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Nach der Flut kehrt der Alltag langsam zurück

Das grosse Aufräumen: Ein Coiffeur-Salon im Berner Mattequartier. Keystone

In den Hochwasser-Gebieten der Schweiz beginnt sich das Leben wieder zu normalisieren. Am Sonntag fanden erste Gedenkfeiern für die Flutopfer statt.

Nach den jüngsten Erfahrungen wollen die Bundesbehörden den Hochwasserschutz ausbauen. Sie erwarten Kosten in Milliardenhöhe.

In vielen Hochwasser-Gebieten haben die Helferinnen und Helfer am Wochenende erstmals durchschnaufen können. Die Aufräumarbeiten wurden am Sonntag mancherorts reduziert oder für einen Tag eingestellt.

Am Samstag konnten die Behörden in der Zentralschweiz ein deutliches Zeichen setzen, dass sich die Hochwasserlage zusehends entspannt: Sie gaben die A2 durch den Gotthard am Morgen für den Individual- und den Versorgungsverkehr frei. Bereits seit Freitag rollen wieder Züge über die zuvor gesperrte Gotthardstrecke.

Ab Montag will die SBB wieder fahrplanmässig zwischen Norden und Süden verkehren. Der bis jetzt überschwemmte Bahnhof Flüelen, Kanton Uri, wird dann wieder bedient. Auch auf der Strasse soll wieder Normalität einkehren – jedoch erst am Dienstag. Ab dann kann auch der Transit-Verkehr wieder über die Autobahn durch den Gotthard fahren.

Gedenkgottesdienst im Berner Oberland

In den stark betroffenen Unwettergebieten – namentlich im Berner Oberland und in der Zentralschweiz – herrscht zwar noch alles andere als Alltag. Aber immerhin konnten sich die Einsatzkräfte nach einer äusserst anstrengenden Woche an manchen Orten eine Atempause erlauben.

In mehreren Hochwassergebieten im Kanton Bern etwa wurden die Räumungsarbeiten vorübergehend eingestellt oder in ihrem Ausmass heruntergefahren. In Oey im Diemtigtal beispielsweise wurde die Grob-Räumung mit Baumaschinen am Wochenende gestoppt, um Platz zu schaffen für die Aufräumungsarbeiten der Rückkehrer.

Solche Verschnaufpausen gingen einher mit ersten Augenblicken des Innehaltens. In Brienz fanden anlässlich des Unwetters zwei Gottesdienste statt, an denen rund 300 Personen teilnahmen. Das Oberländer Dorf hat zwei Todesopfer zu beklagen. Bislang sind schweizweit sechs Hochwasser-Tote bekannt.

Kinderparty in Engelberg

Noch immer abgeschnitten bleibt Engelberg. Der Obwaldner Ort ist über eine Luftbrücke erreichbar; sie ist voraussichtlich bis nächsten Sonntag in Betrieb. Doch auch dort will man zeigen, dass das Leben weitergeht: Rund 200 Kinder nahmen am Sonntag an einer Party mit “MusicStar” Salome und einem Clown im Kursaal teil.

Zugleich arbeiteten die Einsatzkräfte an der Erstellung einer Notstrasse nach Engelberg; eine zweite Notstrasse bauen sie ins abgeschnittene Melchtal. Unter den Helfern, die in Obwalden aufräumen, befinden sich über 300 Angehörige von Armee und Zivilschutz. In Engelberg sind auch deutsche Feuerwehrleute im Einsatz.

In Sarnen nimmt das Kantonsspital Obwalden am Montag seinen Betrieb wieder uneingeschränkt auf. Eine teilweise Entspannung konnten auch die Nidwaldner Behörden am Wochenende melden. So funktioniert die Stromversorgung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wieder im ganzen Kanton.

Sicherheitsarbeiten wegen Niederschlägen

Wegen der leichten Niederschläge in der Nacht auf Sonntag mussten Nidwalder Feuerwehrleute Sicherungsarbeiten ausführen. Obwohl der Seepegel und das Grundwasser sinken, gibt es in den Seegemeinden Hergiswil, Stansstad, Ennetbürgen und Buochs am wenigsten Entspannung.

Nach einer ersten Übersicht hat das Unwetter in Nidwalden rund 150 grössere Erdrutsche ausgelöst. Etwa 500’000 Kubikmeter Geschiebe und grosse Mengen Holz wurden vom Wasser mitgerissen. Grosse Schäden gab es am Hochwasserschutz an der Engelberger Aa.

In Luzern sank der Wasserstand des Vierwaldstättersees auf 434,89 Meter über Meer. Das sind 36 Zentimeter weniger als beim Höchststand am vergangenen Mittwoch. Entsprechend gehen auch die Überschwemmungen in den Orten rund um den See zurück. Merklich weniger Wasser führten auch die Flüsse.

Matte eine Baustelle

Das Mattequartier in der Stadt Bern glich am Wochenende einer Baustelle. Am Samstag konnten die letzten evakuierten Bewohner in ihre Häuser zurückkehren. Viele dürften vorerst weiter auswärts wohnen, das die meisten Häuser noch immer ohne Strom und Gas sind. Bis Sonntagabend soll das Quartier aber mit Notstrom versorgt sein.

Noch ohne Strom bleiben in den Thuner Schadengebieten viele Liegenschaften ohne Strom. Der Seepegel ging weiter zurück. Er erreichte am Sonntagmittag den Stand von 558,55 Metern über Meer. Damit dürfe die Schadensgrenze von 558,30 Metern über Meer bereits am Montag wieder unterschritten werden.

In vielen betroffenen Gemeinden gibt es nach wie vor evakuierte Liegenschaften – so etwa in Brienz oder im bündnerischen Klosters, in dem die 65 Bewohnerinnen und Bewohner des Altersheims noch immer in Hotels untergebracht sind.

Kampf gegen Katastrophentouristen

In ihrem Kampf gegen Katastrophentouristen waren die Behörden weitgehend erfolgreich. Der Luftraum über Brienz wurde in einem Umkreis von fünf Kilometern für Privatflugzeuge gesperrt. In Obwalden musste die Polizei in den abgesperrten Zonen mehrere Bussen verteilen.

Nach dem Hochwasser bleiben einige Verkehrswege unterbrochen – vor allem in der Innerschweiz und im Kanton Bern. Gesperrt bleibt unter anderem die Durchfahrt durch Flüelen, sowie die Gotthardstrasse zwischen Schattdorf und Erstfeld. Auch im Zentrum von Luzern sind wichtige Durchfahrtstrassen nach wie vor unterbrochen.

Unterdessen haben die Schweizer mehr als 3 Mio. Franken für die Hochwassergeschädigten gesammelt. Kantonale Gebäudeversicherungen schätzen den Hochwasserschaden auf mehr als 1 Mrd. Franken. Die Privatversicherer gehen von Schäden in dreistelliger Millionenhöhe aus. Hinzu kommen landwirtschaftliche Schäden von mindestens 10 Mio. Franken.

Verbesserung der Prävention

Der Hochwasserschutz wird in den nächsten Jahren Milliarden verschlingen. Dabei sei noch nicht einmal bekannt, wo überall investiert werden müsse, sagte Andreas Götz, Vizedirektor des Bundesamts für Wasser und Geologie, der “NZZ am Sonntag”.

Eine so genannte Gefahrenkarte für die besiedelten Gebiete werde erst in acht bis zehn Jahren fertig gestellt sein. “Dabei werden mit Bestimmtheit Gebiete auftauchen, die zwar gefährdet sind, in den letzten Jahren aber zufälligerweise verschont wurden”. Dort werde man etwas unternehmen müssen, sagte Götz im Interview. Das werde zwar teuer, lohne sich aber.

Um wieviel diese Mittel aufgestockt werden müssen, ist von Umweltminister Moritz Leuenberger derzeit nicht zu erfahren. “Jetzt einfach ein paar Millionen zu verlangen, ist der kümmerliche Primärreflex, um in die Schlagzeilen zu kommen”, sagte er in einem Interview mit dem “SonntagsBlick”. Was es brauche, sei vor allem den “Willen zur Prävention”.

swissinfo und Agenturen

Die Solidarität der Schweizer Bevölkerung mit den Opfern des Unwettern steigt. So sammelte die Schweizerische Glückskette bisher über 3 Mio. Franken für die Unwetteropfer.

Die Glückskette führt am 31. August einen nationalen Sammeltag für die Hochwasser-Opfer durch. Von sechs Uhr morgens bis Mitternacht können telefonisch Spenden angemeldet werden.

Das Sammelkonto der Glückskette trägt die Nummer 10-15000-6, Vermerk: “Unwetter Schweiz”.

Online-Spenden übers Internet: www.glueckskette.ch.

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