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Mehrwertsteuer-Reform: Alle Varianten umstritten

Die Auswirkung der MWSt-Reform auf die Konsumenten führt auch zu einer politischen Debatte. Keystone

Tiefer, einheitlich und einfacher: So wünschen sich alle die künftige Mehrwertsteuer. In der Vernehmlassung haben die interessierten Kreise aber verschiedene Sichtweisen.

Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse verspricht sich von einer konsequenten Reform der Mehrwertsteuer mehr Effizienz und weniger Bürokratie.

Der Reformbedarf aus Sicht der Wirtschaft sei akut, sagte Pascal Gentinetta von economiesuisse am Dienstag in Zürich. Für viele Unternehmen sei die Schmerzgrenze überschritten. Vor allem kleinere Betriebe hätten mit dem komplexen Mehrwertsteuer-System zu kämpfen.

Die 1995 an Stelle der Warenumsatzsteuer eingeführte Mehrwertsteuer (MWSt) habe sich zwar bewährt. Damit hätten vor allem Verzerrungen beim Waren- und Dienstleistungsverkehr über die Grenzen drastisch abgebaut werden können, so Gentinetta. Inzwischen hätten sich jedoch die Probleme bei der Anwendung der MWSt verschärft.

Schwächen der MWSt im Visier

Die Schwächen des heutigen Systems, die econmiesuisse in der Vernehmlassung zur Mehrwertsteuervorlage des Bundesrats auflistet, sind zahlreich: Etwa führten die unterschiedlichen Steuersätze und die diversen Ausnahmen zu Wettbewerbs-Verzerrungen, der Abzug der Vorsteuer sei komplex und die Rechtssicherheit nur mangelnd.

economisuisse fordert deshalb eine “konsequente Reform”, um die Mehrwertsteuer zu vereinfachen und transparenter zu gestalten.

Das vom Bundesrat mit der MWSt-Reform vorgeschlagene “technische Grundgerüst” werde von economiesuisse in seiner Stossrichtung begrüsst, sagte Gentinetta. Die rund 50 Massnahmen seien “zwar nicht sexy”, aber ein zentraler und dringender Reformbaustein.

Einheitlicher Steuersatz

Neben der “technischen Reform” unterstützt economiesuisse das Modul “Einheitssatz”. “Wir wollen einen einheitlichen, tiefen und wettbewerbsneutralen Steuersatz von 6%”, betonte Gentinetta. Steuerausnahmen müssten weitgehend aufgehoben werden.

Dass einzelne Branchen damit Mühe bekundeten, sei aus “partikulärer Perspektive” verständlich. Insgesamt werde mit einem tiefen und einheitlichen Steuersatz jedoch die Wirtschaft deutlich entlastet, stellte economiesuisse-Projektleiter Frank Marty fest. Nach Marty profitieren längerfristig auch die privaten Haushalte. Ein einheitlicher Steuersatz bringe mehr Transparenz und einen unverzerrten Konsum.

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Vernehmlassung

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Vernehmlassung oder das Vernehmlassungsverfahren ist die Konsultation von betroffenen und interessierten Kreisen (auch Mitwirkungsverfahren). Sie ist eine wichtige Phase im schweizerischen Gesetzgebungsverfahren. Bei der Vorbereitung wichtiger Gesetze und anderer Vorhaben von grosser Tragweite sowie bei wichtigen völkerrechtlichen Verträgen werden die Kantone, die politischen Parteien und die interessierten Kreise zur Stellungnahme eingeladen.

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Die Geister scheiden sich an den Details

Mit den Forderungen nach einer tieferen, einheitlichen und einfacheren MWSt ist economisuisse nicht allein. Doch in der Vernehmlassung für die vom Bundesrat zur Auswahl gestellten “Module” scheiden sich die Geister an den Details.

Während die FDP mit dem freisinnigen Finanzminister Hans-Rudolf Merz für einen Einheitssatz und eine radikale Reduktion der bestehenden 25 MWSt-Ausnahmen plädiert, warnen die Sozialdemokraten hingegen, die Konsumentinnen und Konsumenten hätten nichts von der MWSt-Reform ausser einer Steuererhöhung. Die Reform sei ein Anliegen der Wirtschaft und zum Teil der Verwaltung.

Der Gewerbeverband und der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) sprechen sich für die schnelle Umsetzung des Moduls “Steuergesetz” aus.

Verwässerter Kompromiss

Die Schweizer Hoteliers hätten sich einen Einheitssatz von unter 5,5% gewünscht. Der vorliegende bundesrätliche Vorschlag mit einem Einheitssatz von 6 respektive 6,4% ist nach Ansicht des Dachverbands hotelleriesuisse ein “verwässerter Kompromiss”. Die Hotellerie werde jedenfalls damit bestraft.

Gemäss dem Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (LITRA) müssten die Umsätze des öffentlichen Verkehrs von der Mehrwertsteuer echt befreit werden. In allen Ländern der EU sei der öffentliche Verkehr entweder von der MWSt ganz befreit oder einem reduzierten Satz unterstellt, hält der LITRA fest.

Auch die Swiss Olympic Association meldet sich unmissverständlich zu Wort. Durch die MWSt-Reform entstünden den 3500 Sportverbänden und -vereinen zusätzliche Kosten sowie administrativer Mehraufwand von rund 30 Mio. Franken. Das würde “die soziale und gesundheitliche Funktion des Sports gefährden”, heisst es in der Vernehmlassung.

swissinfo und Agenturen

Die Mehrwertsteuer (MWSt) wurde in der Schweiz 1995 als Nachfolgerin der Warenumsatzsteuer eingeführt. Das heutige System kennt vier verschiedene Steuersätze.

Güter des täglichen Bedarfs wie Esswaren, alkoholfreie Getränke, Medikamente, Getreide, Vieh, Blumen, Futter- und Düngemittel, Zeitungen, Bücher, Radio und TV werden mit 2,4% belastet.

Die Hotellerie profitiert bei Übernachtung und Morgenessen von einem Sondersatz von 3,6%.

Der Normalsatz beträgt 7,6%.

Banken, Versicherungen, Spitäler und die landwirtschaftliche Produktion sind von der Mehrwertsteuer befreit. Insgesamt gibt es einen Katalog mit 25 Ausnahmeregelungen.

2006 flossen 19 Mrd. Franken an Mehrwertsteuergeldern in die Bundeskasse.

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