekte. Stephan Brülhart etwa stellte sein demnächst erscheinende Kinderbuch “Der Fall Fox” vor, in den sich Kinder per CD-ROM einklicken und an dem sie aktiv mitlösen können.

Ob das überhaupt noch Literatur sei und wie das Copyright geregelt werde wurde an zwei Podiumsgesprächen diskutiert. Gehören Netzliteraten an die Literaturtage, oder wären sie nicht an den Solothurner Filmtagen besser aufgehoben, wurde etwa gefragt. Am liebsten wären ihr Solothurner Netztage, schlug Digital-Autorin Berkenheger vor.

swissinfo und Irene Widmer (sfd)

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