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Maurice Béjart ist tot

Maurice Béjart bei der Feier seines 80-jährigen Geburtstags in Lausanne. Keystone Archive

Der französische Choreograf und Tänzer ist am Donnerstag in seinem 80. Lebensjahr in seiner Wahlheimat Lausanne gestorben. Er litt zuletzt an Herz- und Nierenproblemen.

Würdigungen und Trauerbezeugungen kommen vor allem aus der Schweiz. Der populäre und kreative Erneuerer des Balletts lebte und wirkte seit 1987 am Genfersee.

Im hohen Alter realisiere er, dass sein ganzes Leben vom Tod geprägt gewesen sei, sagte der Meister letztes Jahr. Seine Mutter verschied, als er sechs war, der Vater, die Brüder und viele seiner Schüler starben jung, etwa der weltberühmte Jorge Donn, der mit 45 ein Opfer von Aids wurde.

Doch er habe sich daran gewöhnt, den Tod neben sich zu spüren. Er fürchte ihn nicht, denn er werde bestimmt zum richtigen Zeitpunkt kommen.

Der Revoluzzer

Seine multikulturelle Geburtsstadt Marseille sollte sein Werk ebenso prägen wie der Beruf des Vaters: Philosophien und Religionen von Nietzsche über Buddhismus bis zum Islam flossen ebenso in seine Choreografien ein wie Bewegungsfolgen vom südamerikanischen Tango bis zu fernöstlichem Kampfsport.

Doch zunächst einmal rebellierte er gegen die Vaterwelt. Parallel zum Philosophiestudium nahm er Tanzunterricht und wandte sich damit der unbürgerlichsten aller Künste zu.

Nach dem Lizenziat legte er den Familiennamen ab und ersetzte ihn mit dem Namen von Molières Geliebten.

Von Brüssel nach Lausanne

Sein Debüt als Tänzer gab Béjart mit 18 Jahren an der Oper Marseille. 1951 zeigte er seine erste Choreografie. Später verschaffte ihm “Le sacre du printemps” die Bewunderung des Brüsseler Opernintendanten Maurice Huisman, der ihn samt Ensemble 1960 engagierte.

Als der Kompanie 27 Jahre später die geforderten Mittel nicht bewilligt wurden, zog sie zum Entsetzen ganz Belgiens nach Lausanne weiter und wurde zum “Béjart Ballet Lausanne” (BBL).

Erneuerer des Männerballetts

Mit dem “Ballet du XXe siècle” sprengte Béjart die Form des neoklassischen Balletts. Er verband dessen Eleganz und Virtuosität mit spektakulärer Sinnlichkeit und leidenschaftlichem Körperbewusstsein.

Dabei wurde er auch zum Erneuerer des Männerballetts. Mit rein männlichen “Pas de deux” und der Abschaffung der klassischen Ballett-Tenues setzte er früh neue Massstäbe.

“Ein grosser Verlust für Kunst und Tanz”

Bundesrat Pascal Couchepin hat den verstorbenen Choreografen Maurice Béjart als grossartigen Künstler und warmherzigen Menschen gewürdigt. Sein Tod sei ein grosser Verlust für die Kunst und den Tanz, liess der Kulturminister am Donnerstag über seinen Mediensprecher verlauten. Béjart habe das kulturelle Leben in der ganzen Welt geprägt und sei auch für die Schweiz und insbesondere für Lausanne ein grosses Glück gewesen.

Couchepin war im Februar vergangenen Jahres letztmals mit Béjart zusammengetroffen. Das Béjart Ballet Lausanne führte damals im Rahmen des Gedenkens an den 100. Geburtstag des Frankophonie-Gründers Leopold Sedar Senghor in Genf ein Stück auf.

Mit dem Körper der Anderen

“Wenn ich Andere zu dem, was ich geschaffen habe, tanzen sehe, empfinde ich eine viel intensivere Freude, als wenn ich meinen eigenen Körper, sogar als er noch jung war, beim Tanzen betrachte”, sagte Béjart zum 50. Geburtstag seiner Truppe gegenüber swissinfo.

“Es ist unendlich viel angenehmer…den Anderen zuzuschauen.”

Béjart wurde mit Wagner und Fellini verglichen: grosse Geste, üppige Phantasie, das ewige Gefühl, das Gesamtkunstwerk.

Nicht alle von Béjarts über 200 Choreografien gelten als Meisterwerke, obschon er mit vielen ganze Stadien füllen konnte. Aber “Le sacre du printemps” (1959), “Boléro” (1961), “L’oiseau de feu” (1970), “Notre Faust” (1975) und “Le presbytère…” (1997) gingen in die Tanzgeschichte ein.

Das wandelnde Lexikon

Béjart galt als wandelndes Lexikon. Er verfügte über eine riesige Allgemeinbildung, breite Sprachkenntnisse und eine enormes Wissen über fremde Mythen und Kulturen.

Vieles floss in sein Schaffen ein: Gesang, japanischer Kampfsport, atonale Musik, modernes Theater: Dinge, die er auch an seinen Schulen – Mudra in Brüssel und Rudra in Lausanne – lehrte.

Verbot seiner Choreografien nach dem Tod

Er hatte den Zen-Buddhismus studiert und war zum Islam übergetreten. Er wollte nicht nur den Körper, sondern auch den Geist schulen, seinen eigenen ebenso wie den seiner Eleven.

Béjart hat verboten, dass seine Choreografien nach seinem Tod nachgespielt werden. Doch zumindest die Rudra-Schule soll weiter bestehen bleiben unter der Leitung von Gil Roman, der seit 1979 Béjarts Truppe angehört.

swissinfo und Agenturen

1927 als Sohn des Philosophen Gaston Berger in Marseille geboren.

Er studierte Philosophie und nahm parallel dazu Ballettunterricht.

1951 schuf er in Stockholm seine erste Choreografie, “L’Inconnu”.

1955 choreografierte er “Symphonie pour un homme seul” für seine eigene Kompanie, die “Ballets de l’Étoile”.

1960 wurden er und seine Kompanie unter dem Namen Ballet du XXe siècle am Brüsseler Théâtre Royal de la Monnaie angestellt.

Berühmte Inszenierungen aus dieser Zeit waren “Boléro” mit Jorge Donn als Solisten sowie “Messe pour le temps présent” und “L’Oiseau de feu”.

1987 verlegte der zum Islam konvertierte Choreograf den Sitz seiner Kompanie nach Lausanne und benannte sie um in Béjart Ballet Lausanne.

Béjart kreierte weit über 200 Tanzstücke, führte Regie in Schauspiel und Oper, schrieb Bücher und drehte Filme.

Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er 1993 in Japan den Premium Imperiale Preis, der als “Nobelpreis der Künste” gilt.

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