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Milliardenmarkt und Mao

Mao ruft nach einem Taxi: Im Kunstmuseum Bern. swissinfo.ch

China steht in der Schweiz für Milliardenmarkt und Mao-Kult, aber auch Tienanmen und Tibet. Eine Ausstellung in Bern schafft neuen Zugang zum Reich der Mitte.

Die Werke stammen aus der Sammlung von Uli Sigg, dem weltweit wichtigsten Sammler zeitgenössischer China-Kunst.

“Sie sehen eine eiserne Bettstadt, eine Eismatratze, eingefroren darin ein Fötus und der Kopf eines Greises.” Uli Sigg deutet auf ein grossformatiges Foto. Das sei Körperkunst, erklärt der Schweizer Ex-Botschafter in China, eine Schule, die über eine bestimmte Zeit gepflegt worden sei. “Der Tod ist ein schwieriges Thema – auch in China mit dem Nihilismus der kommunistischen Doktrin. Heute gibt es auch dort ein Revival der Religionen.”

Einfach zu verstehen ist das grausige Bild nicht, das im Kunstmuseum Bern zu sehen ist. Sigg gibt unumwunden zu: “Am Anfang hatte ich Mühe mit dem Verständnis für die chinesische Kunst.” Am Anfang, das war zu Beginn der 80er-Jahre, als Sigg als Manager in China weilte.

1200 Werke aller wichtiger Namen

“Die meisten europäischen Geschäftsleute in China kauften vielleicht ein Bild als Andenken”, sagt Matthias Frehner, Direktor des Kunstmuseums Bern. “Sigg hingegen hat nicht nur gekauft, was ihm gefiel, sondern eine möglichst umfassende Sammlung aufgebaut.”

Diese umfasst heute rund 1200 Stück und gilt als weltweit wichtigste Sammlung der chinesischen Avantgarde der vergangenen 25 Jahre. Eine Auswahl von 340 Werken ist jetzt erstmals zu sehen: In der Ausstellung “Mahjong” im Berner Kunstmuseum und in den Holcim-Hallen im aargauischen Holderbank.

Gegenwartskunst gibt es offiziell nicht

Was Sigg und seine Frau Rita aufgebaut haben, erstaunt nicht nur Schweizer. “Als Künstler bin ich sehr überrascht, was hier zusammengekommen ist”, sagt Ai Weiwei, der die Ausstellung zusammen mit Bernhard Fibicher kuratiert hat. “Es ist sehr persönlich, weil Sigg alles selber ausgesucht hat.”

Weiwei ist Vermittler zwischen Welten, er arbeitet in China auch mit den Basler Architekten Herzog & de Meuron am neuen Olympia-Stadion in Peking. Die Kunst in China spiegle immer auch soziale und politische Veränderungen, betont Weiwei. Frehner ergänzt: “Gegenwartskunst ist in China offiziell nicht zugelassen.”

Konsumismus und Kommunismus

Auf der Suche nach vermeintlich Subversivem wird der westliche Beobachter schnell fündig: Der Vorsitzende Mao Tse-Tung als Marilyn Monroe von Andy Warhol, kommunistische Propaganda aus Big Macs und Cola-Dosen oder eine Arbeiterbrigade als Werbung für Chanel No. 5 – Pop-Art aus dem Reich der Mitte.

Andere Künstler haben Backsteine der Verbotenen Stadt mit grossen Dollarnoten beklebt, in Video-Installationen schiessen chinesische Soldaten auf japanische Truppen, Internet-Porno-Texte werden zu Soft-Porno-Bildern, Mao ruft im Stil einer Arcade-Spielkonsole nach einem Taxi. Da wird von und mit dem realen Sozialismus und der westlichen Kunstszene kopiert, zitiert und Pastiche betrieben.

Wenn Kunst politisch ist

“Tienanmen Square” heisst das Bild von Yin Zha Kang, der 1970 geboren wurde. Seine Vorlage ist ein Pressebild der Niederschlagung der Studenten-Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Doch auf der Rikscha liegen nicht zwei verletzte Demonstranten, sondern zwei Pinguine.

“So ein Bild zu malen ist kein Problem, die Behörden fänden es einfach uninteressant”, kommentiert Sigg auf Nachfrage. Auch der Schreibtisch aus Edelstahl, der gleichzeitig Folter-Gerät ist, scheint in diese Kategorie zu fallen.

Sigg pflegt offensichtlich ein unverkrampftes Verhältnis zum politischen Inhalt seiner Werke, macht aber keinen Hehl daraus, dass ein Viertel davon in China unmöglich gezeigt werden könnte.

Der Alltag ist Kunst

Seine Werke zeigen den westlichen Besuchern aber auch ein China jenseits der Repression der Einheitspartei. Auf drei langen Fotostreifen haben zwei Menschen Sex in der Nacht, ihre nackten Körper spiegeln sich im Wasser.

Ein Mädchen sitzt auf einer Mauer, dreht den Kopf weg vom Betrachter, im Hintergrund eine Stadt. Eine Lochkamera macht ein unwirkliches Riesen-Bild der Skyline von Schanghai. Puppenstuben mit papierenen Personen und Möbeln zeigen Wohnungen des Milliarden-Volks. Ein Künstler fotografiert seine alten Eltern. Oder das Bild einer riesigen Rolex, rund zwei Mal zwei Meter.

Als Westler wiegt man sich schon fast im Glauben, China zu verstehen. Da erklärt Sigg: “Die Rolex ist kein Foto und kein Druck, sondern mit Kugelschreiber gezeichnet.”

swissinfo, Philippe Kropf in Bern

“Mahjong – Chinesische Gegenwartskunst aus der Sammlung Sigg”
13. Juni bis 28. Oktober 2005 im Kunstmuseum Bern
Grossformatige Werke vom 21. Juni bis 28. Oktober in den Holcim-Hallen in Holderbank
Gezeigt werden erstmals öffentlich rund 340 Werke aus der Sammlung Sigg.
Sie reisen im Herbst 2006 von Bern in die Hamburger Kunsthalle.

Uli und Rita Sigg haben die weltweit wichtigste Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst aufgebaut. Sie umfasst rund 1200 Werke.

Uli Sigg war in den 80er-Jahren Manager für Schweizer Firmen in China und von 1995 bis 1998 Botschafter der Schweiz.

In China gibt es offiziell keine Gegenwartskunst. Ein Viertel der jetzt ausgestellten Werke könnte in China unmöglich gezeigt werden.

Die Ausstellung erlaubt dem breiten Publikum im Westen einen Blick auf eine bisher weitgehend unbekannte Kunstszene.

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