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Mehrwertsteuer für Sozialversicherungen

Sollen zusätzliche Mehrwertsteuer-Gelder erhoben werden, um die Invaliden-Versicherung zu finanzieren? Keystone

Die Finanzierung von AHV und IV soll mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer gewährleistet bleiben. Dies zusammen mit den Einsparungen der 11. AHV-Revision.

In diesem Thema sind sich die bürgerlichen Regierungsparteien nicht einig.

Parallel zu den Einsparungen der 11. AHV-Revision entscheidet das Schweizer Volk am 16. Mai über die Anhebung der Mehrwertsteuer (MWSt) für die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) und die Invalidenversicherung (IV).

Damit soll die längerfristige Finanzierung der beiden Sozialwerke garantiert werden.

0,8% für IV, 1% für AHV

Konkret geht es bei der Vorlage um eine Verfassungsänderung, die den Bund bevollmächtigt, die Mehrwertsteuer von heute 7,6% um 0,8% für die IV und um 1% für die AHV anzuheben.

Damit könnten pro Jahr zusätzlich 2,3 Mrd. Franken für die IV und 2,9 Mrd. für die AHV eingesetzt werden. Da die IV dringend Geld braucht, würde die MWSt bei Annahme der Vorlage 2005 auf 8,4% erhöht. Für die AHV ist die Massnahme laut Bundesrat frühestens 2009 – und nur bei Bedarf – vorgesehen.

Die Invalidenversicherung zahlte 2003 Leistungen im Umfang von 10,6 Mrd. Franken. Sie ist gegenwärtig mit 4,5 Mrd. Franken verschuldet, auf Ende 2004 rechnet der Bundesrat gar mit über 6 Mrd. Schulden. Mit der Massnahme könnte die Versicherung bis 2014 wieder im Lot sein.

Die AHV hingegen hat 2003 mit einem Überschuss von 2 Mrd. Franken abgeschlossen. Trotzdem wollen der Bundesrat und eine Parlamentsmehrheit auch bei dieser Versicherung die Möglichkeit offen lassen, zusätzliche Mittel zu erhalten. Nach einem solchen Beschluss kann das Referendum ergriffen werden.

Steuer auf Vorrat?

Gegen dieses Doppelpack, konkret gegen das Zusatzprozent für die AHV, opponieren die Gegnerinnen und Gegner. “Wir wollen das nicht auf Vorrat machen”, betont Ständerätin Christiane Langenberger, bis vor kurzem Präsidentin der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), gegenüber swissinfo.

Dass die Massnahme einmal nötig wird, ist auch ihre Meinung. Doch die Kompetenz sollte beim Parlament bleiben, findet sie: “Wir wollen das bestimmen, und zwar vielleicht bereits innerhalb der 12. AHV-Diskussion, diese Revision steht auch noch vor der Tür.”

Nein, es sei keine Steuer auf Vorrat, sagt der christlichdemokratische Nationalrat Norbert Hochreutener. “Es geht ja nur so, mit Mehreinnahmen. Mit Sparen allein kommt man nicht weiter. Kommt dazu, dass später das Parlament noch einmal Ja sagen muss.”

Finanznöte

Die Probleme der IV haben in letzter Zeit öfter für schlechte Schlagzeilen gesorgt. Während der letzten Jahre ist die Anzahl IV-Bezüger stetig angestiegen. 1990 waren es drei von 100 Personen, heute sind es bereits deren fünf.

Hauptgrund für den Anstieg sind psychische Krankheiten. So waren im Jahr 2002 psychische Störungen, Knochenleiden, Rückenschmerzen und andere Bewegungsbeschwerden für fast 80% der Gesamtausgaben der IV verantwortlich.

Mit ein Grund für diese Zunahme sind laut Experten die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, der von Arbeitnehmenden immer mehr fordere. Wer nicht in der Lage sei, diesem Druck Stand zu halten, werde von den Unternehmen nicht mehr mitgetragen.

Ja-Nein, Nein-Ja

Obwohl die Vorlage im Parlament kaum umstritten und deutlich gutgeheissen wurde, sind sich die bürgerlichen Parteien nicht einig. Klar dagegen spricht sich die SVP aus.

Die FDP-Fraktion ist von ihrer Zustimmung abgerückt und schlägt nun ein Nein vor. Dies, obwohl die Parteibasis noch nicht zu ihrer Meinung befragt wurde, und die FDP-Frauen ein Ja empfehlen.

Für Langenberger geht es um die Kombination der beiden AHV-Vorlagen an diesem Abstimmungs-Sonntag. Sie tönt damit an, dass bei einem Ja zur Mehrwertsteuer und einem Nein zur 11. AHV-Revision ein falsches Zeichen für einen AHV-Ausbau gesetzt würde.

Für die Sozialdemokraten jedoch ist der Ja-Nein-Kurs von SVP und FDP “entlarvend”. Sie sprechen von Sozialabbau. Man könne nicht nur Leistungen kürzen, ohne an zusätzliche Mehreinnahmen zu denken. Daher sei ein Nein zur AHV-Revision und ein Ja zur Mehrwertsteuer-Vorlage die bessere Lösung.

Einzig die Christdemokraten kämpfen für ein Ja zu beiden Vorlagen. “Das Loch können wir nur mit einem Gesamtpaket füllen, das Sparen und Mehreinnahmen beinhaltet”, betont Hochreutener.

Die Stimmberechtigten entscheiden am 16. Mai über die Anhebung der Mehrwertsteuer. Da es sich bei der Vorlage um eine Verfassungsänderung handelt, sind Volks- und Ständemehr ausschlaggebend.

swissinfo, Christian Raaflaub

Anhebung MWSt für IV: 0,8%, ab 2005
Entspricht 2,3 Mrd. Fr. jährlich
Anhebung MWSt für AHV: 1,0%, bei Bedarf frühestens ab 2009
Entspricht 2,9 Mrd. Fr. jährlich

Das Schweizer System der Altersvorsorge basiert auf drei Säulen.

Die erste Säule besteht aus der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV), der Invalidenversicherung (IV) und den Ergänzungsleistungen (EL). Sie soll allen Pensionierten den Existenzbedarf garantieren.

Wie die AHV ist auch die IV eine gesamtschweizerisch obligatorische Versicherung. Ihr Ziel ist es, Invaliden mit Eingliederungsmassnahmen oder Geldleistungen die Existenzgrundlage zu sichern.

Wie bei AHV und EL besteht auch bei der IV ein Rechtsanspruch auf Leistungen, wenn die im Gesetz genau festgelegten Bedingungen erfüllt sind.

Die zweite Säule, die den gewohnten Lebensstandard sicherstellen soll, ist die Pensionskasse. Diese wird von Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert und ist persönlich.

Die dritte Säule besteht aus individuellen Ersparnissen und Geld in privaten Versicherungen.

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